Kapitel 1 - Böses Erwachen

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Angst. Ich habe Angst.

Die Dunkelheit umfing sie. Es war viel zu still in diesem Raum – und zu kalt. Alex war mit Atemnot aufgewacht und starrte gerade aus. Wie lange war sie schon hier? Würde sie je hier gefunden werden? Wo waren ihre Kollegen? Tapsende Schritte über ihr. War es ein Tier? Alex schauderte und versuchte zum ersten Mal, sich zu orientieren. Ihre müden Augen konnten sich langsam aber sicher an die Finsternis gewöhnen, jedoch gab es nicht viel zu sehen: Sie befand sich in einem Kellerabteil, das keine Fenster hatte und der einzige Streifen Licht schien durch eine Tür zu ihrer Rechten. Dazu lag sie in einer Wanne voller Papier. Da ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt waren, konnte sie auch ihre gefesselten Füße nicht befreien. Alex' Kopf brummte wie ein Bienenschwarm. Mühsam rief sie sich in Erinnerung, was zuletzt passiert war:

Ihre Kollegen und Sie mussten einen zwei Jahre alten Fall wieder aufrollen, bei dem neue Beweise aufgetaucht waren. Ein kleines 6-jähriges Mädchen namens Elisa war entführt worden und blieb vom Erdboden verschluckt. Man fand nie eine Leiche, jedoch hatten die Kommissare in Erfahrung gebracht, dass das Mädchen einen Stalker hatte. Gerrit und Alex hatten den Kerl fassen können, als er einem anderen Kind aufgelauert hatte. Bei diesem Eingriff konnten Sie seine Wohnung durchsuchen und genug Beweise für eine Entführung finden, wie zum Beispiel Klamotten des Kindes. So wurde er vor Gericht gestellt und für fünf Jahre weggesperrt. Der Staatsanwalt war sich sicher, dass er das Mädchen verschwinden lassen hatte. Doch das konnten sie ihm nicht nachweisen – der Angeklagte hatte zugegeben, das Mädchen zu sich genommen zu haben. Er sagte jedoch aus, dass er das Kind bereits am Abend wieder gehen hatte lassen. Niemand glaubte ihm.

Bis jetzt.

Die Kommissare hatten am Tag zuvor einen anonymen Anruf erhalten, der Sie zu einem Videoverleih führte. Der Besitzer des Verleihs händigte ihnen einen Brief inklusive einer Videokassette aus, auf der die Kommissare sahen, wie ihr alter Verdächtiger das Mädchen vor Ihrem Haus aus dem Auto ließ und ihr zuwinkte. Kurze Zeit später, als Elisa noch auf der Straße die Wolken beobachtete, erschien ein zweiter Mann mit dem Rücken zur Kamera. Er nahm das Mädchen auf den Arm und marschierte mit ihr die Straße entlang. Als er die nächste Kreuzung erreicht hatte, verschwand er mit Elisa. Die Statur des Mannes war viel zu schmächtig gewesen, als dass es ihr Verdächtiger Schultze sein hätte können. Die Kommissare mussten dem Staatsanwalt den Beweis vorlegen und so war ihr einziger Verdächtiger wieder auf freiem Fuß. Also hatten Alex und ihre Kollegen alle Spuren noch einmal hervorgeholt und in alle Richtungen ermittelt. Michael hatte mit dem Besitzer der Videothek gesprochen. Seine Beschreibung hatte ihnen leider nicht weitergeholfen: „Groß, schmal aber kräftig und dunkle Haare. Er hatte einen Kapuzenpulli und eine Jeans an." Das hätte so ziemlich jeder sein können. Die IT hatte ihnen ein Foto des Mädchens altern lassen, sodass sie eine ungefähre Vorstellung bekommen konnten, wie das Mädchen jetzt aussehen könnte. Sie hatten das Bild schon in die Zeitung gesetzt, doch eigentlich keine Reaktion erwartet, da sie davon ausgingen, dass das Kind irgendwo ermordet worden war. Als Alex jedoch eines Abends die letzte im Büro war, erreichte sie ein Anruf eines Herren, der schwor, er habe das Mädchen gerade in der Sonnenstraße im Stadtteil Sendling gesehen. Um der Spur nachgehen zu können, rief Alex noch kurz bei Gerrit durch: „Hi du, also habe eventuell eine Spur, da fahr ich noch schnell hin vor Feierabend. Nur dass du Bescheid weißt." Kurz schilderte sie ihm die Worte des Anrufers. Ihr Kollege war nicht sehr begeistert: „Alex, vergiss es. Du gehst da nicht alleine hin. Schau mal auf die Uhr!" Alex musste schmunzeln: „Kollege mach mal langsam, ich bin schon groß und kann auf mich aufpassen. Außerdem habt ihr alle schon Feierabend." Gerrits Stimme war etwas lauter geworden: „Alex hör mir zu: Bleib im Wagen, ich komme dazu. Ich muss mich kurz anziehen, dann bin ich in 25 Minuten vor Ort, okay?" Alex errötete leicht, als Gerrit das sagte. Sie konnte es sich zu lebhaft vorstellen, wie er nur in Boxershorts bei sich daheim rumlief. Also sagte sie kurz „Ok, bis dann.", dann schnappte sie sich ihre Jacke und verließ das Büro. 

In der Sonnenstraße angekommen suchte sich Alex die nächstbeste Parkbucht und stellte ihr Auto ab. Wie sie es Gerrit versprochen hatte, blieb sie im Skoda sitzen und beobachtete aufmerksam die Umgebung. An einer Häuserfassade stand ein Jugendlicher, der eine Zigarette rauchte. Vor einem Schaufenster stand ein mittelalter Herr, der sich scheinbar sehr für die Hüte dort interessierte. Ansonsten war die Straße ausgestorben, keine Frau – schon gar keine, die Elisa ähnlich sah. Ungeduldig sah Alex auf die Uhr: 21:24. Vor 20 Minuten schon hatte sie Gerrit angerufen. Ob er sich wohl verspätete? Das passierte ihm eigentlich selten, er war wirklich zuverlässig. Sie hatte ihn gerne bei sich, denn er war immer fürsorglich und half ihr bei jedweden Problemen – und wenn er sie nur in den Arm nahm, weil es ihr schlecht ging. Er benahm sich zwar manchmal wie ein pubertärer Jugendlicher, aber meistens hatte er das richtige Gespür, wenn es um sie ging. Ein bisschen glaubte sie, dass sie sich in ihn verguckt hatte. Jedoch hatte sie seine Avancen bislang abgewehrt. Ob das ihn kränkte? Alex war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie sich sehr erschreckte, als jemand an ihr Fenster klopfte. Sie erwartete, Gerrit zu sehen aber es war nur ein älterer Herr, der versuchte, ihr was durchs Fenster zu sagen. Alex öffnete vorsichtig die Tür und der Mann trat etwas zurück: „Guten Abend, ich glaube wir haben telefoniert.", sagte er mit einer tiefen, dunklen Stimme. Alex musterte den Mann eingehend, während sie die Autotür schloss. Der Kerl war etwa zwei Köpfe größer als sie, hatte ein schlabbriges, graues Hemd und eine weite, blaue Hose an. Sein brauner Bart wirkte ungepflegt aber seine grünen Augen leuchteten. In seine Haare hatten sich bereits einige graue Strähnen eingeschlichen. „Ja, mein Name ist Rietz vom K11. Wo haben sie das Mädchen denn gesehen, Herr..?" „Rühlke, Frau Rietz. Ich habe mir ein Plätzchen zum Schlafen gesucht und da habe ich sie gesehen. Sie sah nicht ganz so aus wie auf dem Bild, aber sie hätte eine Schwester sein können." Alex hatte kurz in ihr Auto gelangt und sich ihren Notizblock geschnappt. „Wann genau haben sie das Mädchen gesehen? Können sie mir sagen, wo sie hin gegangen ist?" Der Mann kratzte sich an der Stirn, bevor er antwortete: „Ich denke, vor ca. 20 Minuten, sie ist in den Gängen zwischen den Häusern verschwunden, genau da drüben!" Und er zeigte Alex eine Hofausfahrt auf der Straße gegenüber. „Ich kann Sie begleiten, wenn Sie wollen? Immerhin ist es schon spät." Dankend nahm Alex die Hilfe von Herrn Rühlke an. Alex schloss das Auto zu und ging mit dem Wohnungslosen über die Straße. Vorsichtig lugte sie um die Ecke in den Hof. „Das müssen über 30 Parteien sein. Wie soll ich die denn jemals überprüfen.", dachte Alex bei sich, als beide den Hof überquert hatten und sie sich der Verbindungsgasse zwischen den Häusern näherten. Plötzlich hörte Alex Schritte hinter sich. Sie war schon im Begriff sich umzudrehen, als sie einen harten Schlag an der Schläfe spürte. Dann wusste sie nichts mehr.


Angst [K11 - Kommissare im Einsatz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt