Biografien über Arschlöcher

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Als ich die Tür öffne steht mir eine fröhlich wirkende Liv entgegen. Würde man von ihrer Krankheit nichts wissen, könnte man schnell denken, ihre Emotionen wären echt.

Aber sie sind es nicht. Sie hat gelernt, an den richtigen Momenten die richtigen Emotionen zu zeigen. Aber irgendwie scheinen sie echt. Die Mundwinkel ziehen sich in die Höhe und ihre Augen funkeln. Ich muss mich am Türrahmen stützen, um nicht vor ihr zusammen zu sacken.

Sie trägt ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz. Etwas nervös zieht sie ihr weißes T- Shirt in die Länge und streicht die Hände an der grünen Hose ab, als wären sie nass. Mit einer übereiligen Handbewegung, greife ich sie an die Hand und ziehe sie ins Haus, als wollte sie wieder flüchten und ich müsse sie daran hindern. Mit dem Fuß kicke ich die Tür ins Schloss und biete ihr an ihren Mantel aufzuhängen. Verwirrt schaut sie an sich runter. Dabei werde ich wahrscheinlich rot wie eine reife Tomate, als mir wieder ein fällt, dass sie nur ein T- Shirt trägt. Ich lächle verlegen.

„Hi", begrüßt sie mich schüchtern und schaut sich mit offenen Mund unseren großen Flur an. Schon an den beiden Wänden hängen eine Menge alter Familienfotos, wie auch große Poster artige Bilder von Joe, Kevin und mir. Nur auf wenigen Bildern ist der jüngster der Familie Jonas. Franklin, der oft in Hintergrund tretende Nesthäkchen."Wow", staunt sie und ergreift meine Hand. Wenn sie unser Flur fasziniert, sollte sie erst einmal unsere obere Etage anschauen, mit eigenem Tonstudio.

Weil ich Angst habe, dass ich sie eben vielleicht verletzt haben könnte, schiebe ich sie nur sanft vor mir her. Ich selber sage kein Wort, sondern lasse alles auf Liv wirken und freue mich leise, wenn sie erstaunte Töne von sich gibt. In der Küche bleibt sie stehen. „Was ist das denn?". Sie zeigt auf unseren Kaffeevollautomaten, der in die mittlere Theke eingebaut ist. Am liebsten würde ich antworten, Vaters ganzer stolz. Aber ich glaube, sie könnte den kleinen Witz nicht verstehen.

Deshalb versuche ich es so einfach zu erklären wie möglich. Ich rede mit ihr, wie mit einem Kleinkind. Und genau dafür schäme ich mich, als ich langsam, laut und deutlich alle heißen Getränke aufzähle, die der Automat zubereiten kann. Entweder scheint es sie nicht zu stören, wie ich mit ihr rede, weil sie es gewohnt ist, oder sie merkt es einfach nicht, denn sie blickt mich mit großen Augen an und lächelt interessiert. Ich betone jedes Wort einzeln, sodass meine Sätze klingen, als wäre ich der Lehrer, der einer dummen Schülerin zum wiederholten Mal etwas erklären muss. Hin und wieder stellt sie eine kurze Frage, als würde ich ihr ein Schulreferat vortragen und sie wollte noch einmal Fragen stellen, um heraus zu finden, ob ich mich mit dem Thema wirklich auseinander gesetzt habe, anstatt es nur aus Wikipedia zu kopieren und vorzulesen.

„Ich habe es getan!", flüstere ich, als wir gemeinsam bei mir im Bett liegen und sie in der Biografie von Michael Jackson blättert. Liv schaut einen Moment hoch und blickt mich fragend an. „Ich habe es öffentlich gemacht", füge ich leise hinzu und starre auf meine Füße, als seien sie urplötzlich das Interessanteste auf der Welt. Ich warte auf eine Antwort, doch sie bleibt still. „Mein Vater ist ziemlich sauer deswegen", fahre ich fort, um die peinliche Stille zu beenden. Sie öffnet den Mund, als wollte sie etwas sagen, schließt ihn aber wieder und starrt auf das Cover des Buches. Ich ziehe meine Beine ran und umklammere sie mit meinen Armen. Warum antwortet sie denn nicht? Ich überlege, was in ihr vor geht, doch dann spricht sie endlich kaum hörbar. „W- was hat er gesagt?".

Ich beobachte Liv einige Sekunden, bevor ich antworte. Sie beißt auf ihrer Unterlippe und scheint, als erwarte sie eine Horror Nachricht.
„Er redet nicht mehr mit mir", lache ich verlegen und muss an die urkomischen Situationen denken, wie hochwichtig sich Kevin fühlt, wenn er eine Nachricht von Dad übermitteln soll. „Aber er hat nicht geschimpft? Als du ihm von uns erzählt hast?", fragt sie weiter und nagt weiter auf ihrer Unterlippe. Ihre zittrigen Hände hat sie zwischen ihre Beine geklemmt. Ich wiederhole die Frage immer und immer wieder in meinem Kopf, obwohl ich die Bedeutung schon beim ersten Mal verstanden habe. Ich überlege, wie ich ihr das Missverständnis klar machen soll, ohne wie ein Arschloch rüber zukommen. Aber ist das Möglich? Ich bin kein wirklich gefühlsvoller Mensch, dass ich ihr es sanft erklären kann, dass es für sie besser ist, wenn wir keine Beziehung führen. Unsere Leben sind zu verschieden. Ich wünsche mir gerade einen meiner Brüder herbei, der mir Tipps geben kann. Ich will sie einfach nicht verletzen.

Aber ihr Blick verrät mir, dass ich es bereits getan habe, weil ich nicht antworte.

Be different (Nick JONAS) *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt