Des Schmiedes Meisterwerk

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Tief, tief unter der Erde, an einem Ort, den in mehreren Milliarde Jahren kein einziger Sonnenstrahl erreicht hatte, lebte ein alter Mann. Dieser alte Mann hatte in seinem Leben schon viele Dinge gesehen, gutes und böses, schönes und hässliches, denn es währte nun bald schon an die 13 Jahrtausende. Umgeben von den dunkeln Wänden der Felsen und dem leuchtenden Licht des lodernden Feuers verbrachte er sein Dasein mit dem Verrichten seiner Aufgabe, die ihm einst vom Erschaffer der Welten höchst persönlich übertragen worden war.
Oft hatte er sich schon gefragt, wie es wohl oben auf der Erde sein musste, an dem Ort, an dem die Menschen lebten, die er erschuf. Doch je länger er darüber nachdachte, desto weniger wollte er es wissen, denn durch sein Feuerauge konnte er einen Blick auf die Welt werfen, und was er dort sah, war unfreundlich und abstoßend.

Der alte Mann sah die Zeitalter, Herrscher und Steinalter ineinander übergehen, und begann jeden Tag aufs Neue sein Werk. Nach so vielen Jahren in denen er bereits im Dunkeln der endlosen Nacht schuftete, stellte sich eine gewisse Monotonie ein, und er vergaß welch Leidenschaft sein Werk benötigte, um zu dem zu gedeihen, was am Ende dabei heraus kommen sollte. Auch war er, nach dieser langen Zeit wohl verständlich, nicht mehr der jüngste, wodurch seine Augen und Hände manchmal beeinträchtigt wurden, und fand an seinem Job mehr Mängel als Freuden.
Und so veränderten sich mit seiner schwindenden Leidenschaft, nicht nur seine Laune sondern auch das was er erschuf.
Am Anfang bemerkte es niemand, weil der alte Mann von vielen Göttern schon längst vergessen worden war, doch nach einigen Jahrhunderten wurde der Fakt zu deutlich, dass etwas nicht stimmte.
Und so machte sich der oberste Gott in die Tiefen auf, zu dem Erschaffer, den er einst als den kundigsten seines Handwerks erwählt hatte.
Den Schmied der Gesichter.

Die Reise, die den Gott immer tiefer hinab, bis auf die Erde und noch tiefer, führte, war beschwerlich, und nicht selten sehnte er sich zurück nach seinem Palast, seiner Frau und seinen Kindern, auch wenn viele davon bereits erwachsen waren.
Hitze strahlte vom Himmel herab, als er die Erde beschritt um den Einstieg zur Unterwelt, zum Reich des Schmied's zu finden.
Die armen Menschen, die immer unter dieser Sonne leben müssen. Wie sehr sehne ich mich doch nach meinem kühlen Palast, dem klaren Teich in der Mitte meines Gartens und dem himmlischen Vergnügen, das mir jeden Tag bereitet wird. dachte er bei sich, und war froh, als er nach drei Sonnenaufgängen die er durch den Himmel gewandelt war, und drei weiteren, die er auf der staubtrockenen Erde gewandert war, endlich im kühlen Erdreich verschwinden konnte.

Nach zwei vielleicht auch drei oder vier, er vermochte die Zeit nicht mehr einzuschätzen seit er die dunkle, trostlose Unterwelt betreten hatte, weiteren Sonnenaufgängen befand sich der oberste Herrscher des Himmels nun endlich vor den Pforten zum Reich des Schmieds.
Die Pforte war verstaubt, ein wenig verostet und das ehemals glänzende Kupfer war angelaufen. Die maskulinen und zum Handwerk des Schmieds passenden Verzierungen hatten allerdings nichts von ihrer Einzigartigkeit und ihrer detailreichen Gestaltung eingebüßt. Die Pforte war hoch, ragte höher auf, als das höchste Haus der Sterblichen, und an ihrer linken Seite hing eine Kordel herab, aus goldenen und blauen Fäden gewirkt, an der man ziehen konnte, um eine alte Messingglocke zum Tönen zu bringen.

Nach einem tiefen Atemzug gab sich der Gott einen Ruck, und zog an der Kordel. Hatte er ein schepperndes, metallenes Klingen erwartet so wurde er überrascht, denn die Glocke schwang sanft hin und her, während sie tiefe, melodiöse Töne von sich gab, sodass er einen Moment die alte Werkstatt des Schmiedes vergaß und wieder oben in seinem Palast war, wo eine ebensolche Glocke zum Essen rief.
Doch dann öffnete sich mit einem Knarzen das große Portal, und etwas unsanft wurde der oberste Gott von der brüchigen, tiefen Stimme des Schmieds in die Wirklichkeit zurück geholt.

„Amrâth, wie viele Zeitalter ist es her seit wir uns das letzte Mal sahen? Was für ein Wunder, dass du immer noch regierst.“ kicherte der Alte, und Amrâth zuckte unter den spottenden Worten zusammen.
„Carthamiel. Ich grüße dich.“ versuchte er dennoch Höflichkeit zu wahren, doch die eisblauen Augen des Schmieds verspotteten ihn schon für den Versuch.
„Was suchst du hier unten? Seit wann nimmt so ein reicher, hochnäsiger, einer der oberen, Gott eine solche unangenehme Reise auf sich? Es muss ja etwas furchtbares passiert sein, dass du deinem verwöhnten, königlichen Körper so etwas antust.“ zischte Carthamiel, und wandte sich ab, um, auf eine Krücke gestützt, zurück zu seinen Feuern zu gelangen.

Heller, freundlicher Schein empfing Amrâth, als er Carthamiel hinterher eilte, und versuchte die Unterhaltung aufrecht zu erhalten.
„Ich verstehe, dass du mir zürnst. Wirklich. Aber dein Hass und deine Lieblosigkeit vergiften dein Werk.“
"Mein Werk? Vergiftet?" zischte der alte Mann und funkelte den obersten Gott böse an. Wie konnte dieser sich erdreisten so etwas zu behaupten?
"Sieh dir die Welt an, wie sie sich entwickelt hat. Dein Tun und Handeln ist wichtig für die Welt. Bitte, tu etwas dagegen."
Der oberste Gott war es nicht gewohnt um etwas zu bitten, gehörte ihm doch alles und nie hatte sich ihm jemand verweigert, doch er wusste, dass er nur eine Chance hatte den alten Schmied zu überzeugen, sonst wäre es um die Welt geschehen.
"Carthamiel. Oben auf der Erde entbrennen jeden tag furchtbare Kriege, nur weil die Menschen durch deinen Hass und deine Lieblosigkeit geprägt sind."
"Na, dann sieh doch zu wie du dieses Problem alleine löst. Ist es meine Aufgabe mich um die Welt dort oben zu kümmern?"
"Es war einst deine Aufgabe."
"Aber du hast sie mir erfolgreich weggenommen." funkelte der Schmied den Gott an, jenes Wesen, das ihm die einzige Aufgabe geraubt hatte, die ihn noch mit seinen Schöpfungen, seinen Kindern verbunden hatte: Dafür zu sorgen dass seine Kinder voller Liebe in die Welt dort oben strömten und diese zu einem besseren und schöneren Ort machten.
"Es war ein Fehler, aber es waren damals andere Zeiten."

Amrâth nahm seinen Stab und umhüllte die blaue Kugel am oberen Ende mit seiner Hand, bis ein blauer Blitz aufflammte und ein Bild in ihr erschien. Er spürte wie die Augen des Schmieds sich auf seine Hand hefteten und nahm sie weg, um ihm einen Blick auf die Erde zu gewähren. Denotation, laute Geräusche, Hass, Verzweiflung. All dies schwappte mit einem Mal aus der Kugel heraus und ergriff Carthamiels eisernes Herz. Eine Träne bahnte sich aus seinem Augenwinkel ihren Weg über seine runzeligen Wangen bis hinab zu seinem Herzen. Sie spülte ein wenig von der Bitterkeit und dem Hass von seinem Herzen fort und gab ihm ein Stück von seiner Menschlichkeit wieder.

Der Alte ging zu einem kunstvoll verzierten Schrank und öffnete diesen. Dort drinnen lag in einem gläsernen Sarg der wohl schönste Mensch den Amrâth je gesehen hatte.
"Wer ist dieses bezaubernde Geschöpf?" fragte er leise, seiner Sprache beraubt von ihrer Schönheit. Schwarzes Haar, rabenschwarzen und schimmernd wie die Federn eben jener Vögel, floss über milchweiße Haut. Hohe Wangenknochen unter denen sich leicht rosige Wangen befanden. Volle, rote Lippen und in jenem Moment, als sein Blick auf ihre geschwungenen Augenbrauen und die langen, dichten Wimpern viel, öffneten sich ebendiese Lieder flatternd und zwei schokoladenbraune Augen, vollkommener hätten sie nicht sein können, darunter zum Vorschein kamen.
"Dies ist die Lösung deines Problems. Und Amrâth." der Alte wandte sich ihm zu,
"Vergeude mein Meisterwerk nicht."

Und so hatte nach all den Jahrtausenden der Schmied endlich seine Liebe zurück gewonnen und seinen Hass auf die Götter überwunden, weil er wusste, dass man ihn brauchte. Und zwar nur ihn, denn niemand sonst beherrschte sein Handwerk.
Auf der Erde kehrte durch Carthamiels Geschöpf wieder Frieden und Liebe ein und auch wenn die Götter noch nicht ganz akzeptiert hatten, dass sie nur knapp einer Katastrophe entronnen waren, so gaben sie sich Mühe den Schmied wieder zurück in ihre Gesellschaft zu holen.
Und so lebten alle glücklich und zufrieden noch viele Jahrhunderte weiter.

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