Zögernd drehte sie sich um, um in den kleinen Spiegel zu blinken.
Es war die einzige Einrichtung in dem kleinen Raum mit den dreckigen, einst weißen Wänden.
Sie hob ihren Kopf und blickte direkt in ihr Spiegelbild.Es war perfekt.
Genau wie in ihrer Vorstellung.
Ein strahlend weißes Kleid, das ihr bis zu den Knien ging. An der Hüfte war es mit schwarzen Blumen geschmückt und auch in ihren Haare befanden sich pechschwarze Rosen.Sie warf ihrem Spiegelbild ein letztes, schwaches Lächeln zu und verließ dann schnell den Raum.
In der Tür blieb sie noch ein Mal stehen. Sie schien in Gedanken zu sein. In Gedanken bei dem, was gleich passieren wird.
Doch entgegen allgemeiner Vermutung lag in ihrem Blick nichts Anderes als Vorfreude.
Das mag wohl daran liegen, dass es kein voreilig getroffener Entschluss war, nein, es war lange geplant.
Nun riss sie sich aber von ihren Gedanken los und ging die Tür hinaus, hinein in eine dunkle Stadt.Wenn man sie so durch die Straßen eilen sah, mit dem weißen Kleid und dem Blick der freudigen Erwartung in den Augen, würde man wohl eher davon ausgehen, dass sie sich zu ihrer Hochzeit aufmachte.
Aber vielleicht war dieser Ausdruck nicht einmal so falsch.Eine Hochzeit mit dem Tod.
Das versprechen, auf den Anderen Acht zu geben.Ohne jegliche Beachtung geschenkt zu bekommen, ging sie die Straßen entlang, ihr Ziel im Auge.
Als sie den ersten Fuß auf die Brücke setzte, begannen ihre Augen zu glitzern.
Mit leisen Schritten lief sie zur Mitte der Brücke und sah hinunter, auf das Wasser, das im Mondlicht schwach glänzte.
Darauf bedacht, keine lauten Geräusche zu machen, schwang sie ihre nackten Beine über das Geländer und stellte sich auf die andere Seite.Ohne Angst, vor der Höhe, ließ sie ihre letzte Versicherung, nicht zu fallen, los und streckte ihre dünnen Arme aus, wie ein Vogel, der endlich, nach einer langen Zeit, seine Flügel wieder ausbreiten konnte.
Ihre Augen waren geschlossen und ihr Gesicht auf den Himmel gerichtet.
An ihren dünnen Armen konnte man feine Narben erkennen, Zeichen, für ihre Stärke.Nun holte sie ein Mal tief Luft und stieß sich dann mit ihren Beinen an der Kante ab.
Ein paar Sekunden sah es so aus, als würde sie fliegen, aber dann fiel sie.
Doch sie fühlte sich in diesem Moment so unendlich frei.
Sie hatte keine Angst, vor dem Aufprall, nein, sie genoss diesen einen Moment, in dem sie keine Angst vor der Zukunft haben musste.Nun öffnete sie wieder ihre Augen und darin konnte man ein vorfreudiges Glitzern sehen.
Als ihre dünnen Beine die dunkle Wasseroberfläche berührten, öffnete sie ein letztes Mal ihren Mund und schrie.
Kein schmerzerfüllter Schrei und auch keiner, der von Angst zeugte, nein, es war ein Jubelschrei.
Sie jubelte sich selbst zu, für die Zeit, die sie auf der Erde durchgestanden hatte, für die ganzen Schmerzen, die sie wortlos ertragen hat und vor allem aber für ihren Mut, das alles hinter sich liegen zu lassen.Und in dem Moment, in dem das Wasser sie verschluckte, war es nicht beendet, nein, es war geschafft.