*Gegenwart*
Piep*Piep*Piep*Piep
Ich stehe nun hier an ihrem Bett. An Kellys Bett. In Zimmer 198.
Kelly ist so wunderschön. Sie liegt hier mit einem weißen Krankenhauskittel und ihren braunen Haaren, die ihr bis zur Schulter reichen. Ihr Mund, ihre Gesichtszüge. Alles an ihr ist wunderschön. Leider sind ihre Augen nicht geöffnet, die sind genauso wunderschön und vollenden ihr perfektes Gesicht.
Kellys Haare sind etwas verwuschelt, deshalb gehe ich zum Kasten und hole eine Bürste heraus. In ihrem Kasten sind auch ihre ganzen Klamotten und Utensilien, die sie auch vor ihrem Unfall immer benötigte. Ich habe damals alles hergebracht, was Kelly brauchen könnte. Angefasst wurden ihre Sachen bis jetzt aber nur von mir und den Angestellten.
Ich gehe zurück an das Bett und setze mich auf den danebenstehenden Sessel zu ihr. Vorsichtig beginne ich ihre Haare durch zu bürsten.
Früher waren sie sehr lang, aber sie hatte sie abschneiden müssen, da Lindsey sich einmal eingebildet hatte, man könne doch mit einem Kaugummi, genauso gut wie mit einem Haargummi, die Haare zusammen binden.
Ich muss lächeln als ich an dieses Ereignis dachte. Lindsey war da gerade mal 3 Jahre alt und wollte nur ihre Mutter 'verschönern', so wie sie es damals nannte.
Kelly hatte sich damals einen Wutanfall unterdrücken müssen. Sie hatte ihre Haare bis aufs Letzte geliebt und als ihr klar wurde, sie müsse die Haare abschneiden, weil ein Kaugummi darin klebte, wurde sie im Gesicht rot vor Ärger. Aber sie zischte nur leise, sodass es nur ich hören konnte: "Nein Lindsey, mit einem Kaugummi bindet man keine Haare zusammen"
Genauso wie sich Kelly damals einen Wutanfall unterdrücken musste, musste ich mir einen Lachanfall unterdrücken.
Kelly hatte das natürlich bemerkt und witzelte: "Ich wünsche dir von ganzen Herzen, dass dir Lindsey auch mal einen Kaugummi in deine Locken klebt, denn dann wissen wir beide wer von uns wirklich einen Wutanfall bekommen wird".
Meine Erinnerungen wurden von meinem läutenden Handy unterbrochen. Ich erschrecke so sehr, dass ich die Bürste fallen lasse. Es ist sehr still in diesem Raum bis auf die Piep-Geräusche von den Geräten und jetzt meinem Telefon.
Ich hebe die Bürste auf und greife in meine Hosentasche.
"Mama"
Kaum habe ich abgehoben, wurde ich von meiner Mutter begrüßt "Harry! Wie geht es Kelly?"
Ich erzählte ihr, was mir Marry voher erzählt hat und meine Mutter informiert mich, dass sie Lindsey und Jake nach der Schule vorbeibringen würde.
Nachdem wir auflegten, fiel mir erst wieder ein was Marry gesagt hatte. Mir stiegen sofort wieder die Tränen in die Augen und ich nahm Kellys Hand in meine.
"Schatz, Baby. Warum tust du mir das an?", jammere ich und führe ihre Hand zu meinem Mund und gebe einen vorsichtigen Kuss darauf.
Keine Antwort. Aber was hätte ich mir erwartet?
"Marry hat mir erzählt, dass du dich vielleicht an nichts mehr erinnern kannst. Warum? Warum musste das so kommen? Wach auf Kelly! Und komm zurück zu uns", flehe ich.
Ich bin so verzweifelt! Was hilft es mir, wenn Kelly aufwacht, sich aber an keinen unserer schönen Momente erinnern kann? Das klingt hart, natürlich will ich, dass Kelly aufwacht, egal, ob sie sich erinnern kann oder nicht.
Aber dann müsste ich Kelly erst einmal wieder dazu bringen, mich zu lieben. Jake zu lieben. Lindsey zu lieben. Sie wäre vielleicht eine ganz andere Person.
Ich hasse alles! Ich hasse den Raum 198, genauso wie ich das Datum 19.8. hasse!
Der 19. August ist der Tag, der mein ganzes Leben veränderte, und das meiner Kinder auch.
"Harry, ich fahre jetzt!", rief Kelly mir zu.
Schnell stand ich auf um mich bei ihr und meinen Sohn zu verabschieden.
"Passt auf, ich liebe dich, Baby!", flüsterte ich Kelly zu. Sie lächelte und drückte mir einen Kuss auf die Lippen.
"Und wie sehr ich dich liebe"
Ich wuschelte mit meiner Hand durch Jakes Haare und bückte mich zu ihm runter.
"Viel Spaß an deinem Schultag, mein Kleiner", zwinkerte ich Jake zu.
Er schenkte mir sein wunderschönstes Lächeln, bei dem man all seine Zahnlücken sehen konnte.
"Wenn du heute von der Arbeit nach Hause kommst, werde ich bereits dein Lieblingsesssen gekocht haben und sehnsüchtig auf dich warten", hauchte mir Kelly zu, während Jake schon mal sein Fahrrad holte.
"Na dann werde ich sehnsüchtig auf das nach Hause kommen warten"
Sie grinste mich an und ging zu Jake um ihm zu helfen.
Startbereit standen sie mit den Fahrrädern im Garten und verabschiedeten sich noch einmal mit einem Winken, und schon waren sie unterwegs.
Doch bis zu einem Treffen nach der Arbeit würde es nie kommen.
Jetzt werde ich aggressiv. Stürmisch stehe ich auf und werfe dabei fast den Sessel um. Ich haste aus dem Zimmer, laufe den Gang entlang bis zu einer Tür, die auf den Balkon führt. Ich renne hinaus, laufe zum Geländer und fange an zu brüllen. Ich brülle mir meine Seele aus dem Leib, bis sich wieder Tränen in mein Gesicht schleichen.
Ich höre auf zu brüllen, sinke auf den Boden und beginne zu schluchzen.
Früher hätte ich nie so oft geweint, aber ich weiß mir nicht mehr zu helfen.
"Könnten Sie bitte das Schreien auf dem Krankenhausgelände unterlassen! Die Patienten brauchen Ruhe!", hörte ich jemanden hinter mir.
Ich sah auf zu der Person, die mit mir gesprochen hatte und sah Jessica.
Ich sah wieder auf den Boden und drehte den Kopf weg.
"Oh, Harry! Tut mir leid, dass wusste ich nicht, dass du es bist", erklärte sie stotternd.
Schnell stehe ich auf und gehe einfach bei ihr vorbei zurück zu Kelly.
Als ich wieder bei ihr am Bett sitze, lege ich meinen Kopf auf die Bettkante und seufze.
"Schatz weißt du was?"
Keine Antwort.
"Weißt du noch als wir immer unseren Kindern Sachen von früher erzählten,die sie gemacht haben, damit sie sich wieder erinnern können?"
Keine Antwort.
"Ich werde jetzt das gleiche mit dir probieren"
Keine Antwort, ich erwarte auch keine mehr.
"Ich erzähl dir unsere Geschichte. Vielleicht kannst du dich dann an uns erinnern, wenn du wach bist. Marry hat ja auch gesagt, dass du jetzt anfangen wirst zu hören"
Keine Antwort, nur ihr leises Atmen und das Piepsen der Geräte.
Und so fange ich an in Zimmer 198 meiner Ehefrau, meiner einzig großen Liebe, unsere Geschichte zu erzählen. Die Geschichte, die nur wir beide vollständig kennen, die Geschichte die uns zusammen führte.
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Stolen
FanfictionJeden Tag bekommen wir von Filmen, Büchern, Werbungen oder unseren Eltern eingeredet, dass das Leben perfekt ist. Jeder spricht vom glücklichen Leben, bei dem alles perfekt verläuft: Verlieben, Heiraten, Kinder kriegen. Da...