Kapitel 4 - Verwirrt

494 14 0
                                    

Während ihre Kollegen verzweifelt nach ihr suchten, war Alex immer noch in diesem muffigen Raum eingesperrt. Das Papier unter ihr fühlte sich klamm an und ihre Versuche, sich aus der Wanne heraus zu rollen, hatten nur dazu geführt, dass sie sich den sowieso schon schmerzenden Kopf ziemlich heftig am Rand gestoßen hatte. Also lag Alex wohl oder übel in der Wanne und starrte die Wand an. Was ihre Kollegen wohl machten? Hatten sie schon eine Spur? Die Kommissarin verfluchte sich dafür, einfach das Auto verlassen zu haben. War der Obdachlose etwa der Täter? Oder hatte der Angreifer sie beide erwischt? Doch sie war hier und der Penner nicht, also konnte das nicht stimmen. Erneut tappten über ihr Schritte und plötzlich raschelte es hinter ihr. Ruckartig riss Alex den Kopf herum und blickte panisch über die Schulter. Hinter ihr im Eck stand eine große Kiste, die wohl schon etwas älter war. Ein kleiner Schemen war zu erkennen, Alex konnte jedoch nicht unterscheiden ob es nun eine große Maus oder eine kleine Ratte war. Stumm flehte sie das Etwas an, bloß nicht näher zu kommen. Ein erneutes Rascheln und auf der Kiste saß nichts mehr. Kurzzeitig war Alex erleichtert – bis sie hörte, warum die Maus verschwunden war: Vor der Tür ihres Gefängnisses waren Schritte zu hören. Mit einem Knirschen wurde die Tür aufgesperrt und Alex machte sich unbewusst ganz klein, so viel Angst hatte sie in diesem Moment. Langsam und quietschend bewegte sich die Tür und Alex' Augen fingen aufgrund der Helligkeit draußen das Tränen an, so sehr hatte sie sich an die Dunkelheit in diesem Zimmer gewöhnt. Eine Gestalt, deren Gesicht sie aufgrund des hellen Lichts nicht erkennen konnte, schritt auf sie zu und ging vor der Wanne in die Hocke. Die Person streckte die Hand aus und fuhr Alex sachte über die Wangenknochen. Vor Angst vergaß diese sogar das Atmen, denn die Hand wanderte weiter hinunter und blieb schließlich auf ihrem Schlüsselbein liegen. Ein hämisches Grinsen wanderte über das Gesicht ihres Entführers. „Ich wette du stehst auf so was. Kleine Schlampe. Vielleicht sollte ich lieber andere Dinge mit dir anstellen, als dich nur als Opfer zu nutzen." Alex versuchte sich nicht ansehen zu lassen, wie sehr sie den Mann fürchtete, denn er war wohl psychisch ziemlich angeknackst. Die Polizistin in Ihr gewann schließlich die Oberhand und kühn versuchte sie, den Mann zum Reden zu bewegen: „Was haben Sie nun mit mir vor? Wieso sollte ich ein Opfer sein? Meine Kollegen suchen sicherlich nach mir, Sie brauchen sich gar keine Hoffnungen machen, dass Sie hier ungeschoren wieder rauskommen." Ihr Entführer schien sehr amüsiert zu sein: „Deine Kollegen dich finden? Keine Chance. Der einzige, der ihnen helfen könnte ist der Penner – und der ist vom Auto überfahren worden. Keiner weiß, wo du bist. Ich könnte mit dir machen, was ich will...aber leider habe ich keine Zeit. Mach Frieden mit dir und Gott, kleine Polizistin, bald ist deine Zeit hier vorbei." Mit diesen Worten wandte der Kerl sich um und ließ Alex erneut allein in der Dunkelheit. Sie grübelte über seine Aussagen nach. Sie war also alleine und der Obdachlose war angefahren worden. Konnten alle Spuren verwischt sein? Oder gab es doch eine Chance, dass ihre Kollegen sie fanden? Sie sah ihre Freunde zu lebhaft in ihrer Fantasie: Robert, dessen jugendliches Gesicht einen unheimlichen Charme versprühte, wenn er lachte. Michaels leicht furchiges Gesicht mit seinen Lachfältchen, die ihm immer einen amüsierten Ausdruck verliehen, selbst wenn er ernst sein wollte. Und Gerrit. Sein Antlitz konnte sie sich am besten vorstellen: Seinen grimmigen Blick, wenn er sich voll auf einen Fall konzentrierte, aber auch sein ansteckendes Lächeln, wenn er sie neckte. Ihre Fantasie hatte wohl nicht genug zu tun, denn sie musste an den letzten Fall denken, in dem beide ein Pärchen gespielt hatten. Damals mussten beide sich ein Hotelzimmer nehmen und kamen sich ganz schön nah. Gerrit war immer Gentleman gewesen – fast schon zu sehr, wie Alex meinte. Doch sie hatte sich auch gescheut ihre Zuneigung zu offensichtlich werden lassen. Immerhin wusste sie weder, was Gerrit über sie dachte, noch war sie sich sicher, ob es Michael nicht hart treffen würde. Und das letzte, was sie gewollt hatte, war eine Rivalität zwischen ihren Kollegen. Schon gleich zehn Mal nicht, wenn sie in einem anstrengenden Fall steckten. Doch es schien immer, als würde es einen verzwickten Fall geben und so hatte sie ihm kein Sterbenswörtchen von ihrer Schwärmerei erzählt. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte sich Gerrit anvertraut. Was wäre, wenn der komische Entführer Recht hatte? Wenn wirklich ihre letzten Stunden angebrochen waren? Wenn sie jede Chance verpasst hatte, ihm zu sagen, was sie fühlte? Am liebsten hätte Alex etwas geschlagen, so frustriert war sie in dem Moment. Sie hasste es, wenn sie nichts tun konnte. Und hier eingesperrt zu sein, festgebunden, war so unglaublich schwer für sie. Lieber hätte sie sich auf eine Verfolgungsjagd begeben oder einen Undercover Einsatz begonnen. Sich mit ihren Ängsten und Befürchtungen beschäftigen zu müssen, war ganz und gar nicht ihre Art. Mit Mühe zwang Alex sich zur Ruhe, machte die Augen zu und stellte sich vor, sie wäre noch im Hotelzimmer mit Gerrit.

Robert und Gerrit waren in der Zwischenzeit damit beschäftigt, ihren Hauptverdächtigen zu vernehmen. Gemeinsam saßen sie mit Herrn Schultze im Vernehmungsraum und versuchten ihm den Ernst seiner Lage klar zu machen. Doch er beharrte felsenfest auf seiner Aussage, dass er dem Kind nichts zu leide getan hatte und auch ihre Kollegin nicht gesehen hatte. „Hören Sie mal, ich habe keinerlei Lust, jemals wieder in den Knast zu gehen, okay? Reicht schon, dass ich jetzt die Zeit bis jetzt dort verbringen musste. Warum sollte ich irgendetwas tun, was mich da wieder rein bringt? Ich habe nichts gegen eure Kollegin, die ist schließlich hübsch." Grinste Schultze die beiden Kommissare an, dann wandte er sich an Gerrit: „Gegen Sie habe ich eine leichte Abneigung, weil Sie derjenige waren, der den Richter überzeugt hat, dass man mich wegsperren muss. Aber ich habe weder dem Kind noch etwas angetan, noch Ihrer Kollegin." Robert versuchte es erneut: „Herr Schultze, wo waren Sie gestern Abend gegen circa zehn Uhr abends?" – „In meiner Stammkneipe, mir mein redlich verdientes Bier genehmigen." „Kann das jemand bezeugen?" Der Verdächtige schnaubte kurz: „So ziemlich jeder, der an diesem Abend in der Bar war, inklusive des Wirts und des Barista. Bin dann so gegen Zwölfe heim. Da war ich dann aber allein." Gerrit wollte die Hoffnung nicht aufgeben und versuchte es auf eine andere Art: „wenn Sie nichts getan haben und vor allem auch das Mädchen nicht entführt haben, wie Sie sagen, wer könnte es denn dann sein?" „Das hab ich doch schon gesagt bevor ihr mich eingebuchtet habt. Ich weiß es nicht. Elisa sagte mir nur einmal, dass ihr Vater sie geschlagen habe, als er sauer war. Und dass ihre Mutter sehr unglücklich gewesen sei und sie ihr gerne helfen würde. Als ich sie damals daheim abgesetzt hatte, war sie total ruhig und entspannt gewesen, ich hätte nie gedacht, dass sie jemand auf offener Straße entführen würde, so direkt vor dem Haus." Herr Schultze schien sehr aufgewühlt nach dieser Rede. Gerrit und Robert tauschten einen Blick und sagten dann: „Falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns. Sie können jetzt gehen, Herr Schultze. Der Kollege bringt Sie raus."


Angst [K11 - Kommissare im Einsatz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt