Kapitel 2

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Schon von weitem erkenne ich das heruntergekommene Bushäuschen, das die Haltestelle markiert. Der Weg bis dahin liegt leider komplett im Dunkeln und ich bin definitiv erleichtert, als ich im Licht der leicht flackernden Straßenlaterne neben dem Häuschen ankomme.

Einige der anderen Teenager heben den Kopf, als sie mich keuchend ankommen sehen, doch die meisten sind sogar dafür zu müde. Ich kann sie verstehen, mir geht es nicht anders.

Erschöpft atme ich auf, das war eindeutig schon wieder zu viel Sport für heute. Kurz halte ich Ausschau nach meiner besten Freundin Lucy und erkenne sie nicht viel später etwas abseits der anderen stehend. Wie fast immer hat sie Kopfhörer in den Ohren, was mich zum Grinsen bringt. Andere mögen in der Früh sozialen Kontakt und unterhalten sich und dann ist da noch Lucy.

Leise und möglichst unauffällig trete ich von hinten heran, was aufgrund der wohl eher hoch eingestellten Lautstärke ihrer Musik sehr gut funktioniert.

„Ahh! Phoebe, was machst du? Warum erschreckst du mich? Es ist Montag, willst du mich umbringen?" quietscht sie, als ich sie von hinten antippe, muss danach aber doch grinsen. Mit ihren beinahe hüftlangen braunen Haaren und den riesigen Augen ist sie wirklich ziemlich hübsch, das muss ich zugeben. Auch ihre tolle Figur tut einiges dazu, dass sie vielen Jungs den Kopf verdreht. Wir umarmen uns, bis plötzlich einer der kleineren Jungs aufgeregt an uns vorbei rennt.

„Ooohh mein Gott, der Bus kommt ich dachte schon ich muss meine Mama anrufen damit sie mich in die Schule fährt aber die ist ja gar nicht zu Hause und dann wäre ich zu spät gekommen..." plappert er vor sich hin, bis er die starrenden Blicke der anderen bemerkt und langsamer wird. Mit hochrotem Kopf steigt er in den Bus. Lucy und ich schauen uns an und fangen prustend an zu lachen. Schließlich bahnen auch wir uns einen Weg durch die Schülermenge und suchen uns einen Platz in einer der hintersten Reihen.

„Und, wie war dein Wochenende?", frage ich, wie jeden Montag. Lucys zuerst müde Augen fangen an zu strahlen und sie richtet sich ein wenig in ihrem Sitz auf. „Also am Freitag wusste ich erst gar nicht was ich machen sollte und mir war total langweilig, aber dann hat Ally angerufen und meinte, bei Jill würde so ne richtig fette Party steigen. Da bin ich natürlich hin. Ich hab schon überlegt, ob ich dich fragen soll, aber naja.. du bist ja nicht so unbedingt der Partytyp." Fast mitleidig schaut sie mich mit schief gelegtem Kopf kurz an, bevor sie sich wieder fängt und weitererzählt. Von der tollen Party bei Jill und den gutaussehenden Jungs und von der Geburtstagsfeier am Samstag bei einem von diesen. „Oh und am Sonntag war ich dann bei meiner Oma. Ich hatte dann bloß keine Zeit mehr meine Hausaufgaben zu machen. Könnte ich vielleicht..." Sie beißt sich mit einem entschuldigenden Blick auf die Lippe. Wie jeden Montag endet ihre Antwort auf meine Frage nach ihrem Wochenende natürlich damit, dass sie mich bittet, die Hausaufgaben abschreiben zu dürfen. Weil sie ja immer so viel zu tun hatte.

Dennoch krame ich kurz in meiner Tasche und lege ihr einige Hefte auf den Schoß. Dankend grinst sie mich an und fängt an, alles fein säuberlich abzuschreiben.

„Wie war denn dein Wochenende?", fragt sie, ohne von den Heften aufzusehen. „Ach, so wie immer...", antworte ich ausweichend und fange schnell an, ablenkend nach meinem Handy zu suchen. Doch Lucy achtet sowieso nicht so sehr auf mich und hat meine knappe Antwort gar nicht wirklich mitbekommen. Sie ist eine tolle Freundin und ich möchte sie nie verlieren, aber manchmal... Sie hat schon Recht, vielleicht bin ich nicht unbedingt der Typ dafür, um jedes Wochenende auf einer anderen Party zu tanzen und mit jedem zu flirten um dann am besten noch mit einem von ihnen im Bett zu landen. Aber trotzdem würde ich mich freuen, wenn sie mich zumindest einmal fragen könnte, ob ich mit will.

Es wäre bestimmt toll, zwischendurch neue Leute kennenzulernen, etwas zu trinken und Spaß zu haben. Mein Wochenende würde ich einfach gerne mal mit etwas anderem als mit Lernen verbringen.

Nach ein paar weiteren ruhigen Minuten im Bus, in denen Lucy neben mir eifrig meine Hausaufgaben abgeschrieben hat, kommen wir schon an der Schule an. Zum Glück ist die Strecke nicht wirklich weit und außerdem fährt unser Bus nur wenige Haltestellen an.

Schnell verstauen wir unsere Hefte wieder in den Taschen und quetschen uns an jüngeren Schülern vorbei durch die Tür. Auf dem Weg zu den großen Türen unseres veralteten Schulgebäudes treffen wir auf Ally, mit der wir beide sehr gut befreundet sind. „Hey", begrüßt sie uns fröhlich, mit dem für sie typischen umwerfenden Lächeln, und schließt erst Lucy, dann mich in die Arme.

Da es schon kurz vor Unterrichtsbeginn ist, machen wir uns gemeinsam auf den Weg zu unseren Spinden. Weit kommen wir allerdings nicht, da wir nach ein paar Metern auf Alex, Lucys Freund treffen. Die beiden sind erst seit kurzem zusammen und extrem verliebt. Nach einem kurzen fragenden Blick von Lucy und einem Nicken unsererseits ziehen die beiden kichernd und Händchen haltend ab und Ally schaut mich belustigt an. Sie ist ebenfalls in einer Beziehung, aber schon etwas länger. Ihr Freund Max geht nicht auf unsere Schule, zum Glück. Sonst würde ich den ganzen Tag entweder alleine oder mit zwei nervigen Pärchen im Schlepptau herumlaufen. So bleibt mir zumindest noch eine Freundin bei klarem Verstand.

Während Ally noch einige Bücher für die nächsten Schulstunden aus ihrem Spind holt, betrachte ich gedankenverloren unsere Umgebung. So kurz vor Unterrichtsbeginn befinden sich nicht mehr allzu viele Schüler auf den Gängen. Die wenigen, die ich erblicke, beeilen sich entweder ziemlich, um keinesfalls zu spät kommen, oder lassen sich erst Recht Zeit. Die der zweiten Variante angehörenden sind meistens die schon etwas älteren Schüler, die mit einem Kaffee in der Hand gelangweilt durch die Gegend spazieren und sich alle Zeit der Welt lassen, da ihrer Ansicht nach sogar dem legendären umgefallenen Reissack in China eine größere Wichtigkeit zuzurechnen ist, als der Schule.

Ebendiese ist leider mittlerweile nicht mehr auf dem neusten Stand, einige Lichter sind kaputt und auch nicht alle Fenster lassen sich noch vollkommen schließen. Belustigt betrachte ich einen kleine Zettel neben einem dieser besagten Glasscheiben, dass jeder mit einem Hauch von Lebenswillen lieber auf frische Luft verzichten soll.

An vereinzelten Stellen bröckelt der Putz von den Wänden und auch der Boden ist nicht mehr perfekt. Trotz allem liebe ich diese Schule zumindest soweit, wie man Schule eben lieben kann. Auch dadurch, dass es hier recht wenig Schüler gibt, verbreitet eine heimische, gemütliche Atmosphäre.

Wenn die Hoffnung zuletzt stirbt - muss ich dann vor ihr gehen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt