126. Tristan

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In der Schule legte ich die Listen aus, damit sich die Kinder einschreiben konnten. Ich setzte mich in der Aula an das Klavier und probierte ein paar Lieder aus, als sich die Tür öffnete und Tristan den großen Raum betrat. „Ach, heute mal alleine?", meinte er belustigt und lehnte sich gegen das Instrument. Ich hörte auf zu spielen und sah ihn genervt an.

„Ich bin sonst auch immer alleine, denn das ist mein Musicalkurs und nicht deiner! Also, was willst du?", fuhr ich ihn an. Er zog mich auf die Beine und drückte mich an sich. „Lass mich los! Ich will nicht, dass du mir so nahe kommst!", fauchte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Er drängte mich an die Wand und zog mir das T-Shirt gegen meinen Willen über den Kopf.

Immer wieder versuchte ich ihn wegzustoßen und sagte, dass ich das nicht will. Es interessierte ihn nicht. Bevor mich meine Panik übermannen konnte, raffte ich mich noch einmal zusammen und stieß ihn von mir weg. Die Zeit reichte um mir mein Oberteil wieder über den Kopf zu streifen. „Du kleine miese Ratte!", zischte Tristan und stieß mich weg.

Ich fiel über meine Tasche und schlug mit dem Kopf an die Heizung neben dem Klavier. Schmerz durchfuhr meinen kompletten Körper. „Das hast du nun davon, du kleine Schlampe!", murrte mein Vorgesetzter und verließ die Aula, die er zu allem Überfluss auch noch abschloss. Ich wimmerte ein paar Mal um Hilfe, bis ich schließlich mein Bewusstsein verlor.



Mein Kopf schmerzte fürchterlich und ich bekam kaum Luft. Ich hustete stark und öffnete schwerfällig die Augen. Die Aula war erfüllt mit schwarzen Rauch. Es brannte. Ich hörte das Martinshorn der Feuerwehr und durch Fenster drang schwach das blau blinkende Licht. Ich musste hier raus! Ich kämpfte mich auf die Beine und schleppte mich zur Tür, doch diese war noch immer abgeschlossen.

Verzweifelt lehnte ich mich an die Wand und fing an zu weinen. Dann klingelte mein Handy... Mein Handy! Ich konnte Hilfe rufen! Ich versuchte schnell zu meiner Tasche zu kommen und orientierte mich an dem Klingeln. Schließlich sah ich ja nichts in dem dunklen Rauch. Als ich mein Handy jedoch in der Hand hielt, hatte der Anrufer schon längst aufgelegt. Ich sah nach.

Es war Diego!

Sofort rief ich zurück und hoffte stark, dass er abnahm. Er tat es auch. „Clara? Clara! Wo bist du?", fragte Diego mich panisch. Sein Hintergrund war laut. Ich hörte wie sich Sanitäter und Feuerwehrmänner sich etwas zu riefen und auch Sirenen heulen. Er war hier! Erleichterung machte sich etwas in mir breit und langsam wurde mir wieder schwarz vor Augen. „Diego...", hauchte ich mit kratziger Stimme und fing wieder an zu husten.

„Clara, bist du in der Aula?", fragte er mich aufgekratzt. Ich fing an zu schluchzen, dass sich mit meinem Husten mischte. „Hilf mir, Diego!", schluchzte ich ängstlich. „Ich will nicht sterben!" Es gab einen lauten Knall, den ich zweimal hörte. Einmal durchs Telefon und einmal hörte ich es im selben Gebäude. Der Boden vibrierte unter mir.

Es erhitzte sich immer mehr in dem großen Raum. „Bist du in der Aula?", hörte ich Diegos zitternde Stimme. Ich schluchzte weiter. „Ja... Tristan hat mich eingeschlossen!", antwortete ich und wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. „Ich werde dich daraus holen!", meinte er plötzlich wild entschlossen und legte auf. Ich kämpfte krampfhaft gegen die aufkommende Ohnmacht an.

Die Hoffnung, dass Diego mich noch rechtzeitig finden würde, schwand mit jeder Minute mehr. Meine Lunge tat weh und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Doch gerade als ich aufgeben wollte, hörte ich meinen Namen. Schwerfällig stand ich auf und taumelte auf die Tür zu. „Clara?", rief Diego von der anderen Seite. „Hol mich hieraus, bitte!", schluchzte ich verzweifelt und ließ mich schwach auf den Boden fallen.

Ich fasste mir an den schmerzenden Kopf und betrachtete das Blut, das langsam an meinen Fingern hinunter lief. Er sprang ein paar Mal gegen die Tür, bis sie aufbrach. Noch mehr Rauch strömte in den Raum. „Clara!" Ich fing an zu husten, zum reden hatte ich keine Kraft mehr. Auf einmal kniete er neben mir und hob mich hoch. „Ich hole dich hieraus! Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst. Das kannst du vergessen!", beruhigte er mich inzwischen auch hustend.

Um uns herum stand alles in Flammen. Der normale Gang, den ich vorhin noch entlang gegangen war, war nicht wieder zu erkennen. Was war nur passiert? Es knackte bedrohlich hinter uns und ein Teil der Decke stürzte ein. Diego rannte mit mir auf dem Arm durch das brennende Schulgebäude raus an die frische Luft. Der Sauerstoff strömte so schnell auf mich ein, dass ich einen erneuten Hustenanfall bekam.

„Du bist in Sicherheit! Es ist alles gut! Dir kann nichts mehr passieren!", murmelte er aufgeregt und fürchterlich erleichtert. Er brachte genug Abstand zwischen mich und dem brennenden Gebäude, bevor er sich ins Gras fallen ließ und mich fest an sich drückte. Noch immer rang ich mit mir bei Bewusstsein zu bleiben, was mir aber immer schwerer fiel. „Clara, sag doch etwas!", jammerte mein Freund leise und strich mir durch die Haare.

„Bitte, mein Mädchen! Sag mir, dass alles in Ordnung ist!" Er fing an zu schluchzen und seine Tränen tropften auf meine Wangen. Er sollte nicht weinen! Nicht wegen mir! „Ich liebe dich!", hauchte ich hustend und sah ihn kurz an. Es war aber zu anstrengend die Augen offen zu halten. „Clara, bleib bei mir, bitte! Du darfst jetzt nicht bewusstlos werden! Ich brauche dich doch!", schluchzte er und klammerte sich zitternd an mich.

Der nächste Satz von ihm ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. „Clara, du darfst nicht sterben!" Zu gerne würde ich ihn jetzt trösten und ihm versichern, dass ich nicht sterben würde, aber dazu war ich gerade einfach zu schwach. Ein Sanitäter kam auf uns zu und sprach mit Diego. Mir wurde geholfen, dass wusste ich und ebenfalls wusste ich, das er nicht von meiner Seite weichen würde.

Dort wo ich wieder aufwachen würde, würde er sitzen! Er würde an meiner Seite wachen, bis ich wieder bei Bewusstsein wäre. Das war der Punkt, wo ich aufhörte gegen den Schwindel in meinem Kopf anzukämpfen und ließ mich von dem durchdringenden Schwarz einhüllen.

Claras Vergangenheit ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt