„Wie finden Sie es?" Meine Stylistin lächelt mein Spiegelbild unsicher an. Meine Augen wandern über meine Haare, über mein Gesicht und meine Kleidung. Ich stehe auf und zupfe den Anzug zurecht. „Ich denke, Gelb steht mir." Erst jetzt wird das Lächeln meiner Stylistin ehrlich. Warum sie sich nur so sehr vor meiner Reaktion fürchtet? Ich trete etwas näher an den Spiegel und begutachte meine gelben Augenbrauen. Zum Glück kann man sie noch deutlich erkennen, da es sich um ein knalliges Gelb handelt. „In zehn Minuten beginnen wir." Ich nicke dem Kameramann zu. Bevor ich zur Bühne gehe, trinke ich noch einen Schluck Wasser, damit meine Stimme gleich nicht versagt. „Sie können jetzt gehen", wende ich mich an das Team, das sich um mich versammelt hat, um mich auf meinen Fernsehauftritt vorzubereiten. Die Arbeiter wünschen mir viel Erfolg. Dann lassen sie mich alleine. Ich gehe ein paar Runden durch den kleinen Raum, schüttle meine Arme und Beine, nachdem ich sie zuvor gezielt angespannt habe. Danach atme ich einige Male tief ein und aus. Das mache ich vor jedem Auftritt, um mich zu sammeln. Doch heute bin ich angespannter als sonst. Ich tupfe mir mit einem Tuch über die Stirn. Warum bin ich so nervös? Natürlich. Dieses Jahr muss ich perfekt sein. Aber ich bin doch talentiert. Warum sollte mir diese Hürde nicht gelingen? Ich sehe auf eine riesige Wanduhr. Mir bleiben noch zwei Minuten. Ich schaffe das! Zielstrebig gehe ich auf die Tür zu und wende mich an einen Technikassistenten. Dieser befestigt das Mikrofon an meinem Anzug und wünscht mir viel Spaß. „Danke." Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Wenn der Kerl nur wüsste... Entschlossen betrete ich die dunkle Bühne und setze mich auf den roten Ledersessel. Neugierig sehe ich ins Publikum. Viele bunt gekleidete Leute schauen zu mir empor. Es ist immer wieder lustig, dass ich sie sehen kann, aber sie mich nicht. Aus dem Augenwinkel erkenne ich den Countdown. In wenigen Sekunden werden die Kameras auf mich gerichtet werden. Das Musikintro ertönt. Die Scheinwerfer gehen an. Sie schweifen durch die Halle, bis sie auf mir ruhen. Ich stehe grinsend auf und winke dem applaudierendem Publikum zu.
„Willkommen, meine Damen und Herren. Willkommen, Kapitol. Willkommen, Panem!" Mit diesen wenigen Worten gewinne ich meine Leichtigkeit auf der Bühne zurück, meine Sicherheit. „Heute werden Sie mit mir den neuen Obersten Spielmacher kennenlernen. Begrüßen wir Sven Emerald mit einem tosenden Applaus!" Die Zuschauer folgen meiner Bitte. Sie klatschen, jubeln und stampfen mit den Füßen. Ein großgewachsener Mann im weißen Anzug betritt die Bühne. Ich mustere ihn und achte darauf, dass ich mein strahlendes Lächeln aufrechterhalte. Blonde Locken fallen dem Obersten Spielmacher in die Stirn. Er lächelt und genießt seinen Applaus. „Guten Abend, Sven", begrüße ich ihn. „Guten Abend, Caeser. Und natürlich wünsche ich Ihnen auch einen schönen Abend." Der Oberste Spielmacher sieht ins Publikum, dann zwinkert er in eine Kamera. Der Mann weiß, wie er sich beliebt macht. „Nun, Sven... Wollen Sie sich vielleicht erstmal mir und natürlich ganz Panem vorstellen?" „Aber gerne, Caeser." Sein Lächeln lässt nicht nach, doch seine Augen lachen nicht mit. In ihnen funkelt etwas. List? Gier? Ich kann dieses Funkeln noch nicht einordnen. „Wie Sie bereits von Caeser erfahren haben, bin ich Sven Emerald und der diesjährige Oberste Spielmacher." Sven macht eine kurze Pause, dann fährt er fort. „Ich bin 37 Jahre alt und der Vater von ... zwei Kindern." „Sie haben gezögert", wende ich ein. Ein Schatten huscht über das Gesicht des Obersten Spielmachers. „Ich war kurz davor zu sagen, dass ich nur der Vater meines Sohnes Gallant bin. Denn meine Tochter verstarb letztes Jahr." Das Publikum ruft ermunternde Worte, doch das begeistert Sven kaum. „Sie kennen meine Tochter." Das Publikum verstummt. „Rubina ist letztes Jahr bei den 50. Hungerspielen ermordet worden." Leid und Zorn klingen in seiner Stimme mit. Ich beschließe, dass ich mich einmischen sollte.
„Mein Beileid. Sven, ich bin mir sicher, dass sich dem einen oder anderen Bewohner Panems eine Frage aufdrängt. Sie wollen mit Sicherheit wissen, warum ausgerechnet Sie der Oberste Spielmacher geworden sind." Mit dieser Frage gehe ich ein großes Risiko ein. Denn wenn Sven jetzt preisgibt, dass er nur der Oberste Spielmacher ist, weil er seine Tochter rächen möchte und er andernfalls Proteste in seinem Distrikt ausgelöst hätte, würde das den Bewohnern Panems nicht gefallen. Und Präsident Snow würde bestimmt nicht lange zögern und mich einen Kopf kürzer machen. Ich spanne meine Zehen an. Es ist die einzige Möglichkeit meiner Nervosität freien Lauf zu lassen, ohne dass das Publikum etwas davon mitbekommt. „Sie meinen, weil ich aus Distrikt 1 und nicht aus dem Kapitol komme, könnte es Unklarheiten geben?" Erleichtert bestätige ich die Frage. Denn anscheinend ist auch dem Obersten Spielmacher bewusst, dass er seine Rachepläne nicht verbreiten sollte. „Wissen Sie, Caeser. Ursprünglich stamme ich aus dem Kapitol." Ein überraschtes Raunen geht durch das Publikum. „Wollen Sie damit etwa andeuten, dass es Ihnen hier nicht gefallen hat?" Sven lacht und ich stimme sofort mit ein. „Natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, ich liebe das Kapitol." Spontaner Applaus ertönt und ich lächle der Menge zu. Nachdem es wieder ruhiger geworden ist, gehe ich weiter auf Svens Aussage ein. „Für mich ist es dann aber schwer begreiflich, warum Sie nach Distrikt 1 gezogen sind." „Das frage ich mich bis heute auch noch", scherzt der Oberste Spielmacher. Er lässt dem Publikum Zeit über seinen Witz zu lachen, bis er fortfährt. „Aber ich habe mich damals über beide Ohren in meine Frau, Rayna, verliebt. Meine Eltern waren Designer und ihre Eltern haben die Entwürfe meiner Eltern umgesetzt. Unsere Eltern haben sich zwar selten getroffen, doch wenn es einmal zu einem Treffen kam, haben sie uns Kinder mitgenommen, da sie uns lieber nicht aus den Augen verlieren wollten." Sven lächelt, als genieße er die Erinnerungen an die guten alten Zeiten. „Jedenfalls haben wir uns ineinander verliebt. Eines Tages habe ich Rayna einen Heiratsantrag gemacht. Doch sie hatte eine Bedingung, ohne deren Erfüllung sie mich nicht heiraten wollte." Ein Kichern geht durch das Publikum. „Ich sollte zu ihr ziehen und mit ihr ein gemeinsames Leben in Distrikt 1 führen. Ich glaube, als sie mir das sagte habe ich ganz schön verdattert geguckt." „Aber warum wollte sie denn nicht ins Kapitol ziehen? Hier wäre ihr Leben noch prachtvoller geworden." Die Zuschauer murmeln zustimmend. „Rayna liebt, wie keine andere Frau. Sie konnte sich einfach nicht von ihrer Familie und ihren Freunden trennen. Natürlich liebe auch ich meine Familie und habe genauso meine Freunde. Aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie sich ständig nach ihren Lieben gesehnt hätte. Und so heirateten wir und leben nun gemeinsam in Distrikt 1." Das Publikum jubelt begeistert. „Und da Sie im Kapitol geboren wurden und die Qualitäten erfüllen, die ein Oberster Spielleiter mitbringen muss, dürfen Sie dieses Amt trotz ihres momentanen Wohnorts antreten", fasse ich die erhaltenen Informationen zusammen. „Das ist richtig."
„Ich weiß, eigentlich dürfen Sie nicht darüber reden, aber unsere Zuschauer können ein Geheimnis für sich behalten. Können Sie uns erzählen, woran man erkennt, dass die diesjährige Arena Ihr Werk ist? Was erwartet uns?" Ich habe absichtlich etwas leiser gesprochen, um eine gewisse Spannung zu erzeugen. Sven beugt sich zu mir vor, als wolle er mir etwas ins Ohr flüstern. Aber natürlich kann ihn jeder Bewohner Panems durch die Mikrofone noch laut und deutlich verstehen. „Vielleicht gibt es da draußen jemanden, der mir vorwirft, dass ich Distrikt 1 bevorzuge und seinen Tributen durch meine Arena Vorteile verschaffe. Diesen Jemand kann ich beruhigen. Denn jeder Tribut wird sich in meiner Arena wie zuhause fühlen. Natürlich wird es keine gemütliche Zeit für die Tribute, aber ich denke, mein Stil wird diesen Hungerspielen etwas Unvergessliches verleihen." Das Publikum applaudiert begeistert, jubelt und feiert den diesjährigen Obersten Spielmacher. „Vielen Dank, Sven!" Ich schüttle ihm die Hand, dann verlässt er die Bühne, nachdem er den Zuschauern beteuert hat, dass sie das beste Publikum sind, das er je hatte.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Kommen Sie gut nachhause. Schöne Hungerspiele!" Die Musik ertönt. Scheinwerfer leuchten umher. Es wird kurz dunkel, damit ich unbemerkt von der Bühne gehen kann. Dieses Interview ist mir gelungen. All meine Befürchtungen haben sich als falsch erwiesen. Auch wenn Sven Emerald heute die Herzen der Zuschauer gewonnen hat, so hat er mich nicht überzeugt. In meinen Augen war das alles nur Show, um den Effekt seiner Rache zu verstärken. Und wenn sich einer mit Shows auskennt, dann bin das ja wohl ich...!
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Blut schmeckt salzig Rache ist süß
AcciónHaymitch Abernathy hat bei den 50. Hungerspielen das Kraftfeld genutzt, um seine letzte Gegnerin zu töten. Doch die Eltern des Mädchens sind von dieser unfairen Aktion gar nicht begeistert. Deshalb verspricht Präsident Snow dem Vater, der in diesem...