Bastard

209 11 0
                                    

„Weißt du, ich habe es ihm noch nicht erzählt!", flüstere ich behutsam.„Warum nicht?". Ihr Gesicht ist auf ihre Beine gerichtet, die ausgestreckt neben meinen liegen. „Weißt du, ich wusste nicht wie". Ihre Stimme zittert. „Du möchtest es nicht erzählen". Ich schüttle den Kopf, auch wenn sie mich gar nicht anschaut. „Du möchtest nicht mit jemanden wie mir zusammen sein", flüstert sie weiter.

Ich unterbreche sie nicht, denn ich merke, dass sie nicht unterbrochen werden will. „Dir ist es peinlich mit mir gesehen zu werden. Weil ich anders bin!". Einen Moment lang denke ich, ihr würde eine Träne über die Wangen laufen, aber tatsächlich sitzt sie emotionslos neben mir. Ihre Hände ruhen auf ihren dünnen Beinen. Aber sie schaut mich nicht an. „Du bist anders", sage ich schneller, als mir bewusst wird, wie es für sie klingt. Sie nickt nur. „Ich verstehe". Ich will am liebsten mit meinem Kopf gegen mein Bücherregal hauen. Ich bin so dämlich. Wieso gibt es im Leben nicht eine Time Out Taste? Ich würde mich gerne erst einmal über meine Worte im Klaren werden. Wie schaffen es Frauen, einfach aus dem Bauch heraus das richtige zu sagen? Wie soll ich darüber nachdenken, was ich gesagt habe, bevor ich es ausspreche, in so einer kurzen Zeit? Um etwas Zeit zu bekommen, streiche ich mir durch die Haare und entferne mit den Fingern einen kleinen Knoten. „Du- du bist perfekt, so wie du bist", sage ich nervös und hoffe sie gibt sich damit zufrieden.

Tut sie nicht. „Aber du stehst nicht zu mir!". Die letzten beiden Wörter schreit sie schon fast, als wäre ihr eingefallen, dass nun der perfekte Zeitpunkt ist, wütend zu sein.

Ich weiß nicht was ich sagen soll. Sie hat Recht. Ich habe es meinem Vater nicht erzählt, weil ich Angst vor seiner Reaktion habe, ich habe Angst mich vor jedem zu rechtfertigen, warum ich sie ausgesucht habe. Warum mir ihre Krankheit nichts ausmacht. Es ist nicht fair. Wieso ist die Liebe so unwahrscheinlich kompliziert?

„Du hast dich von deinem Vater beeinflussen lassen. Besser gesagt von deiner Angst. Du hast Angst dich rechtfertigen zu müssen", rät sie. Ich nicke stumm. „Weißt du, du bist wie alle anderen Jungs. Dir kann man von der Sonne erzählen, aber du starrst immer auf den Boden". Sie macht Anstalten zu gehen, aber ich packe sie unsanft an den Arm und ziehe sie wieder herunter. Sie starrt mich verletzlich mit großen Augen an. Ich sehe wie sie immer mutiger wird, mit ihrer Krankheit besser umgeht und ich bin ein wenig stolz, neben meiner aufkommenden Wut. „Weißt du wie schwierig das ist? Wie schwierig mein Vater ist? Du verstehst wahrscheinlich nicht, wie kompliziert unser Leben ist!". Schon als ich es ausgesprochen habe, bereue ich es. Sie entzieht sich meinen Händen, wie ich erst jetzt bemerke, halte ich sie noch immer fest. „Tatsächlich Nicholas Jonas, ich verstehe es nicht. Wie so oft!", meckert sie und steht auf. „Geh nicht", wimmere ich, fast wie ein kleiner Welpe. Sie dreht sich zu mich um. „Würdest du mit mir eine Beziehung anfangen?"; fragt sie plötzlich scharf. Sie zwingt mich zu antworten.

Egal wie ich mich entscheide, es wird unsere Beziehung zueinander verändern. Es wird nicht mehr so sein wie jetzt. Entscheide ich mich für sie, wird sie mehr Zeit mit mir verbringen wollen. Zeit die ich einfach nicht habe. Dazu kommt mein Vater. Er würde eine Beziehung nicht akzeptieren. Die Beziehung würde unter keinem guten Stern stehen. Aber wenn ich mich gegen mein Herz entscheide und nur für eine Freundschaft, würde ich alles kaputt machen. Ich bin kein Narr, ich weiß, dass solche freundschaftlichen Beziehungen nicht funktionieren, wenn mindestens einer in den anderen verliebt ist. Ich könnte meinen Gefühlen nicht stand halten, mein Gehirn würde ausschalten und ich würde über sie herfallen. Ich könnte ihren Lippen beim reden nicht zu sehen, ohne sie danach zu küssen. Ihre Augen fixieren mich, wie sie es bisher erst einmal getan haben. Still wartet sie auf meine Antwort. Trotzdem spiegelt sich in ihren Augen ein wenig Furcht, ich würde die falsche Antwort sagen. „Ich liebe dich!", sage ich zögerlich und greife nach ihrer Hand. Aber sie entzieht sie mir. „Das ist die falsche Antwort", entgegnet sie ruhig, als wäre ich ein dummer Schüler, aber sie würde niemals aufgeben, es mir immer und immer wieder zu erklären. Ich höre wie sie scharf nach Luft schnappt. „Auf Wiedersehen, Rockstar!". Sie bekommt ihre finstere Miene wieder und seufzt enttäuscht. Ich sitze völlig versteift auf meinem Bett, erst Minuten nach ihrem verschwinden, wird mir bewusst, was ich angerichtet habe. Es ist vorbei, ich habe meine Chance vertan, mein Versprechen gebrochen, wie auch ihr schon oft demoliertes Herz. Ich bin, vulgär ausgedrückt, ein Miststück. Oder besser in männliche Form, ein verdammter Bastard. Ich habe den Drang los zu schreien, aber es kommt kein Ton heraus. Jedoch merke ich wie mein Auge ein wenig feucht wird. Schnell reiße ich meine Augen auf, damit ich mir bloß nicht wie eine Heulsuse vorkomme. Ich werde nicht wie ein kleiner Schuljunge heulen, den man sein Schulbrot geklaut hat.

Ich fühle mich einfach leer. Dort wo mein Herz schlägt zieht es sich immer weiter zusammen und schmerzt. Und es passiert einfach. Ich kann die Tränen nicht mehr halten. Mein Versuch, die dicken Tropfen nicht zu spüren, wenn ich mein Gesicht in mein Kissen drücke, scheitert kläglich. Eine Weile liege ich einfach so da. Lausche meinen Atemzügen, die immer langsamer werden. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Ich kneife meine Augen zu und stehe auf, ohne mir zuvor die Wangen zu trocknen. Wie ein Betrunkener torkele ich durch mein Zimmer und verlasse den Raum. Meine tiefe Trauer verwandelt sich in blinde Wut, für meinen Vater. Er ist schuld! Und da steht er schon. Wahrscheinlich ist er Liv noch begegnet, denn er steht mir mit verschränkten Armen im Weg.

Aber was mich überrascht, er legt mir stolz seinen Arm auf die Schulter und lobt mich anerkennend. „Ich habe schon alles mit den Reportern geklärt. Wir sind bald alle Probleme los!". Er knufft mich spielerisch in die Seite und verlangt wahrscheinlich einen Applaus von mir. Aber ich bin einfach zu müde, um zu fragen, ob es sich bei dem Problem und Liv handelt und steure still wieder zurück in mein Zimmer. „Ach und ich muss mich entschuldigen, es war eine gute Idee, dass du dein Diabetes an die Öffentlichkeit gebracht hast. Auch wenn der Zeitpunkt und die Art nicht gerade optimal waren. Du bist Gesprächsstoff Nummer eins, daraus machen wir eine Reportage und du besuchst einige Kinder mit der selben Diagnose. Das wird großartig!", sprudelt es nur so aus ihm heraus. „Fantastisch!", lacht er. Und dann nehme ich mich zurück. Ich beiße mir erschöpft auf die Zunge. Es wäre nur ein Wort. Ein Wort, dass man nicht zu seinen Eltern sagt. Man muss seine Eltern ehren, aber mein Gehirn wiederholt es immer und immer wieder. Arschloch.

Be different (Nick JONAS) *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt