8. Die Nacht

21 0 0
                                    

Es war eine Sternenlose Nacht. Eine, in der nur der Polarstern mir entgegenleuchtete. Es war Vollmond, mir war nicht kalt. Im Gegenteil. Die Frische verlieh mir endlich ein angenehmes Gefühl von Sortiertheit. Meine Gedanken schlugen immer noch Kreise, doch ich fühlte mich freier. Demon war aus meinem Kopf verbannt. Meine Mutter schob ich beiseite. Meine Angst hielt nun Ich im Würgegriff und jede Faser von mir erholte sich langsam. Es war ein Wunder, dass niemand nach mir suchte. Ich liebte die Nacht mehr als den Tag. Eigentlich würde ich am liebsten nur bei Nacht aus meinem eigenem, kleinem Loch krabbeln. Nachts war alles dunkel, ich musste mich nicht verstecken dann Nachts war ich allein. Allein, nicht verlassen.

Allein sein und verlassen sein ist ein Unterschied.
Wie heißt es so schön: I like to be alone. But I hate being lonly.
So oder so ähnlich. Ich war eigentlich kein Freund von tiefen Sprüchen. Eigentlich war ich sogar ziemlich lustig. Wenn Sarkasmus dazu gehörte. Ich wusste, dass ich dazu neigte sakastisch zu klingen. Und egal wie ernst ich teilweise redete, es klang trotzdem sarkastisch. Zudem war ich ein Pessimist aus Leidenschaft. So war es einfacher für mich durch das Leben zu gehen, ohne zu sehr enttäuscht zu werden. Denn wenn ich nichts erwartete konnte ich nicht enttäuscht werden. Höchstens überrascht.
Ich atmete tief ein und wieder aus. Die Luft war so klar, nicht verpestet von Autoabgasen. Oft fühlte das Leben sich so an. Verpestet vom Schlechten, der Angst, den eigenen Dämonen. Oft fühlte ich mich allein, verloren in der Menschenmenge. Manchmal hasste ich mich, für das was ich war. Manchmal gab ich die Hoffnung in mir selbst auf. Doch am Ende zwang es mich nicht in die Knie. Vielleicht war das eine meiner Eigenschaften, die ich hasste und gleichzeitig liebte. Es war mein Entschlossenheit an Leben. Ich hasste das Leben, doch gleichzeitg liebte ich es. Vielleicht zerstörte ich mich selbst. Vielleicht war es der Schmerz, der mich lebendig ließ. Vielleicht war es tatsächlich nur der Schmerz, weshalb ich nicht aufgab. Denn wenn da nichts mehr wäre, nichts als leere, denn und erst dann hätte ich aufgegeben gehabt. Hatte ich aber nicht.

Seufzend richtete ich mich aus dem Gras auf und lief zurück. Zurück zu den Haus das ich in kürze verlassen gehabt würde. Doch ich lächelte. Ich hatte keine Angst vor einem Neuanfang, denn ich erwartete nichts. Vielleicht wollte ich an mir selbst arbeiten, villeicht auch nicht. Ich wollte mich nicht verstellen. Ich wollte real bleiben. Ich wollte der, manchmal depressive, manchmal verrückte, manchmal hassende Kerl sein der durch sein Leben lief. Ich wollte nichts in den Arsch geschoben bekommen. Ich wollte selbst dafür kämpfen. Denn nach langem grübeln war ich zu der Erkenntnis gekommen, dass ich einer war. Ein Kämpfer. Und ich konnte nicht einfach sterben. Ich gönnte es ihnen nicht meinen Namen auf den Grabstein zu meißeln. Ich gönnte es ihnen nicht, als Mädchen sterben zu müssen.
Irgendwann würde ich, Leo, unter der Erde liegen und es alles gezeigt haben. Ich werde gezeigt haben was für ein kämpfender ich war. Das sie sich alle in mir geirrt hatten. Das ich kein Freak war. Zugegeben, ich war oft auch unfreundlich gewesen. Ich hatte immer die Heuchler gehasst. Hab versucht jemanden zu finden, der keine Fassade war. Doch genau dort war ich an mir selbst gescheitert. Ich war selbst ein Heuchler.
All die Jahre hatte ich die Mauer mit mir herum getragen, mich versteckt, alle brav nachgeäfft. Wie ein Hirnloser bin ich durch die Welt gelaufen. Und nun verurteilte ich Menschen? Nein, das tat ich nicht. Ich fühlte mich nicht dafür zuständig. Ich ließ diese Leute einfach in Ruhe.

"Na kleiner, was treibst du noch so spät auf den Straßen?"

Erschrocken fuhr ich herum.

Eine alte Dame, die Stimme so rau wie Schmiergelpapier und ein Lächeln so ehrlich aus vollem Herzen, sah mich fragend an. Ihre Kleidung war abgetragen, schmutzig und roch nach Teer und Zigaretten.

"Nur wieder in Gedanken", antwortete ich ehrlich und knapp. Sie lachte, was sehr kratzig klang. "Du bist ehrlich, sieht man heute nur noch selten." Ihr Blick verriet nichts, doch sie setzte sich zurück auf die Parkbank neben ihr.

"Junge, willst du dir Löcher in den Bauch stehen oder was? Schwing seinen Arsch mal zu der alten Tante Tris. Außer du hast heute Nacht noch ein Betthäschen auf dich warten." Ihr Mundwerk war wohl so dreckig, wie die Bahnhofstoiletten. Doch sie gefiel mir. Gefiel mir in Sinne von, sie war mir sympatisch. Mit schnellen Schritten lief ich zu ihr und setzte mich neben die auf die Parkbank.

Sie seufzte leicht. "Was bedrückt dich Kind?" Mehr fragte sie nicht. Nur diesen einen Satz. Und dann sprudelte es aus mit heraus, als hätte ich mein Leben lang auf die gewartet.

"Eigentlich ist es nicht von Bedeutung. Nur mein eigenes Leben. Weißt du, ich hasse es anders zu sein. Und dennoch liebe ich es. Ich hasse meine zwei Seiten und dennoch liebe ich sie. Ich hasse es zuhause. Und jetzt wo ich weg kann... Es tut einfach weh. Es tut weh zu wissen, dass es mir nichts bedeutet. Eigentlich würde ich sterben wollen. Aber andererseits kann ich es nicht. Weil da dieser Teil von mir ist, der am Leben hängt. Und ich kann alle Seiten verstehen, aber sie kämpfen. Und es wird vermutlich nie einen Gewinner geben."

Tris, die alte Dame, schüttelte den Kopf. "Weißt du mein Junge, du bist ein guter Mensch. Aber merk dir eins. So hart es klingt, das ist dein Leben. Und du bist der, der es beenden sollte wenn du es musst." Sie machte eine Pause, hustete. "Tu mir einen gefallen und steh aufrecht. Deine Brüste sind nun einmal noch da. Genauso wie deine Stimme und jeder Teil deines Körpers den du hasst. Scheiß drauf was andere sagen. Sei du selbst. Die Windelträger von Expertenknackis haben keine Ahnung was für einen Stuss die labern. Es ist nun einmal da. Das bist du mein Junge. Weißt du, ich lebe jetzt seit vierzig Jahren auf der Straße. Und ich scheiße auf die, die meinen mir Mitleid zu schenken. Ich krieche dieser Gesellschaft nicht in den Arsch. Auch wenn ich eventuell eines Tages auf dieser Bank erfrieren werde. Es ist mir egal was andere davon halten. Für mich reicht es. Es reicht um mich glücklich zu machen. Denn das alte Leben will ich nicht wieder haben." Ihr Lachen war ansteckend. Ich konnte nicht anders als auch zu lachen. Diese Dame war unglaublich.

"In Ordnung. Ich geh wieder heim." Ich grinste sie an.

"Was ist dein Lieblingsessen", fragte ich als ich schon stand.

"Erbsensuppe", antwortete sie trocken und grinste dabei.

"Dann sehen wir uns morgen Tris!" Ich war schon einige Meter von ihr entfernt, sie hatte kurz gewunken, da blieb ich erneut stehen.

"Ich heiße Leo", brüllte ich ihr noch zu. Leise vernam ich noch, "Du mich auch, du Wicht", denn bog ich in die Straße meines zuhauses. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Sehlig betrat ich das Haus. Den Transporter in der Auffahrt hatte ich fast übersehen. Doch als ein Junge im Flur stand wurde ich stutzig. Erst recht wegen seinen Worten.

"Mir egal was hinter seiner Fassade steckt. Er ist für mich Leo, so wie ich ihn kenne und wie er sich präsentiert."

LebenssplitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt