*Vergangenheit*
Harry
Es war mal wieder ein anstrengender Tag. Den ganzen Tag musste ich im Werk arbeiten. Alle halben Stunden hatte ich die abgebaute Kohle aus den Tiefen des Berges raus transportieren müssen. Es schien, als gebe es kein Ende.
Mein bester Freund Niall hatte schon so große Blasen auf den Händen, sodass ihm alleine die Arbeit mit der Schaufel Schmerzen bereitete.
Wir waren es gewohnt schwere Arbeit zu verrichten, aber sowas wie heute kommt selten vor.
Im Land herrschten große Wirtschaftsprobleme und auch unser Werk musste Folgen davon tragen.
Zuerst hatten sie 200 Arbeiter gekündigt und jetzt bildet sich unser Arbeitgeber ein, die gleiche Arbeit zu verrichten, nur eben mit 200 Mitarbeitern weniger.
Jeden Tag von 5 Uhr morgens bis 16:30 Uhr müssen wir im Bergwerk arbeiten. Abgesehen von den gesundheitlichen Problemen, die wir im Bergwerk mit uns zogen, leben wir nicht schlecht. Wir verdienen genug um leben zu können und uns auch Dinge kaufen zu können, die nicht alltäglich sind. Damit verstehen sich Kinobesuche oder sich hin und wieder ein Sandwich vom Fischmarkt gönnen zu können.
"Man, dieser Sonnenbrand nervt mich so", jammert Niall neben mir. Wir gehen gerade durch die Schlucht, die zum Werk führt, und Niall kann nicht aufhören zu jammern. Er hatte sich am Wochenende einen Sonnenbrand geholt. Da wir die meiste Zeit im Werk verbrachten, hat Niall eine extrem blasse Haut und die ist sehr empfindlich. Ich hingegen war sowieso ein dunkler Typ und musste mich nicht mit Sonnenbränden herumschlagen.
"Immerhin blendest du mich jetzt nicht mehr mit deiner Haut", lachte ich.
"Mach du dich nur lustig", knurrte er neben mir.
Wir unterhielten uns noch über dies und jenes ehe wir am Ende der Schlucht ankommen und uns verabschieden, da wir nun in verschiedene Richtungen gehen müssen.
Ich machte einen kurzen Halt in der Bäckerei meiner Tante Doris und kaufte mir ein Weckerl.
Als ich aus der Bäckerei raus ging, fiel mein Blick sofort auf das Mädchen auf der Brücke.
Ein Mädchen mit braunen Haaren kniete auf dem Boden und händelte gerade bei ihrem Fahrrad herum.
Automatisch setzten sich meine Füße in Bewegung und ich lief zu ihr.
Sie war so auf ihr Fahrrad konzentriert, dass sie mich gar nicht bemerkt hatte, als ich mich vor sie hin stellte.
"Brauchst du vielleicht Hilfe?"
Nun sah sie auf. Mir fiel sofort auf wie wunderschön sie ist. Sie hatte wunderschöne blaue Augen und ihre braunen Haare fielen ihr ins Gesicht als sie aufsah.
"Ähm, ich weiß nicht", stottert sie und sah wieder auf ihr Fahrrad hinab. Ihre zarten Hände waren voll mit dem Schmieröl der Ketten.
Ich aß noch das letzte Stück meines Weckerls und kniete mich dann neben sie.
"Wir werden das schon hinkriegen. Wie ist das passiert?"
"Ich habe auf den Fluss gesehen und dabei die Gehsteigkante übersehen, dann bin ich hingefallen und die Kette ist runtergesprungen"
Erst jetzt bemerkte ich, dass das Mädchen auf einem Knie blutete und die Hose zerissen war.
"Wie geht es deinem Knie? Tut es sehr weh?", fragte ich sie während ich sie skeptisch musterte.
"Es geht schon, am Wichtigsten wäre es mir, wenn das Fahrrad wieder geht, damit ich nach Hause fahren kann"
Bevor ich weiter am Fahrrad herum handierte, griff ich in meinen Arbeitsrucksack und holte eine kleine Tasche heraus. Ich wühlte solange in der Tasche herum, bis ich fand, was ich suchte.
"Streck dein Knie aus, ich habe etwas, dass dir helfen wird"
Sie sah mich verwirrt an, folgte aber nach ein paar Sekunden meinen Anweisungen. Vorsichtig fing ich an den Verband um ihre Wunde zu binden, nicht zu fest und nicht zu locker.
"Du arbeitest bestimmt im Werk, habe ich Recht?", fragte mich das Mädchen.
"Ja, woher weißt du das?"
Sie lachte leise "Naja, nicht jeder hat einen Verband bei sich".
"Da hast du recht", grinste ich. "Geht es so?"
Sie stand langsam auf und ging ein paar Schritte "Ja, danke!"
Ich nickte zufrieden und widmete mich wieder dem Fahrrad. Ein paar Mal versuchte ich die Kette wieder dort hin zu bekommen, wo sie hingehört, aber es funktionierte nicht.
"Bei mir hat es auch nie geklappt", stöhnte das Mädchen verzweifelt.
"Ich weiß auch schon warum", antwortete ich ihr und klopfte ein paar Mal gegen ein paar Stellen.
Sie kniete sich nun wieder neben mir hin und beobachtete das, was ich tat.
"Dieses Zahnrad ist komplett verbogen, und dort hinten", ich zeigte auf eine Stelle " ist es komplett abgebrochen. Da musst du in eine Werkstatt. Leider kann ich dir da nicht helfen".
Das Mädchen stand auf und ich tat es ihr gleich.
"Hm, danke auf jeden Fall. Ich werde es schieben.", verzweifelt griff sie nach ihrem Fahrrad und ging in eine Richtung davon.
Ich starrte ihr noch einige Sekunden nach.
"Hey! Warte! Ich helfe dir", rief ich ihr nach und setzte mich auch schon in Bewegung um zu ihr zu gelangen.
Sie blieb stehen und drehte sich um "Wirklich? Das musst du nicht tun. Ich schaffe das schon"
Als ich bei ihr angelangt bin antwortete ich ihr zwinkernd: "Ach ich muss sowieso in diese Richtung gehen. Und da du doch schwer verletzt bist, helfe ich dir eben".
Das Mädchen fing an laut und herzhaft zu lachen "Naja dann danke, dass du mir hilfst, wenn ich doch so schwer verletzt bin".
Wir gingen aus der Stadt raus und gingen auf einer langen Schotterstraße, die von Bäumen umhüllt war, entlang bis zu einem großen weißen Haus. Auf dem Weg dorthin hatte das Mädchen mich über die Arbeit im Bergwerk ausgefragt und ich erzählte ihr davon.
"Hier sind wir", lächelt das Mädchen.
Ich schob ihr das Fahrrad zu und übergab es ihr.
"Danke noch einmal, vielen vielen Dank!"
Ich grinste sie an "Kein Problem. Ich war froh, dass dir noch kein anderer geholfen hat, und ich die Ehre hatte".
Sie lachte wieder lauthals und sah mir in die Augen. "Naja, dann gehe ich mal hinein. Meine Eltern machen sich sicher schon Sorgen."
"Hat mich gefreut dich kennen zu lernen. Ich bin übrigens Harry"
Sie lächelte nur "Hat mich auch gefreut, Harry".
Mit dem Fahrrad ging sie aufs Haus zu und ich starrte ihr wieder mal nach.
Als sie auf der Treppe zur Haustür stand, drehte ich mich um und ging wieder zurück in die Stadt.
Eigentlich wohnt sie in der komplett anderen Richtung als ich. Ich hatte nur gesagt, dass ich sowieso in die gleiche Richtung musste, damit sie mich mitgehen ließ.
"Ich heiße übrigens Kelly", hörte ich noch jemanden schreien.
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Stolen
Hayran KurguJeden Tag bekommen wir von Filmen, Büchern, Werbungen oder unseren Eltern eingeredet, dass das Leben perfekt ist. Jeder spricht vom glücklichen Leben, bei dem alles perfekt verläuft: Verlieben, Heiraten, Kinder kriegen. Da...