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Der Moment, in dem Enid ihren ehemaligen Erzfeind Elijah Androwis wiedersah, hätte aus einem Film sein können.

Sie hatte nur ein wenig in Ruhe lernen wollen, deshalb war sie zum See gefahren. Es gab da so eine kleine Stelle am Ufer, die nur ihr gehörte und an welche sich keine andere Menschenseele verirrte, weil sie hinter einem sandigen Abhang versteckt lag.
Nun ja, zumindest hatte Enid das die längste Zeit geglaubt, heute wurde sie jedoch eines Besseren belehrt.

Während sie so bei einer Coke über ihre Bücher gebeugt dort saß und sich die warme Abendsonne auf den Rücken scheinen ließ, ertönte plötzlich ein leises Plätschern und Spritzen des Wassers. Erst beachtete sie es gar nicht, es waren sicherlich nur Enten oder Fische. Als es jedoch immer lauter wurde, obsiegte ihre Neugierde und halb genervt von sich selbst, halb von dem nicht enden wollenden Geräusch, schaute sie auf.

Und da war er. Also natürlich wusste Enid zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es er war, aber auch der ihr bis dato nur als ganz normaler "Er" bekannte Mann war jeden Blick wert. Mit dem nackten Rücken stand er zu ihr im hüfthohen Wasser und jede seiner perfekt geformten Muskeln wurde gekonnt unter seiner sonnengebräunten Haut im Licht der abendlichen Sonne in Szene gesetzt.
Sie konnte vage erkennen, wie ihm Wassertropfen von seinem nassen, dunklen Haaransatz über den Nacken rannen. Er stand höchstens zehn Meter entfernt und Enid konnte nicht anders, als diesen wohlgeformten Körper anzustarren.

Mit einer lässigen Bewegung hob er den Arm und fuhr sich durch die sanft gelockten Haare, sodass Wassertropfen durch die Gegend spritzten.

Enid war sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht sicher, ob sie froh oder enttäuscht sein sollte, dass er ausgerechnet an ihrem Platz aufgetaucht war. Dann drehte er sich um und sie konnte sich zumindest sicher sein, dass ersteres nicht zutraf.

Oh Shit! Träume ich? Ist das ein Alptraum?

Dieses Gesicht... sie hätte es unter Tausenden wiedererkannt. Alter Hass keimte sofort in ihr auf und all die vorige Anziehung war wie vom Winde verweht. Zu ihrer eigenen Überraschung verlor sie sich aber nicht wie früher immer in einem Gedankenstrom aus Panik, Wut und Scham, sondern blieb innerlich wie äußerlich ganz ruhig.

Elijah... diese Ausgeburt, was macht er hier?

Erst jetzt bemerkte auch er sie und ließ dem Anschein nach erstaunt die Arme fallen.

Jetzt gleich erkennt er mich. Jetzt gleich fällt's ihm wieder ein. Shit, ich hoffe, das ist alles nur ein blöder Zufall und er ist nur zu Besuch oder so hier.

Auch wenn sie mittlerweile keine sonderliche Angst mehr vor ihm hatte, die Erinnerung an seine Taten konnten ihr trotzdem manchmal einen Kloß in den Hals befördern.

Elijahs Erstaunen über ihre Anwesenheit  wich schnell einer gelangweilten Miene und er watete aus dem Wasser, bis er schließlich ein paar Meter neben ihr stehen blieb.

"Das hier ist meine Stelle. Du kannst hier nicht bleiben", sprach er sie schließlich an, sein Blick war dabei regungslos auf ihre am Boden kniende Gestalt gerichtet.

Na sowas. Geändert hatte er sich also nicht.

"Hast du den Ort gepachtet, oder was?", giftete sie ihn an. Enid war erstaunt über ihren Mut und lobte sich innerlich selbst dafür.
Ihr Gegenüber schnaubte nur verächtlich und verschränkte die Arme vor seinem schönen Körper.

"Nö, aber was juckt mich irgendwelcher Papierkram? Das hier ist meine Stelle und du kannst dich verpissen. Notfalls helf' ich nach."

Bei der Drohung begann ihr Herz laut zu klopfen. Sie kannte ihn. Er würde es wahr machen. Kurz zog sie ernsthaft in Erwägung, abzuziehen, doch dann siegte ihr Trotz.

"Das hier ist ganz bestimmt nicht deine Stelle. Ich komme hier seit einem halben Jahr hin und du warst noch nie hier. Außerdem: Wo sind deine Klamotten, die liegen hier nirgendwo. Du hast deinen Kram woanders gelagert. Du willst nur aus Prinzip, dass ich weggehe. So wie immer."

Nun schien er doch etwas perplex. Ja, sowas war er nicht von ihr gewohnt, der kleinen schüchternen Enid! Doch die Zeiten waren vorbei.

"Ähm... sorry, aber ich bin es nicht gewohnt, von Fremden eine Psychoanalyse aufs Ohr gedrückt zu bekommen, nachdem wir drei Sätze gewechselt haben. Bist du irgendwo ausgebrochen, aus der Klapse vielleicht?"

Entsetzt starrte Enid ihn an.

"Du kannst den Mund ruhig wieder zumachen, du siehst echt grenzdebil damit aus."

Peinlich berührt schloss sie den Mund, doch an ihrem Erstaunen konnte das nichts ändern.

"Moment mal... sagtest du gerade Fremde?", stammelte sie.

Jetzt erst blitzte Erkenntnis in seinen Augen auf.

"Oh Mann." Er grinste. "Falls wir gevögelt haben, sorry. Aber ich kann mich nicht an jedes Mädchen erinnern. Und schon gar nicht an so ein durchschnittliches Allerweltsgesicht. Ich werde auch immer anspruchsloser."

Da hatte er es schon wieder geschafft, sie komplett aus der Fassung zu bringen. Sprachlos blickte sie zu ihm hinüber.

"Nimm's nicht persönlich. Aber um nochmal zum Thema zurückzukommen, wenn du in zehn Sekunden nicht deine Sachen gepackt hast, trage ich dich hier weg. Also sieh zu."

"Aber... ich...!", protestierte sie kläglich, doch Elijah begann wie bei einem kleinen Kind von zehn herunter zu zählen.

Voller Wut schmiss Enid ihre Sachen in die Tasche, wobei sie die Zornestränen unterdrücken musste.

Er hatte es schon wieder geschafft, kaum dass sie ein paar Minuten miteinander verbrachten.

Als sie schließlich aufgelöst davon stapfte, hörte sie ihn hinter sich rufen: "Wenn ich dich noch einmal hier treffe, ertränke ich dich eigenhändig im See!"

Erst als sie an der Bushaltestelle saß, wagte sie es, in Tränen auszubrechen.

Are you my Badboy? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt