Der Junge hielt die Augen geschlossen obwohl er schon wieder zu sich gekommen war. "Er ist schon einer von uns." Dies sagte eine Frau, eine Frau die der Bewusstlose genau kannte. Schritte bewegten sich durch den Raum.
"Er war auch davor nicht ganz..." Der Mann mit einer rauhen, ruhigen Stimme ließ den Satz in der Luft hängen.
"Egal", schloss er nach einigen Sekunden seine Überlegung ab.
Die Frau antwortete nicht mehr, stattdessen strich sie dem Jungen zärtlich über die Wangen.
"Er wird nie so sein wie die anderen, Meister." Erklärte sie nach einer Schweigeminute.
"Aber gut genug." Antwortete der Meister zornig. Die Frau entfernte sich von dem vermeintlich schlafenden Jungen.
"Wo habt Ihr ihn gefunden?" Die Stimme der Frau Klang hell, heller noch als ein Glöckchen.
Der Herr dieser Runde schwieg. Somit war dieses Gespräch anscheinend beendet. Man hörte wie sich High-Heels mit einem lauten Schall entfernten. Die Frau war gegangen.Der Junge öffnete die Augen, sachte, denn das grelle Licht, das von oben auf ihn herab schien, blendete ihn. Sofort beugte sich ein Mann mit einem absonderlichen Tattoo im Gesicht über ihn und grinste. Seine blauen Augen schienen den Jungen zu fixieren, es schien als wollten sie ihn durchbohren.
"Hast du Schmerzen?" Stimmte der ältere Mann ein Gespräch an. Während der Transformation hatte er Schmerzen, unerträgliche Schmerzen, doch jetzt, jetzt spürte er nichts mehr.
"Du brauchst keine Angst haben, du bist jetzt besser als die anderen Menschen, du bist etwas Besonderes."
"Besonderes" Wiederholte der Junge, mit einem starrem Blick nach vorne.
"Kannst du aufstehen?" Der Mann verschwand wieder aus seinem Blickfeld. Der Junge wusste nicht ob er aufstehen konnte, er wusste nicht wie er sich überhaupt bewegen sollte. Er hatte von nichts mehr eine Ahnung.
"Komm, steh auf." Die Hand, die der Alte ihm hin hielt, war voller Narben. Zögernd ergriff der Junge sie.
"Ich bin Mavis. Mavis Allington." Stellte sich der groß gewachsen Mann vor nachdem er ihn auf die Beine gezogen hatte. Der kleinere, eben erwachte Kniff die Augen zusammen.
"Ich heiße Lukas." Man erkannte das Misstrauen in den grünen Augen, die Mavis von oben bis unten musterten.
Der Mann war für sein Alter recht dünn und sportlich, er trug eine weite Hose die seine Beine dicker erscheinen ließen als sie in Wirklichkeit waren, seine Muskeln waren durch das Hautenge Langarm- Shirt deutlich zu sehen. Mavis grinste ihn an.
"Weißt du was du bist?" Die Stimme des Mannes Klang ruhig, zu ruhig, fast bedrohlich.
"Ich bin... na ja... ich..." begann Lukas, ließ den Satz aber in der Luft hängen und sah Mavis hilfesuchend an. Er beobachtete etwas in den Augen des Mannes, etwas faszinierendes, das er dennoch nicht einordnen konnte. Hinter der Fassade jedoch, könnte Lukas etwas tieferes erkennen, etwas, das nur zu sehen war, wenn man genauer hinsah, etwas bedrohliches.
"Nun Lukas, du bist etwas Besonderes, etwas wovon keiner erfahren darf." Man sah deutlich, dass der letzte Satz, Lukas innehalten ließ. Keiner durfte etwas erfahren. Mavis hatte das "Keiner" betont. Warum? Wer war Lukas nun?
Mavis drehte sich um und ging ein paar Schritte Richtung Tür. Er wollte diese gerade öffnen, als er sich erstaunt umdrehte. "Was ist denn los? Komm mit! Ich will dir etwas zeigen, mein Junge!" Lukas stand einen Moment regungslos da, unfähig auch nur ein Wort zu sagen.
Nach einigen Sekunden setzte er sich dann doch in Bewegung. Lukas Pechschwarze Haare klebten an seiner Stirn, die Schweißperlen glänzten auf seinem ganzen Gesicht. Sein Atem ging, um so näher er der Tür kam in der Mavis stand, immer schneller, sein Herz schien ihm förmlich aus der Brust zu springen.
"Keine Angst mein Junge", Mavis klopfte Lukas auf die Schulter, "solange du auf meiner Seite bist, bist du in Sicherheit."
Solange du auf meiner Seite bist.
Lukas wiederholte diese Worte im Kopf.
Sicherheit.
Er fand, dass Sicherheit ein schlimmes Wort war, schon zu oft wurde er damit belogen. Mavis schob den Jungen den Flur entlang, bis sie schließlich vor einer silbernen Tür stehen blieben.
Lukas konnte sich, ein wenig verzerrt, in der großen, schweren Tür sehen.
Seine Haut war so blass wie immer, doch er hatte ein Tattoo im Gesicht, genau dasselbe wie Mavis es hatte.
Die Narben, die Lukas Hände schon seit seiner Kindheit zierten, waren fast verschwunden.
"Ich habe..." Lukas konnte den Satz nicht zuende sprechen, denn Mavis unterbrach ihn während er den schweren Riegel vor der Tür zur Seite schob.
"Dein Leben wird sich ab heute ändern, mein Lieber. Deine Vergangenheit wird immer mehr verblassen. Du wirst ein Neuer Mensch werden"
Mavis öffnete die Tür.
Was dahinter zum Vorschein kam ließ Lukas erstarren.