„Livy, wenn der Bericht nicht um 13 Uhr bei Hr. Krisel ist, dann bin ich meinen Job los! Ich hab bloß noch 10 Minuten Zeit, das schaff ich niemals! Bitte tu mir einen Gefallen und halte ihn noch drei Minuten hin okay? Ja danke!“, schnaufte ich in den Hörer meines Telefons, an dessen anderem Ende meine Arbeitskollegin und beste Freundin Liv Müller saß, und rannte weiter den Fußgängerweg in der Innenstadt entlang, als ich gegen jemanden stieß und nach hinten fiel. Meine Unterlagen fielen aus meinen Händen und schlitterten über den Asphalt. Wie der schreckliche Zufall es wollte, fuhr gerade jetzt ein Auto vorbei und natürlich rollten die zwei rechten, nassen Reifen direkt über meinen Bericht. Ich bekam nur ein lautes Fluchen heraus: „Verfluchte scheiße ey!“ Ich realisierte erst jetzt, dass ich hiermit meinen Job los war. Meine Augen weiteten sich entsetzt. Wow. 29 Jahre, arbeitslos und verdammt nochmal auch keinen Freund. Ein tolles Leben. „Bloß nicht so stürmisch! Immer mit der Ruhe!“, meinte der jenige, mit dem ich zusammengestoßen war jetzt und holte mich aus meiner Schockstarre indem er mir die Hand hin hielt und herzhaft lachte. Ich sah auf, begriff aber noch gar nicht wie der junge Mann aussah und ergriff seine Hand. Als ich mich wieder auf gerichtet hatte, sagte ich immer noch total entsetzt: „Ich kann doch jetzt nicht ruhig sein! Ich hab grade mit diesem Scheiß hier meinen Job verloren!“ Er sah mich nun fragend an: „Ehm wieso denn?“ Erst jetzt realisierte ich, wie er aussah. Schöne braune Augen, braune Haare. Er sah ein wenig ausländisch aus, aber dafür unheimlich süß. Er war größer als ich und trug ganz normal Jeans, Shirt und Jacke, aber natürlich hatte er die Sneakers auch nicht vergessen. Ich antwortete dennoch normal: „Na das, was da jetzt in der Pfütze liegt, das war meine einzige Chance, meinen Job zu behalten!“ Er drehte sich in die Richtung, in die ich mit meiner Hand deutete, lief einfach auf die Straße und fischte meine Unterlagen aus der Pfütze. Er kam auf mich zu und meinte: „So bitte und jetzt kannst du einfach weiter rennen.“ Er reichte mir mit einem herzlichen Lächeln meine patschnassen Unterlagen und ich sagte: „Danke! Vielleicht sehen wir uns ja nochmal irgendwann. Wer bist du eigentlich?“ Ich wurde stutzig. Mir kam es so vor, als hätte ich diesen Typen schon irgendwo mal gesehen. „Ich bin Elyas. Freut mich und dein Name ist?“ „Janine, freut mich auch. Kann es sein, dass wir uns schon mal gesehen haben?“ „Nein nicht das ich wüsste.“ „Na dann ich muss los. War schön dich kennengelernt zu haben!“ „Ganz meinerseits!“, hörte ich ihn noch rufen, als ich davon rannte, immer darauf bedacht mit niemandem mehr zusammenzustoßen. Als ich durch die Flügeltür hastete, kam mir schon ein aufgebrachter Hr. Krisel entgegen. „Frau McClary wo in Gottes Namen waren sie und was sind das für Fetzen in ihren Händen?“ Ich sah verzweifelt auf meine Hände, in denen nur noch Fetzen meiner Arbeit lagen. „Tut mir wirklich leid, aber ich bin unterwegs mit jemandem zusammen gestoßen und da ist meine Arbeit in eine Pfütze geschlittert. Könnte ich sie vielleicht nachreichen?“ Er sah mich zweifelnd an, nickte dann aber und meinte: „Gut, aber wirklich nur noch das eine Mal. Dann gehen sie nun bitte nach Hause und holen ihre Arbeit.“ „Okay, Sir“ Ich drehte auf dem Absatz um und lief wieder nach draußen in den kalten Wind. Es war Herbst und die ganzen Bäume waren kahl, der Boden bunt und die Luft kühl. Ich ging gerade unter den Linden nach Hause, als ich hinter mir eine keuchende Stimme vernahm: „Janine! Warte doch mal!“ Ich drehte mich um und sah in die braunen Augen von Elyas. „Oh hi!“, gab ich kleinlaut zurück und er grinste. „Sag mal läufst du mir hinterher?“, fragte ich nun etwas ungläubig. Er blickte auf seine Schuhe und murmelte: „Naja, ich hatte dich gesehen und da dachte ich mir, vielleicht könntest du mir ja Berlin zeigen.“ „Warte. Du…Du lebst gar nicht in Berlin?“ „Nein ich bin für eine Premiere hier. Eigentlich lebe ich in München.“ Jetzt fiel es mir wie ein Stein von den Augen. Elyas M’Barek. Das mir das nicht früher aufgefallen ist! „Du.. Ehm bist Elyas M’Barek richtig?“ Er guckte etwas ungläubig, antwortete dann aber: „Ehm ja, ja das bin ich!“ „Oh Mann! Okay, ich kann dir die Stadt zeigen, nur würden uns beide dann jeden halben Meter eine neue Horde kreischender Mädchen anfallen.“ „Nein, so schlimm ist das gar nicht! Ehrlich!“ „Ehm, okay… Na dann lass uns mal loslegen! Erst mal hey ich bin Janine McClary und ja, wir sind hier unter den Linden. Die Straße nennt man auch so und wenn wir den Weg bis dahinten durch laufen, kommen wir am Brandenburger Tor raus.“ Ich nahm ihn an der Hand und zog ihn mit mir. „Erzähl mir mal was über dich! Bitte!“, meinte er dann nach ein paar Minuten und ich drehte mich zu ihm rum und deutete auf eine Bank die links neben uns stand. Wir ließen uns auf ihr nieder und ich fing an zu erzählen: „Also, ich heiße Janine McClary und bin halb Irin halb Deutsche. Ich arbeite als Journalistin und bin 29 Jahre alt, Single und wohne nicht weit von hier in einer Wohnung in einem Altbau. Ja, was willst du denn noch wissen?“ Er lächelte und sah mir direkt in die Augen. „Ehm, ja da gäbe es zum Beispiel die Frage, was für Hobbys du hast.“ „Ich lese gerne, treibe viel Sport, höre Musik und ich bin absolut kein Partymensch, hänge dafür aber viel mehr mit Freunden und Arbeitskollegen ab.“ Er sah mich ganz komisch an. Mir wurde das mit der Zeit irgendwie unangenehm und deshalb brach ich den Augenkontakt ab. „Wie sieht es mit deinem Charakter aus?“ Ich blickte überrascht über seine plötzliche Frage auf und antwortete wie in Trance: „ Naja, ich bin temperamentvoll, ruhig, witzig, fröhlich, treu, gutherzig, jedoch auch unsäglich stur und auch ein wenig aggressiv.“ Er grinste jetzt über beide Ohren und ich fuhr schnell fort: „ Ehm, wenn das jetzt selbstverliebt oder so geklungen hat, dann tut es mir leid und so war es auch gar nicht gemeint!“ Er lachte auf und flüsterte: „Das klingt ganz und gar nicht eingebildet oder so, sondern echt nett. Übrigens bist du rot geworden.“ Och Mann! Musste er mir das denn grade jetzt sagen? Meine Wangen färbten sich wahrscheinlich noch „röter“. Wie als wenn Gott diese Situation retten wollte, klingelte laut mein Telefon und der Song „Rise Against – Sattelite“ fing an lauthals aus den Mini Boxen meines Handys zu klingen. Ich fischte es schnell aus meiner Jackentasche und drückte auf den Annahme Knopf.
J: Hallo. Janine am Apparat. Was kann ich für sie tun?
L: Janine? Sag mal wo bleibst du? Der Krisel ist kurz vorm Durchdrehen!
J: Oh Gott! Sorry! Das hab ich ja ganz verpeilt. Ich bin schon unterwegs!
L: Ja das will ich auch hoffen!
Ich legte auf und sah Elyas geschockt an, der mich verwirrt, sehr verwirrt musterte. „Ich hab vergessen, dass ich meinen Artikel noch zur Agentur bringen muss!“ Er lächelte und ich wollte schon losrennen, als er mein Handgelenk nahm und ganz ruhig meinte: „Ich fahr dich!“ Ich blieb abrupt stehen und drehte mich um. „Echt?“ „Ja echt! Aber nur wenn ich dafür deine Handynummer kriege!“ „Deal!“ „Deal!“ Wir liefen den Weg bis zu seinem Auto unter den Linden entlang und als wir dann ankamen, öffnete er mir wie ein Gentleman die Tür, ich setzte mich hinein und er fuhr los, wobei ich ihn zuerst zu meiner Wohnung und danach zu meiner Agentur lotste. Er setzte mich vor meiner Arbeitsstelle ab und ich bedankte mich: „Würdest du noch kurz warten, könnte ich das schnell rein bringen und dir dann weiter Berlin zeigen!“ Er machte einen auf überrascht und antwortete dann: „Klar gerne! Bis gleich!“