Sie blickt aus dem Fenster.
Regentropfen prasseln gegen die Scheibe und vereinen sich zu winzigen Bächen, die an der Hauswand herunterfließen.
Auf dem Gehweg hetzen die Menschen über den nassen Gehweg, von oben herab sind nur die Kapuzen und aufgespannte Regenschirme zu sehen.
Sie legt die Stirn gegen die Scheibe, in der Hoffnung die Gedanken beruhigen zu können, die ihren Kopf zum Überhitzen bringen.Schon als Kind hatte sie den Herbst geliebt. Damals, als sie mit ihren Eltern Hand in Hand um die Häuser zog, um mit einem Lächeln voller Zahnlücken an den Türen zu klingeln um Süßes abzustauben.
Ihre Mutter hatte ihr für Halloween immer ein Kostüm genäht, am liebsten hatte sie sich als Hexe verkleidet, mit einer violetten Schleife an ihrem spitzen Hut. Währenddessen bastelte sie mit ihrem Vater an einem Papierdrachen, der zwar selten flog, aber immer schön in ihrem Kinderzimmer aussah.
Sie fröstelt und schlingt die Strickjacke enger um sich. Die Ringe unter ihren Augen sind fast so dunkel wie der wolkenverhangene Himmel.
Ihre Gedanken schweifen wieder ab, ziehen wie Rauchschwaden in ihrem Kopf hin und her.
Bei der Erinnerung an ihre Kindheit glaubte sie, wieder den Geschmack der einmaligen Kürbissupe ihrer Mutter zu schmecken. Das Rezept wurde in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben.
Doch nachdem die Bettseite ihres Vater leer war und sie einmal wöchentlich zum Friedhof fuhren, gab es statt hausgemachter Suppe nur noch Essen aus der Mikrowelle.
Eine Träne bahnt sich ihren Weg über ihre Wange, rollt über ihre zerbissenen Lippen und tropft vom Kinn.
"Mama..." murmelte sie, während ihre Schultern bebten.
Fast zehn Jahre waren nun vergangen, seit dem regnerischen Tag, an dem die Männer in den blauen Uniformen sie abgeholt hatten.
Zehn Jahre, seit die Füße ihrer Mutter nicht mehr den Boden voller gold-braunem Laub berührten, sondern einige Zentimeter darüber baumelten.
Sie zündet sich eine Zigarette an und blickt mit glasigen Augen dem Rauch hinterher, der in sich verschlungen zur Zimmerdecke steigt.
Bei der gelblichen, gewellten Tapete ihrer Einzimmerwohnung wird das Rauchen in der Wohnung wohl kaum einen Unterschied machen, denkt sie.
Mit zittrigen Fingern öffnet sie das Fenster und ein leichtes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel.
Einzelne Sonnenstrahlen fallen durch die Wolkenwand. Der milde Herbstwind fegt einzelne Blätter über die Straße.
Langsam steigt sie auf das Fensterbrett und schließt die Augen.
Es ist der erste Oktober, der Tag an dem sie ihre Mutter an eine Depression und einen Strick verlor.
Der Tag, an dem sie verstanden hatte, dass ihr Vater nicht mehr bei ihr sein würde.
Der Tag, an dem sie lernte, dass Menschen nicht mehr als Tropfen sind, die früher oder später auf dem Boden zerplatzen.
Doch bald würde sie nicht mehr alleine sein.
"Hallo Oktober."
Die Worte sind kaum mehr als ein Hauch im Wind, der sie weiterträgt über die Dächer der Stadt.Sie lässt sich nach vorne sinken, gibt nach und greift nach der kalten Hand des Todes.
Wie ein Regentropfen fällt sie durch die Herbstluft, auf den Asphalt zu.
Um sie herum wirbeln die Farben, sie breitet die Arme aus und umarmt den Regen.
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Hello October
Short StoryMenschen sind wie Regentropfen, die früher oder später auf dem Asphalt zerplatzen.