Kapitel 40

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Wir setzten uns auf den Boden und ich starrte in die Flammen. Wenn jemand etwas in das Feuer hineinwarf, wurde es augenblicklich verschluckt. Die Flammen lechzten danach und züngelten hoch in den Himmel hinauf, als seien sie begierig, alles um sich herum in Asche zu legen.
Um mich herum wurden Würstchen in die Wärme gehalten, aber ich rührte mich nicht. Die Schönheit des Feuers hatte mich schon immer fasziniert und ich beobachtete, wie es an den trockenen Ästen leckte, bevor es sie verschlang. Die wabernden Farben, das Knistern und die Stimmen der Menschen ließen mich langsam wieder ruhig werden und ich entspannte mich etwas. Ich konzentrierte mich ganz darauf, die Hitze auf meiner Haut zu spüren und verbannte alle Gedanken aus meinem Kopf.
Neben mir saß Tristan im Schneidersitz und schnitzte sich einen Stock zurecht, um seine Wurst später darauf aufzuspießen. Manchmal flog ein kleiner Holzspan auf meine Jeans, doch es störte mich nicht. Langsam brannte das Feuer immer weiter hinunter und immer mehr Dorfbewohner kamen, um sich ihr Essen zu machen.
"Hier, ich habe dir auch einen Stock vorbereitet", sagte Tristan plötzlich und ich schaute ihn überrascht an. Dass er einen zweiten geschnitzt hatte, hatte ich überhaupt nicht bemerkt.
"Danke", erwiderte ich etwas perplex und lächelte ihn an. "Wollen wir uns einen Nudelsalat oder so holen?"
"Gerne", stimmte er zu und wir erhoben uns. Auf den Biertischen standen mehrere Schüsseln mit Salaten, sowie Gebäck und mehrere Körbe voller Brötchen. Daneben lagen drei Stapel Pappteller und Plastikbesteck.
Nachdem wir uns an dem kleinen Buffet bedient hatten, kehrten wir zum Feuer zurück. Jemand hatte einen Rost am Rande der Feuerstelle platziert und die Fleischstücke darauf verströmten einen Geruch, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ein paar Leute hantierten mit Grillmessern und anderem Zubehör daran herum, manche aßen bereits.
Wir setzten uns neben Bernd, der ebenfalls eine Wurst über die Glut hielt. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
"Hallo, ihr Beiden", begrüßte er uns und rutschte ein Stück zur Seite, um uns Platz zu machen.
"Hallo", erwiderte ich und stellte den Teller auf meinem Schoß ab. Er wackelte etwas, doch ich balancierte ihn aus.
Während wir unsere Würste grillten, unterhielten wir uns über das Programm für den heutigen Abend, das ich inzwischen ja in- und auswendig kannte. Es herrschte eine lockere Atmosphäre und ich beachtete David kaum, der sich nicht weit entfernt von uns aufhielt. Bernd verstand es wirklich, Ereignis spannend zu erzählen und berichtete Tristan von den letzten Dorffesten. Auch nachdem wir gegessen hatten und satt waren, blieben wir sitzen und lachten mit dem Priester über die misslungenen Auftritte der letzten Jahre.
Der Himmel begann, sich rosa zu färben und die Schäfchenwolken schienen im sanften Licht der untergehenden Sonne zu leuchten. Das Programm fing an und wir hörten den Dorfbewohnern zu, die kleine Sketche aufführten oder ihren ganzen Mut zusammen nahmen und ein Ständchen vortrugen.
Aber je später es wurde, desto weniger Leute schenkten ihnen ihre Aufmerksamkeit. Davon war Oma bereits ausgegangen, denn nun folgte endlich die Band, die schon in den letzten Jahren mehrmals ins Leben gerufen worden war. Die Musik fügte sich wunderbar in das Stimmengewirr ein.
"Lust, zu tanzen?", fragte Tristan und deutete auf die Leute, die sich vor der Musikgruppe im Takt bewegten.
"Gerne", erwiderte ich und sah Bernd an. "Du auch?"
"Nein, danke. Ich würde nur allen auf die Füße treten", gab dieser lachend zurück und seine kleinen Augen funkelten im Schein der letzten, winzigen Flammen.
"Dann bis nachher", meinte ich und folgte Tristan. Gerade wurde ein etwas älteres Lied gespielt, das ich nicht kannte, aber das Tempo war perfekt, um gemütlich dazu zu tanzen.
Ich hatte nie einen Tanzkurs besucht und auch als Kind keine Ballettstunden oder Ähnliches gehabt. Deshalb hoffte ich, dass in Tristan kein begnadeter Tänzer steckte und ich mich nicht vor ihm blamieren würde.
"Kannst du gut tanzen?", erkundigte Tristan sich, bevor wir uns unter die Dorfbewohner mischten, deren Körper sich mit der Musik bewegten.
"Nicht wirklich", antwortete ich.
"Ich auch nicht", grinste er und nahm meine Hand, um mich ein Mal um meine eigene Achse zu drehen. Erleichtert lächelte ich ihm zu und folgte seinen Schritten. Zwar steckte hinter seinen Bewegungen keine feste Kombination, aber dennoch sah alles fließend und entspannt aus, als würde er das jeden Tag machen.
Der Sänger der kleinen Band, der bestimmt schon 50 Jahre alt war, sang etwas auf Englisch, das ich nicht verstehen konnte, weil er etwas nuschelte. Aber der Mann hatte eine schöne Stimme und ich ließ mich von der Melodie tragen, ohne darüber nachzudenken, ob meine Schritte gut oder schlecht aussahen.
Bei manchen Liedern nahm Tristan meine Hand und wir schafften es sogar, ein paar Takte Walzer zu tanzen, ohne uns gegenseitig auf die Füße zu treten. Meistens unterhielten wir uns über belanglose Dinge, während die Sonne immer weiter unterging und die ersten Fackeln angezündet wurden, die flackendes Licht verbreiteten.
Ein paar schwache Scheinwerfer wurden aufgebaut und tauchten die Wiese in ihren weißgoldenen Schein. Ich liebte es, wenn die Sonne verschwunden war und hier ausgelassene Stimmung herrschte. Jeder schien sich wohlzufühlen und überall hörte man das Lachen der Dorfbewohner, das sich mit der Musik und den Geräuschen des Waldes vermischte.
Die Temperatur wurde immer angenehmer und kühlte meine erhitzte Haut etwas. Durch das Tanzen war mir wirklich warm geworden und hin und wieder spürte ich die Arme und Rücken anderer Leute, wenn diese uns zu nahe kamen. Aber das störte mich kaum und je weiter der Abend fortschritt, desto mehr alberten Tristan und ich herum. Wir ahmten Tanzschritte nach und machten uns heimlich über andere lustig, die nicht so recht zu wissen schienen, was sie mit ihren Beinen tun sollten und sich sehr ungeschickt bewegten.
Da fühlte ich auf einmal eine Hand an meinem Po. Doch als ich mich umdrehte, stand niemand hinter mir. Nur Merle verschwand zwischen den tanzenden Menschen.
"Alles okay?", fragte Tristan und ich nickte. Ich konnte die Berührung beinahe noch spüren. Und es war definitiv keine zufällige gewesen.
"Ja. Wollen wir eine Pause machen?", erwiderte ich und ließ meinen Blick noch einmal über die Leute schweifen, in der Hoffnung, irgendwo Merle zu entdecken. Etwas weiter sah ich Carmen, Pauline, Uwe und meine Großeltern, doch von Merle keine Spur.
"Gerne, mir ist ziemlich warm", meinte Tristan und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Gesichtszüge und er schob mich sanft durch die tanzenden Leute.
Unruhig schaute ich mich immer wieder um. Was hatte sich Merle dabei gedacht? Sobald ich sie entdeckte, würde ich sie zur Rede stellen.
Während ich am Rand der Wiese wartete und Ausschau hielt, holte Tristan uns etwas zu trinken. Gerade, als ich noch einmal die tanzenden Dorfbewohner genauer in Augenschein nehmen wollte, bemerkte ich, dass bei dem Grillplatz etwas matt schimmerte. Sofort war mein Interesse geweckt und ich marschierte zielstrebig darauf zu.
"Isabelle?", hörte ich Tristan rufen.
Ich drehte mich kurz zu ihm um und winkte ihn zu mir. Er hielt zwei Plastikbecher in der Hand und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um nichts zu verschütten. Ungeduldig tippte ich mit dem Fuß auf den Boden und ging dann voraus. Mein Herz überschlug sich fast, als ich bei den Baumstämmen ankam. Ein paar ältere Dorfbewohner saßen noch da und starrten auf die verkohlten Überreste der Zweige und Holzscheite, die das Feuer genährt hatten. Über einer der Sitzgelegenheiten hing eine schwarze Lederjacke.
Sofort ergriff ich sie und begutachtete sie. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder den Ärmel in der Gasse verschwinden.
Mein Mund wurde trocken und ich  befeuchtete mir die Lippen. Ich hatte keine Zweifel daran, dass die Jacke demjenigen gehörte, den ich verfolgt hatte. Mir lief es kalt den Rücken hinunter und mein Atem drang stoßweise aus meinem Mund. Der Mörder musste mitten unter uns sein.

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