Kapitel 1

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"Phoeeeebe... Du weißt ja, dass ich ein Problem damit habe, mir die Wochentage zu merken... Aaaber ist heute nicht Montag? Und da ist doch immer Schule, also nicht immer, aber eigentlich schon außer es sind Ferien, aber ich glaube gerade sin..." Scheiße. Wie dumm muss man sein, um zu vergessen seinen Wecker zu stellen? Das passiert mir nie. Einfach nie! Shit!

Panisch und trotzdem sanft schiebe ich Mina von meinem Bett und stürze mich auf meinen Kleiderschrank. Ich sollte wirklich anfangen, meine Klamotten am Vortag herauszulegen. Aber eigentlich verschlafe ich ja nicht. Weil ich mir meinen Wecker stelle. Immer.

Allerdings sehen meine Sachen sowieso alle ziemlich ähnlich aus: Blaue, graue und schwarze Pullis und ein paar Jeans. Ich bin nicht unbedingt der Typ für knallige Farben und ausgefallene Muster, doch auch solche Teile finden sich vereinzelt in meinem Schrank. Die könnte ich auch mal aussortieren, so selten wie ich die anziehe...

"Phoebe? Mit wem redest du?" Skeptisch mustert mich das kleine Mädchen, ihre kurzen Ärmchen in die Seiten gestemmt, in ihrem viel zu großen pinken Schlafanzug. Kurz bin ich verwirrt, was sie damit meint, doch dann fällt mir ein, dass ich ja leider die nervige Angewohnheit habe, laut zu denken.

Sollte ich mir wirklich abgewöhnen, denn bei bestimmten Themen hat mich meine Kleine schon ziemlich verstört angeschaut. Ihre Aufklärung über bestimmte Themen sollte doch lieber jemand anderes als ich übernehmen. Während ich mir noch Gedanken über meine Selbstgespräche und ihre Wirkung auf andere mache, renne ich mit meinem geliebten dunkelblauen Oversizepulli und einer hellblauen Jeans ins Bad. Das etwas unsanfte Herausziehen der Klamotten hat das Chaos in meinem Kleiderschrank nicht unbedingt verbessert, doch mittlerweile ist das bei dem Chaos da drin schon fast egal. Trotzdem habe ich mir eigentlich vorgenommen ordentlicher zu werden...

Aber ich will ja auch schon lange mehr für die Schule lernen und weniger Süßigkeiten essen oder vielleicht sogar eine Diät anfangen und die Selbstgespräche und das Tagträumen abstellen und mich an buntere Klamotten trauen und mehr Sport machen und so weiter.

Dass nichts davon bisher geklappt hat, brauche ich wohl nicht mehr zu erklären, da sicher schon ein Blick in mein Zimmer Antwort genug wäre.

Leider sehe ich in der Früh etwa so aus wie eine kartoffelförmige Nachbildung von Gollum und gehöre nicht zu den Naturschönheiten, die sich einmal durch die Haare streichen und dann perfekt aussehen. Um meine Mitschüler und andere Leute auf der Straße nicht ganz so zu erschrecken, muss ich also mit etwas Mascara, Concealer und Puder nachhelfen.

Natürlich habe ich mal wieder keine Zeit mehr, meine mittlerweile leicht fettigen Haare zu waschen, aber das habe ich eigentlich nie. Früher aufstehen um noch duschen zu können... ein weiterer Punkt auf der Liste der Dinge, die ich nie schaffen werde. Wie machen die Leute in Filmen das nur? Sie stehen auf, wenn die Sonne schon längst aufgegangen ist, strecken sich einmal, duschen ausgiebig und genießen dann noch ihr riesiges Frühstück aus Pancakes, Waffeln und noch vielem anderen Zeug, das ich nicht mal hinbekommen würde. Und dann gehen sie - ganz entspannt und perfekt gestylt natürlich - zur Schule oder in die Arbeit! Unfair.

Genervt suche ich nach einer Lösung, doch für einen Dutt bin ich irgendwie zu dumm und mit Pferdeschwanz sehe ich aus als hätte ich eine Glatze... Schließlich bürste ich einige Male durch die dünnen, dunkelblonden Strähnen auf meinem Kopf und verteile etwas Trockenshampoo darin.

Mit einem Seufzer blicke ich in den Spiegel und betrachte das Ergebnis. Nicht perfekt, aber für die Schule geht das schon. Ist ja nicht so, als würde ich jeden Tag von Tausenden Typen angesprochen werden. Haha. Nein.

Das Frühstück kann ich heute sowieso vergessen, glaube ich. Wenn ich meinen Bus noch erwischen möchte, muss ich mich ziemlich beeilen. Beim Herunterrennen der Treppe komme ich mir schon fast sportlich vor, bis ich mir selbst ein Bein stelle und die letzten Stufen halb falle und halb springe.

Mina sitzt im Flur neben der Treppe und lacht mich einfach aus. „Haha das schaffst auch nur du... Erst so gehetzt und dann macht es so Wusch und du hättest dein Gesicht sehen müssen hahahaha". Doch wer könnte auf so ein süßes kleines Kind sauer sein, weil es einen gerade lispelnd und quiekend verspottet? Ok, da gibt es sicher einige und ehrlich gesagt gehöre ich an manchen Tagen auch zu diesen Leuten, aber heute nicht.

Gespielt böse schaue ich sie also an und gehe dann zu ihr, um sie noch kurz zu umarmen.

"Pass auf dich auf und hör auf Mr Wilson, ok Süße?" ermahne ich meine Kleine lächelnd, die mir daraufhin grinsend zunickt.

Schnell schlüpfe ich in meine weinroten Chucks und ziehe meine Lederjacke über. Auf einmal bekomme ich eine dieser beinahe-Herzinfarkt-Attacken und reiße die Augen auf. Ich hab mein Deo vergessen! Also wieder an Mina vorbei, die Treppe hoch und ins Bad. Aber... da ist mein Deo nicht. Entnervt schlage ich mir an die Stirn, als mir einfällt, dass ich gestern unter anderem eines mit meiner besten Freundin Lucy kaufen wollte, aber sie dann doch keine Zeit hatte. Etwas zu fest anscheinend, denn das laute Klatschen könnte als begeisterter Beifall für meine Blödheit durchgehen. Haha. Wie lustig ich heute schon wieder bin. Wenn ich so weitermache, lacht vielleicht in ein paar Jahren sogar mal jemand über meine Witze.

Was aufgrund der Tatsache, dass sie meist so flach wie ich sind, aber wohl eher nicht.

Nach kurzem Überlegen beschließe ich, dann eben so zu gehen. Ich habe ja keine andere Wahl und jetzt ist es auch schon egal.

Bevor ich das Haus verlasse, werfe ich mir noch meine Tasche über und rufe Mina ein kurzes "Tschüss, hab dich lieb." zu. Bevor ich zu meiner Haltestelle laufe, atme ich noch einmal kurz durch. Im heutigen Alltag ängstlich zu sein, ist nicht unbedingt vorteilhaft, doch ich kann ja nichts dagegen tun.

Ich gebe mir einen Ruck und jogge los, um meinen Bus noch zu erwischen, damit die ganze Hetzerei doch nicht umsonst war.

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Ich weiß, bisher habe ich keine Leser, aber ich schreibe trotzdem mal Hi, weil ich hoffe, dass welche dazukommen :)
Hier ist das 1. Kapitel. Es ist nicht unbedingt spannend, aber es soll auch eher als Vorstellung von Phoebe dienen :)

Wenn die Hoffnung zuletzt stirbt - muss ich dann vor ihr gehen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt