Kapitel 2 - Was nun?

665 24 4
                                    

Der Penner hingegen schrie laut auf und lief aus dem Hof hinaus, dicht gefolgt von dem vermummten Angreifer. Als er auf die Straße rannte, erwischte ihn ein Auto und er wurde ein Paar Meter durch die Luft geschleudert. Quietschend kam das blaue Auto zum Stehen. Während der Fahrer noch auf den Verletzten zulief, zog sich der Angreifer zufrieden in die Schatten zurück und ging wieder in den Hof, wo sein Opfer lag. Gerrit war schon lange nicht mehr so geschockt gewesen, es war ihm jemand vors Auto gelaufen! Er hatte zwar sofort gebremst, aber die Person voll erwischt. Noch während er die Tür seines Autos auf schleuderte, hatte er das Telefon in der Hand und schon einen Notruf bei der Leitstelle abgesetzt. Zitternd kniete er bei dem Verletzten und brachte ihn vorsichtig in die stabile Seitenlage. Der Verletzte keuchte „Sie...verletzt...gerufen...meine Schuld...Polizistin...!" Sein Versuch, etwas zu sagen wurde immer von Husten unterbrochen und machte nicht wirklich Sinn. Gerrit versuchte den Mann zu beruhigen: „Der Notarzt ist gleich da, es wird Ihnen bald wieder gut gehen." Er konnte schon die Sirene des Sankas hören, als der Verletzte die Hand hebt, auf die andere Straßenseite deutet und den Atem ausstößt: „Rietz!"

Gerrit war es als wollte ihm sein Herz stehen bleiben. Wie betäubt sah er sich um und entdeckte Alex' Wagen keine 15 Meter entfernt. Er konnte von hier aus sehen, dass das Auto leer war. Eine eisige Kälte erfasste ihn: Wo war Alex? Kaum waren die Sanitäter bei ihm angekommen sprang er auf und lief zum silbernen Skoda seiner Kollegin. Er rüttelte an der Tür, jedoch war abgesperrt und Alex' Handy lag auf dem Beifahrersitz. Schnell wandte Gerrit sich um und rannte zu dem Hof, auf den der verletzte Mann gezeigt hatte. Er suchte das Gebiet bis auf den letzten Zentimeter ab und als er nichts fand, verfluchte er die Ampelschaltung, die ihn aufgehalten hatte. Scheinbar hatte ihn diese genau die fünf Minuten gekostet, die er hier zu spät dran war. Und Alex war nicht im Auto geblieben, sondern war wieder alleine los. So sehr er ihren Mut und ihre Störrischkeit liebte, in diesem Moment war er stocksauer. Frustriert hieb er mit der Hand gegen das nächstbeste, was ihm vor die Finger kam: eine Wand. Seine Fingerknöchel platzten auf, jedoch merkte Gerrit das nicht. Er hatte in einem kleinen Verbindungsgang einen Schatten gesehen und lief nun eilig dahin. Doch auch da war nichts, der Schemen, den er gesehen hatte war wohl ein Busch gewesen, der im Wind seine Zweige bewegt hatte. Eine Gefühl des Scheiterns erfasste ihn: er konnte seine Kollegin nicht schützen, Alex war weg, den einzigen Zeugen hatte er angefahren und nun hatte er keinerlei Anhaltspunkt, wie er weiter verfahren sollte. Gerrit starrte geschlagene fünf Minuten auf den Busch vor ihm, bis er endlich aus seiner Starre erwachte. Gerade wollte der junge Polizist zu seinem Auto zurückkehren, als ihm ein dunkler Fleck am Boden auffiel. Sofort zog er sein Handy heraus und aktivierte die Taschenlampe: Es war ein Blutfleck und sogar noch feucht, also noch nicht lange da. Er hatte eine Spur gefunden! Gerrit betete im Stillen zu Gott und gab Alex noch leise ein Versprechen, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte: „Ich finde dich Alex, egal was es mich kostet!"

Dann zog er erneut sein Handy heraus und informierte sowohl die Spurensicherung, als auch Michael und Robert.

Gerrit lief wie ein gefangenes Tier auf und ab. Er wollte die Umgebung nach Alex absuchen, etwas herausfinden, eine Spur entdecken, einfach irgendetwas tun, das Alex half. Doch er musste auf seine Kollegen warten und ihnen die Geschehnisse mitteilen. Mit den Sanitätern hatte er ausgemacht, dass er benachrichtigt werde, wenn sich etwas bei dem Obdachlosen tut – positiv als auch negativ. Gerrit hoffte, dass er nicht den einzigen Zeugen auf dem Gewissen hatte. Da endlich! Er sah den dunkelgrünen Wagen von Robert auf sich zufahren. Als sein Kollege aus dem Auto stieg, überkam ihn Mitleid: seine Haare waren zerzaust und sein Gesicht wirkte, als hätte er tagelang nicht geschlafen. Er musste Robert mitten aus seiner Tiefschlafphase gerissen haben – immerhin war es elf Uhr vorbei. Doch obwohl Robert müde war, ließen ihn Gerrits Worte hellwach werden: Alex verschwunden, kein Anhaltspunkt und ein Zeuge in Lebensgefahr. Robert strich sich nervös die Haare aus den Augen, während er nachdachte. Doch auch er kam nicht wirklich zu einem Schluss. Das wichtigste war der Zeuge, ohne ihn hatten sie wohl kaum eine Chance herauszufinden, wo ihre Kollegin steckt. Keine zwei Minuten später kam Michael in der Sonnenstraße an. Er stürzte sich sofort auf Gerrit, warum er Alex nicht aufgehalten hatte und in welchem Schlamassel sie jetzt saßen. Gerrit hatte dem nichts entgegenzusetzen, zu sehr nagte die Schuld an ihm, dass er nicht rechtzeitig da gewesen war. Schließlich war es Robert der Michael über den Mund fuhr: „Michi, jetzt mach mal halblang. Gerrit hatte keine Chance, immerhin hat er den Mann voll erwischt und musste sich um ihn kümmern. Und du weißt doch, das Alex sich nicht so für schwach hält, dass sie nicht einmal aus dem Auto aussteigt, nur weil Gerrit es ihr sagt." Michael brummte noch etwas undeutliches, hörte aber auf, Gerrit verantwortlich zu machen. Es war sogar er selber, der seine Kollegen ins Bett schickte. „Jungs, fahrt heim und legt euch hin. Ich bleibe noch etwas hier, jetzt wo ich schon wach bin." Robert und Gerrit protestierten vehement, doch Michael blieb dabei: „Ihr könnt jetzt sowieso nichts machen! Wir müssen den Bericht der Spurensicherung und die Meldung aus dem Krankenhaus abwarten. Schlaft lieber ein wenig, wir brauchen morgen alle unsere Kräfte, es gilt Alex zu finden!" Beide Kollegen sahen, dass er Recht hatte und verabschiedeten sich von ihrem älteren Freund. Robert überzeugte Gerrit davon,, bei ihm zu schlafen, denn er sah, wie sehr sein Kamerad von den Ereignissen mitgenommen worden war. In Kolonne fuhren sie hintereinander her zu Roberts Wohnung, wo Robert noch schnell die Hand seines Kollegen reinigte und verband. Beide wünschten sich eine gute Nacht und verschwanden im Bett. Gerrit versuchte es sich in dem Gästebett gemütlich zu machen, doch Sorge um Alex spukte ihm im Hirn herum und so wälzte er sich eine Weile hin und her. Er musste dringend schlafen, denn er wollte am nächsten Tag um acht Uhr wieder fit sein. Nebenan hörte er Robert leise schnarchen und so riskierte er einen Blick auf die Digitaluhr, 01:29 zeigte sie an. Bereits zwei Stunden war sie alleine und keiner wusste, wo sie war und wie es ihr ging. Zum ersten Mal seit langem betete Gerrit wieder, nicht für sich, nur für Alex. Dann wandte er alle Kraft auf, die er übrig hatte, drängte die Probleme und Sorgen beiseite und konzentrierte sich aufs Schäfchen zählen.


Angst [K11 - Kommissare im Einsatz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt