Das blau-weiß-rot gemustere Hemd des Lehrers wirkt vor dem Grün-weiß-nichts der Schulwand in Verbindung mit der Tafel wie ein Hauch von Sonnenuntergang über dem von Algen grün schimmernden See, in sich ruhend und fortgeschrittener als sie es jetzt sind.
Die Schüler sind später vielleicht einmal ein in Flammen stehender Fichtenwald, der unendlich dunkle, endlich tiefe Abgrund des Ozeans oder gar der weit geöffnete Schlund des zugleich schlukenden und spukenden Vulkans; jeder gleich in seinem Anmut und zugleich ganz anders.
Die Stille der Konzentration liegt auf den Schülern während des Tests, als sie scheinbar allzu entscheidende Antworten nieder schreiben. Doch eine Person kann sich dem nicht widmen, sein Geist ist erfüllt von der wechselwirkenden Umwelt, auch das minimalistische Weiß der Tische kann ihn nicht erden.Das unerwartete Klingeln reißt seinen Verstand zurück in seinen Körper und als sein Mathematiklehrer, Herr Woodson, mehrfach seinen Namen ruft versteht er, das er der letzte anwesende Schüler ist.
»Travis Parkus, geben Sie jetzt ihren Test ab, sonst werde ich ihn für ungültig erklären müssen. Die Deadline war ursprünglich bei dem ertönen der Klingel.«
»Entschuldigen Sie mich, ich habe mich nur kurz in meinen Gedanken verloren.«
»Es freut mich, dass Sie offensichtlich so viel über integral Rechnungen nachdenken. Legen Sie ihren Test jetzt bitte trotzdem sofort auf das Pult.«
Keine Widerworte hätten geholfen, das wusste er und deshalb folgte er der Anweisung des Lehrers.
Es war noch nicht seine letzte Schulstunde an diesem scheinbar unendlich langem Tag, doch trotz der Monotonie schaffte er es die Stunden voller Kreativität, Hoffnung und Ideen zu füllen. Alles nimmt leider nur er wahr, alles in ihm vergeudet, ohne Produktivität für die anderen, da es sich nur in ihm abspielt.
Er erinnert sich an keine Zeit ohne sie, Tagträume, Fantasien und imaginäre Freunde, gleichzeitig kann er sich ohne keine Zukunft vorstellen und ob es Segen oder Fluch ist interessiert ihn nicht, es ist ein Teil von ihm. Manche nennen ihn einen Tagträumer, er sich selbst einen unkontrollierten Freigeist.Nach weiteren Schulstunden, gefüllt von Ablenkung und Unterhaltung, ist das Ende des Schultages so nah, dass er es bereits in seinen Händen fühlen kann: Wie Seide schmiegt sich die Freiheit um seine Hände, zärtlich und verführerisch.
Sobald er die letzten Meter des Schulbodens betretet, weiß er dass er auf der Zielgeraden mitten in das nicht jetzt beginnende, nicht jetzt endende Leben ist.
Und genau auf diesem Weg befindet er sich.
Das noch wenige Grün in Kombination mit dem Orangebraun der gefallenen Blätter, das sich auf einige Bäume und Büsche in der Stadt beschränkt, scheint für Travis nach der schulischen Gleichgültigkeit nur noch mehr zu leuchten; die niedrig stehende Sonne, die Freiheit und sein inneres Feuer scheinen wie neu erfunden.
Zuerst beschattet ihn der Gedanke, dass die Sonne dem Horizont so intim war und die Nacht ihren Platz einnimmt. Im Herbst waren kurze Tage jedoch kein Anlass für Melancholie, so verhieß diese Jahreszeit doch die nächste und auf den Winter folgt nunmal schon wieder der Frühling.Er macht sich auf den Heimweg, dabei laut schallende Musik in seinen Ohren, ein animalisch wildes Meer, welches unberechenbar um sich schlägt und keine Verluste scheut, doch ihn überkommt Zweifel; etwas erscheint ihm am nicht richtigen Ort.
»Entschuldigung, sie haben da etwas fallen lassen«, sagt ihm eine kleine, ältere Dame, gekleidet in einem schwarzen Mantel, welcher ihre schlanke Figur betont. Doch alles was er zuerst wahrnimmt, ist der von ihrem Hals ausgehende Rosmarin-Duft, welcher sie in eine Atmosphäre des Duftes einschließt, wodurch man nur eintreten kann sobald sie es gestattet. Sie deutet zu einem auf dem grauen Belag der Straße liegenden Ring, welcher aussah als würde er dort schon die letzten paar Jahrhunderte verbracht haben, abgenutzt und verbraucht vom Leben.
»Sie müssen sich irren, der ist nicht mir« und tatsächlich sah er ihn zum ersten Mal.
»Doch doch, ich habe ihn hinter dir fallen sehen. Warte ich werde ihn für dich aufheben.«
»Warten Sie. Ich mache das, dann müssen Sie sich nicht bücken.«
Er verlässt die Geruchs-Blase, geht die paar Schritte zum Ring und als er sich dazu herablässt, hebt ihn das Funkeln, das Schimmern und die Reflektion, des im Ring eingefassten Steins, in die Höhe, hoch in den Himmel der Sonne entgegen, weiter als Vögel je fliegen würden.
Er breitet die Flügel aus, doch anstatt zu gleiten fällt er.
»Mensch, der sieht aber teuer aus«, spricht sie plötzlich neben ihm, mit einer Überzeugung, als ob sogar sie es glaubt, obwohl der Ring so beschädigt von nicht sehr großem Wert wirkt.
»Ist das Rosmarin? Warum riechen sie danach?«, fragt er sie, ebenfalls in ihrem kleinen Rosmarinkosmos.
»Ja, aber jetzt steck deinen Ring ein, sonst verpasst du den Bus Travis. Außerdem muss ich auch weiter.«Er hat den Ring bereits in die Tasche seiner Jeans gesteckt, als sie unerwarteterweise noch etwas sagt: »Fliegst du öfters?«
Er hat sie so verdutzt angeschaut, denn fast jeder weiß, dass er oftmals träumt, aber niemand kann wissen was.
»Was meinen Sie?«
»Ob du immer so hoch fliegst..?«
»Wie bitte? Wie können Sie davon ahnen?«, fragte er sie erstaunt.
»Das du ein Tagträumer bist steht dir ja schon auf die Stirn geschrieben, du Dussel. Ich bin zwar alt aber nicht blind. Ich brauche kein Hokuspokus um die Paris-, Hawaii- und Sydney-Buttons lesen zu können. Seh ich aus wie eine Wahrsagerin, nur weil ich Rosmarin um den Hals trage?«
»Nein... ähm wissen Sie, das sind Ziele die ich in Zukunft besuchen will... Mein Bus ist da, entschuldigen Sie mich, ich muss los.«Beruhigt, dass er mit seinen Gedanken alleine ist, aber auch auf gewisse Weise enttäuscht, dass sie nicht sehen kann was er sieht, fährt er mit dem Bus los. Sein Gehirn entführt ihn während dessen wieder in einen Dschungel aus Ideen, jeder Baum ein anderes Universum, jedes Blatt eine andere Welt.
Zuhause hat er um den Ring bereits vergessen, er kümmert sich einzig und allein um das Lesen von Büchern.
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Impulse
Mystery / Thriller"Sein Gehirn entführt ihn [...] in einen Dschungel aus Ideen, jeder Baum ein anderes Universum, jedes Blatt eine andere Welt." Travis ist ein Jugendlicher, beinahe schon ein junger Erwachsener. Es wäre überflüssig zu behaupten er wäre ganz normal, d...