Annika P.O.VDas Abendessen verlief ohne besondere Vorfälle und Lucy stellte mir zwei andere Mädchen vor, mit denen wir jedoch nicht zusammen aßen, weil nicht mehr so viele Plätze nebeneinander frei waren.
Nach dem Essen entschuldigte sich Lucy bei mir mit der Ausrede, dass sie noch zu jemanden müsste und etwas wichtiges erledigen musste. Ich sagte ihr dass es kein Problem sei, obwohl ich schon etwas enttäuscht war, dass sie mich an meinem ersten Tag hier alleine ließ. Aber was hatte ich erwartet? Dass ich sofort eine beste Freundin für's Leben fand? So gut meinte es das Leben wohl nicht mit mir, das wusste ich ja schon von den letzten Jahren. Von meinem ganzen Leben.
Ich seufzte und beschloss in unser Zimmer hoch zu gehen, einfach, weil ich sonst nicht wusste wo ich hin gehen könnte. Auf dem Weg zur Treppe, die in das Stockwerk mit den Zimmern führte, hörte ich aus einem Raum Lachen und fröhliches Plaudern. So neugierig wie ich war, warf ich einen Blick zu der Spalt offenen Türe herein und entdeckte einen Tisch- nein einen Tischkicker- an dem an einer Seite zwei Mädchen und an der anderen Seite ein Junge spielte.
Sie schienen viel Spaß zu haben. Sollte ich einfach zu ihnen reingehen und fragen ob ich mitmachen dürfte?
Mir wurde zunehmend klarer, das ich mich nach ein paar Freunden sehnte, mit denen ich viel Spaß haben konnte und für die ich vielleicht auch wichtig war.
Außer Nina kannte ich in meinem ehemaligen Waisenhaus niemanden näher oder machte viel mit jemandem außer ihr. Und eine Familie hatte ich natürlich auch nicht, sonst würde ich ein geborgenes Leben leben, mit Leuten die mich lieb haben. Aber ich war schon immer ein Einzelgänger gewesen, so wie ich von Anfang an aufgewachsen bin, vor allem bevor Nina ins Waisenhaus gekommen ist. Und so wird es jetzt auch weiter gehen, das wusste ich.
"Annika?", fragte auf einmal eine Stimme von irgendwo hinter mir.
War das nur in meinen Gedanken?
Doch als ich mich umdrehte, besann ich mich etwas besserem und erkannte Emma, eine der beiden Mädchen, die Lucy mir beim Abendessen vorgestellt hatte. Ihre Augen funkelten mich freundlich an und schon vorhin kam sie mir von allen am liebsten vor, obwohl sie kaum etwas gesagt hatte.
Ich räusperte mich und sah sie fragend an. " Ja?"
"Ist alles okay? Du bist hier mitten im Flur stehen geblieben."
"Oh," sie hatte recht, ich war vor der angelehnten Türe zu dem Zimmer mit dem Tischkicker stehen geblieben, ohne es gemerkt zu haben. Gut, dass mich die Drei aus dem Rauminneren nicht bemerkt hatten, das hätte ganz sicher einen komischen ersten Eindruck hinterlassen. Ich wollte ja nicht als Stalker da stehen und so bei den anderen Kindern des Waisenhauses in Erinnerung bleiben.
"Ja alles ist gut, danke der Nachfrage," antwortete ich letztendlich auf ihre Frage, doch an ihrem skeptischen Blick konnte ich sehen, dass sie mir nicht ganz glaubte.
"Lucy musste nirgendwo hin und ich wusste jetzt kurz nicht genau, wohin ich gehen oder was ich machen sollte ," setzte ich noch augenverdrehend nach. Aber das tat nicht mal wegen Emma oder ihrer nachbohrenden Frage.
Ja, warum war ich überhaupt so genervt und meine Laune auf dem Weg nach unten?
Die ganzen letzten Tage hatten sich nicht gerade gut auf mein seelisches und körperliches Wohlbefinden ausgewirkt und gerade fühlte ich mich nur ausgelaugt. Vielleicht würde es mir am besten tun, wenn ich früher ins Bett gehen und die nächsten zehn Stunden schön am Stück durchschlafen würde.
Ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf Emma vor mich zu richten und hoffte aufrichtig, dass ich nichts verpasst hatte. Scheinbar hatte ich Glück.
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Lost Twins
Teen FictionZwei Mädchen. Ein neuer Anfang. Ein Schicksal. Annika Winters und Sophie Summers könnten auf den ersten Blick eigentlich gar nicht unterschiedlicher sein. Ihr Charakter, Aussehen und ihr Freundeskreis ist anders. Und doch haben sie viele Gemeinsamke...