Für einen Moment verharrte er noch, unbequem auf dem Boden kauernd, Gwen hinterher starrend. Einfach optimistisch denken, sagte er sich stumm. Aber was brachte es? So gut er auch mit dem Degen umgehen konnte, brachte ihm dieses Stück Metall doch nichts gegen klassische Pistolen. "Gideon de Villiers. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist." Der plötzliche Ausruf, nahe seines Verstecks, ließ ihn zusammenfahren.
Er sprang auf und rannte, ohne einen Blick zurück zu werfen, hinein ins Unterholz. Die eine Hand auf den Griff seiner Waffe gelegt, um zu verhindern, dass sie ihm ungünstig gegen die Beine schlug und ihn wohl möglich noch zu Fall brachte, versuchte er sowohl den Gedanken an seine Zeitreisepartnerin, als auch an die Schüsse zu vermeiden. Er wollte sich nicht vorstellen, was er machen würde, sollte er ihren Schrei hören. Gideon befürchtete, bei ihm würden dann alle Sicherungen durchbrennen, aber aus reiner Wut heraus konnte er nicht kämpfen. Das wäre genauso sein Tod.
Sein eigener Atem ging stockend und schien das Feuerwerk zu übertönen, dessen Töne sowieso immer mehr zu verstummen schienen, desto weiter ihn seine Schritte vom Anwesen der Pimplebottoms weg trugen. Doch auch seine Verfolger konnte er noch hören. Ihre Schüsse waren allgegenwärtig.
Plötzlich schien es Gideon, als hätte man ihm ein Glüheisen in die Seite gerammt. Der Schmerz kam so unvorbereitet, dass er aufschrie. Er achtete nicht länger auf seine Schritte, stolperte und fiel. Der Schmerz schien unheimlich todbringend und selbst wenn er noch versucht hätte weiter zu laufen, wären seine Beine sehr wahrscheinlich sowieso eingeknickt.
Gideon lag, vornüber gestürzt, auf der Brust. Den Degen und einen seiner Arme unsanft unter seinem Körper eingeklemmt. Die Tage der Gefangenschaft hatten schon ordentlich an seinen Kräften gezerrt, aber das langsam aus ihm heraussickernde Blut schien auch noch die spärlichen Überreste mit sich davon zu nehmen.
"Gideon."
Bei diesem Schrei machte sich unglaubliche Panik in dem jungen Mann breit. Nicht genug, dass er durch seinen Schrei sein eigenes Leben verwirkt hatte - denn darüber würde er sich keinen Illusionen hingeben, er würde diese Nacht nicht überleben - nein, er musste auch noch dieses unschuldige Leben mit sich reißen.
Hastige Schritte ertönten neben ihm, jemand packte ihn hektisch an den Schultern und wuchtete ihn auf den Rücken. Er sah den Sternenhimmel, dann tauchten diese wunderschönen blauen Augen in seinem Blickfeld auf, Tränen schimmerten darin. Staunend betrachtete er sie, riss sich dann jedoch energisch am Riemen. Sie durfte nicht hier sein. "Lauf weg. Lauf weg." War das seine Stimme? So schwach und verzweifelt? "Verschwinde. Hau ab, Gwen."
"Hör auf, ich lass dich doch jetzt nicht alleine." Auch ihre Stimme klang Tränenerstickt, während sie ungeschickt am Saum ihres Kleides herumfummelte. Kurz darauf hörte er das Reißen von Stoff. Als sie das Stück auf seine Wunde presste, konnte er nicht anders, als zischend Luft zu holen. Es tat so unendlich weh. Doch für sie würde er es durchstehen. "Kannst du vergessen", schob sie schließlich noch erstickt hinterher. Ihre zweite, freie Hand strich ihm eine seiner widerspenstigen Locken aus der Stirn.
Gideon de Villiers hustete. Selbst das tat ihm weh. "Immer so stur Gwenny, hm?"
Gwen blieb keine Zeit für eine Antwort, denn Rakoczy trat auf die Lichtung. Die Waffe im Anschlag und auf sie gerichtet. "Hab' ich dich, du Hexe."
"Los Gwenny, lauf", versuchte er es noch ein letztes Mal. Doch selbst wenn ihr die Zeit dafür geblieben wäre, wenn die Lakaien des Grafen sie nicht just in diesem Moment an den Armen gepackt hätten, um sie von ihm fortzureißen, in ihren Augen konnte er ein Spiegelbild seiner eigenen Entschlossenheit sehen. Nichts würde sie dazu bringen, ihn hilflos zurück zu lassen.
Obwohl er wusste, dass es ihm wahrscheinlich nicht gelingen würde, versuchte er nach seinem Degen zu greifen. Gideon wollte es versuchen, er wollte sie retten. Koste es sein eigenes Leben. Aber er war zu schwach. Wie er schon vermutet hatte. Sein Körper hatte schon genug mit dem Blutverlust zu kämpfen, das Stück Metall, welches seine einzige Waffe darstellte, konnte er nicht mehr tragen.
Und das auf diese Erkenntnis erklingende Lachen, trieb ihm die Übelkeit die Kehle hoch. Der Graf war erschienen. Den Chronographen an seiner Seite tragend und, wie der Held aus Hamlet, die Bühne betretend. Für Gwen hatte er nur einen kurzen Blick übrig, bevor er sich vor Gideon hockte. "Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, uns entkommen zu können."
Aus dem Augenwinkel sah der elfte Zeitreisende etwas in der Hand des Grafen aufblitzen, seine Erfahrung sagte ihm, dass es ein Dolch war. Er kümmerte sich nicht mehr darum. Sein Tod war akzeptabel, in greifbare Nähe gerückt, noch wollte er die Klarheit seiner Gedanken aber nutzen, um einen Weg zu finden, Gwen hier herauszuholen. Wenn er nur auf Zeit spielen konnte.
"Nehmt eure dreckigen Finger von ihm." Gwen, der Rubin, zappelte im Griff ihrer Wachen und versuchte sich durch treten und kratzen zu befreien. Jedoch erfolglos. "Ihr Schweine", brüllte sie, als der Graf das Messer ansetzte.
Der Schmerz drang erst verzögert zu Gideon durch. Er hörte den Grafen den Befehl brüllen, Gwen ruhig zu stellen und diese harschen Worte entfachten noch ein weiteres Mal jenes alte Feuer in ihm. Jenes Feuer, was nun langsam aber sicher erlosch. Er war zu schwach. Natürlich. War einmal eine der wichtigen Arterien im Körper verletzt, konnte man innerhalb weniger Minuten an dieser Verletzung sterben.
Seine Hand wurde emporgehoben, von der schwieligen des Grafen, und er spürte kaltes Metall an seiner Haut. Sein Blut würde jetzt unweigerlich in den Chronographen tropfen und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Der Graf begann salbungsvoll zu sprechen: "Der Kreis des Blutes Vollendung findet, der Stein der Weisen die Ewigkeit bindet." Der junge de Villiers konnte die Zahnräder innerhalb der Zeitmaschine ineinander greifen hören, alle Edelsteine leuchteten der Reihe nach auf und ein grellgrünes Licht erhellte die Lichtung. "Die Macht erhebt sich, es schließt sich der Kreis." Teilnahmslos, als würde sein Urahn nur über das morgige Wetter sprechen, sagte er: "Hier geht die Ära des Rubins und des Diamanten zu Ende. Am besten ihr ertragt das unausweichliche mit Fassung. Dann werdet ihr in die Analen eingehen. Als Legende."
In Gedanken zählte Gideon die Minuten bis zum Rücksprung. Es konnten nicht mehr viele sein. Sein Blick traf auf Gwens und mit einem Mal schien sich alles wie in Zeitlupe abzuspielen.
Seine große Liebe biss dem Mann, der sie festhielt in die Hand, was ihn für einen Augenblick so irritierte, dass er sie losließ. Ihre Schritte knirschten auf dem Waldboden, als sie zu ihm hinüber hetzen wollte, doch auf halber Strecke knallte ein Schuss. Sein Herz setzte für einen Schlag aus. Ebenso wie das ihre.
Die Kugel traf sie genau in die Brust. Er sah ihre Beine nachgeben und sie zu Boden stürzen. "Nein." Gideon hatte es nicht für möglich gehalten, doch die Verzweiflung in ihm machte es ihm möglich, sich trotz Blutverlust aufzurappeln. Auf Händen und Knien krabbelte er zu ihr hinüber.
Gwens Anblick zerbrach ihm das Herz. Ihre blauen Augen waren leer. In ihnen spiegelte sich das Sternenlicht, doch das Leben war aus ihnen entwischen. Eine Blutspur verteilte sich, von der Verletzung ausgehend, quer über ihre Brust und sog in den grünen Stoff ihres Ballkleides ein. "Nicht sterben. Nicht gehen." Gideon wusste, dass es längst zu spät war, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Die Wiederholung dieses Wunsches schien die Wahrheit, zumindest für einen Augenblick, von ihm fernzuhalten. Er nahm ihre Hand in seine. "Tut doch was. Tut etwas."
Ein zweiter Schuss aus Rakoczys Pistole erklang und erlöste Gideon von seiner Qual. Die Hand auf ewig mit Gwens verschränkt, sank er zu Boden, die blicklosen, leeren Augen auf seine Zeitreisepartnerin gerichtet.
Im Tode vereint. Auf ewig.
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Smaragdgrün - Im Tode vereint (OS)
FanfictionBonfire Night, 1786. Gideon de Villiers, der Diamant, ist gerade noch rechtzeitig gekommen. Einige Sekunden später wäre es bereits zu spät, der Vormarsch des Grafen nicht länger aufzuhalten gewesen und seine Zeitreisepartnerin, der Rubin, längst tot...