Robin

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Ein Knistern weckt mich auf, bevor es eine Lautsprecherdurchsage tut.
»Guten Morgen. Es ist acht Uhr.«

Ich sitze in meinem Bett und halte Ausschau nach dem Ursprung der Durchsage, deren Stimme hundertprozentig zu Mr. Chains gehört.
Ganz oben rechts in der Zimmerecke über der Tür, der Kasten, den ich anfangs für einen Air Conditioner gehalten habe. Langsam setze ich meine Füße auf den flauschigen Teppichboden und strecke mich ausgiebig.
Heute sehe ich Robin Brooks wieder. Diese Erkenntnis überollt mich wie eine Hitzewelle.
Ich laufe zu meinem Kleiderschrank. Er ist bereits unterteilt worden in Ausgang, Abend, Ausflug, Arbeit.

Aus dem Letzten Fach ziehe ich eine dunkelblaue Skinny Jeans und eine weiße Bluse. Ich sehe sogar recht akzeptabel darin aus, obwohl das normalerweise nicht mein Stil ist.

An meinem Spiegel kämme ich meine blonden Haare, die mir mittlerweile bis zur Taille gehen. Dann mache ich mir einen hohen Zopf.
Dem Anlass entsprechend fällt mein Make-Up recht dezent aus, ich habe mich um Patienten zu kümmern. Und soll nicht aussehen wie als würde ich einen Galaball besuchen. Oder den Karneval. 

Anschließend ziehe ich mir noch eine sehr lange, goldene Kette an. Ich betrachte mich im Spiegel.

Mit dem Ergebnis bin ich für meinen Teil ziemlich zufrieden. 

Als ich fertig bin, klopft es an meiner Tür. Verwundert gehe ich zur Tür. »Jack, was tust du denn hier?« Sein Blick streift flüchtig mein Dekolleté. Dann wandern seine Augen zurück zu meinen.
»Ich, äh, wollte dir einen guten Morgen wünschen. « Sein Blick schweift zur Decke, er runzelt angestrengt die Stirn. »Guten Morgen.« Wir stehen stumm vor meinem Zimmer. In dem Moment höre ich ein sich wiederholendes Quietschen, und im Nächsten sehe ich Alex mit seinem Wagen auf uns zu kommen. »Guten Morgen!«, ruft er uns zu. »Guten Morgen, Alex. Und, was gibt es heute?«
Er zwinkert mir zu. »Zur Feier des Tages für dich sogar einen Vanillepudding, meine Liebe.« Er versucht, nicht zu lachen, was ihm kläglich misslingt.
Er gibt mir ein Tablett. »Lass es dir schmecken, Venice.«
Ich lächle ihm zu u d bedanke mich höflich. Jack verschwindet. Wohin? Keine Ahnung.

Nach dem Frühstück ist es dann Zeit. Jetzt gehe ich zu Robin.

Ich schnappe mir noch seine Unterlagen und gehe hinauf zum Korridor meiner Patienten. Dann stehe ich vor der hohen Tür aus schwerem Kastanienholz und gebe den Code für Robins Zimmer ein. Ein Klicken erklingt. Ich öffne die Tür. Zuerst kann ich Robin nicht sehen. Dann erblicke ich seine Haare in seinem Bett.
Ich schließe Die Tür. Leise schleiche ich zu seinem Bett. Er liegt da, halb zugedeckt, oberkörperfrei. Im Schlaf sieht er so... normal aus. Wie als könnte er keiner Fliege was zuleide tun. Der Starke Ansatz eines Sixpacks ist auf seinem Bauch erkennbar. Mein Blick bleibt auch an seinen Oberarmen hängen. Selten habe ich so einen gutaussehenden Patienten gesehen. Auch wenn ich noch nicht so lange fertig bin mit meinem Studium.

Als kleines Kind dachte ich immer, Psychopathen waren Menschen mit entstellten Gesichtern, fehlenden Körperteilen, einem gefährlichen Grinsen und der Ständigen Mordbereitschaft.
Aber Robin macht auf mich einen sehr verständnisvollen Eindruck.
Aber seine dunkle Ader kann sich ja noch zeigen, schießt es mir durch den Kopf.
Mein Blick geht wieder zurück zu seinen Augen. Innerlich zucke ich vor Schreck zusammen, als ich sehe, wie Robin mich anlächelt. »Guten Morgen, Venice.« Ich tue, als wäre mein Bodycheck nie vorgekommen und setze eine neutrale Miene auf.

#21 Zeige einem Patienten als Therapeut keine Schwäche, sei ihm stets überlegen und immer einen Schritt voraus.

Diese Regel schießt mir durch den Kopf. »Guten Morgen, Brooks. Auch mal wach.«
Er setzt sich auf, sein Haar steht in alle Richtungen ab.

»Ja. Ich dachte , ich wäre gestorben, als ich aufgewacht bin und einen Engel gesehen habe.« Er zwinkert mir zu und von seinen Worten habe ich fast das Gefühl, rot zu werden.
Lächelnd drehe ich mich weg und gehe auf seinen Tisch zu, an dem zwei Stühle stehen.

»Sind wir mal nicht so überheblich, Brooks. Das Manipulieren können sie sich bei mir abschminken.« Er grinst mich an. »Wirklich? Was meinen sie denn mit Manipulation? Sie sehen doch wirklich aus wie ein Engel, Venice.«
Halbnackt und muskulös, wie er dasitzt, sein Lächeln und die Tatsache, dass er solche Komplimente sagt, bringen mich beinahe um den Verstand. Nur eine klitzekleine Schwelle muss er noch überschreiten, dass ich mich ihm an den Hals werfe.
Keine Zweifel, er war verdammt heiß. Verdammt heiß. Und er wäre wohl kaum hier, wenn er nicht wüsste, was er für eine Wirkung auf mich hat.

Aber ich bin auch nicht umsonst hier. Immerhin habe ich die letzten Jahre damit zugebracht, Verhaltensweisen und Körpersprache zu studieren.

»Robin, diese Art können sie sich sparen. Und für Sie bin ich Miss Porter.«
Robin schweigt und sieht mich nur an.

»Miss Porter.« Er spricht es sehr verführerisch aus. Beinahe ehrfürchtig.
Aber nur Beinahe.

Er lächelt.

»Also, dann fangen wir mal an. Wie gehts Ihnen heute?« Robin lächelt noch immer. »Sehr gut. Und ihnen, Venice Porter?« Ich nicke als Antowort. »Mir geht es auch gut.«

Robin nickt. Dann steht er auf und geht zu seinem Schrank.
Ich sehe seine ausgeprägte Rückenmuskulatur. Dann zieht er ein graues Shirt hervor und zieht es über seinen Kopf. Dann wirft er einen flüchtigen Blick in den Spiegel, bevor er sich wieder mir zuwendet.
Er grinst.

»Du bist echt süß wenn du mich so anstarrst.«

Ich werde knallrot. Die altbekannte Hitzewelle überrollt mich.

Flirtet da grade ein Psychopath mit mir?

Demonstrativ starre ich ihn an. »Also, lass uns über deine Probleme reden.
Wie lange bist du hier schon? «

Er setzt sich zu mir an den Tisch.

»Sechs Jahre.« Er spricht mit so einer festen Stimme, dass seine Sorgen und Schmerzen nur erahnen kann.

Ich habe wirklich Mitleid mit ihm.

Auf einmal hebt er seinen Blick und sieht mich an, fixiert meine Augen mit seinem blauen, schmerzerfüllten Blick.

»Aber glaub mir, wenn ich hier eines Tages entlassen werde,  werden die Leute, die mich hierhergebracht haben, dafür bezahlen. Und wenn es das Letzte ist, das ich tue.«

Robin BrooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt