96) Wofür es sich zu leben lohnt

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Miros Sicht:

Sie fällt immer tiefer. Sie kann sich nicht einfach das Leben nehmen. Das darf sie nicht. Ich könnte nicht ohne sie leben. Ich liebe sie.

„Azura, bitte nicht!" schreie ich.

Sie ist nur noch 10 Meter über dem Meer. Abrupt bremst sie ihren Fall und sieht in meine Richtung. Sofort fliege ich zu ihr und sage:

„Azura, warum tust Du das? Das geht doch nicht. Was würde deine Mutter von dir denken?"

Ich konnte nicht. Ich konnte es ihr nicht sagen. Aber es passt. Ihre Mutter wäre sicher schockiert, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter Selbstmordgedanken hegt.

„Sie ist tot. Sie kann gar nichts mehr denken." erwidert sie mir kalt.

Dann schluchzt sie leise, eine Purpurfarbene Träne schimmert in ihren hübschen Augen und kullert langsam ihre Wange hinab. Zögerlich strecke ich eine Kralle aus und wische die Träne vorsichtig weg. Sie lächelt dankbar und ich erwidere ihr Lächeln zaghaft. Vertrauensvoll lehnt sie sich an mich. Es fühlt sich so gut an. Und richtig. Ich kann meine Liebe zu Azura nicht mehr leugnen. Ich sehe ihr tief in ihre wunderschönen grünen Augen. Ich versinke in ihren unglaublichen Tiefen. Soll ich ihr wirklich sagen, dass ich sie liebe? Habe ich überhaupt eine Chance oder hat sie vielleicht schon einen Gefährten gefunden? Auszuschließen wäre es nicht, schließlich sieht sie einfach nur hinreißend aus. Wenn ich mich jedoch nicht täusche, kann ich in ihren Augen einen liebevollen Schimmer sehen. Vielleicht habe ich ja Glück und sie liebt mich auch.

„Mirko." flüstert sie in diesem Moment leise meinen Namen. Vor Freude läuft mir ein Schauer über den Rücken. Mutig hauche ich ihr liebevoll ins Ohr:

„Ich muss dir etwas sagen."

Erwartungsvoll schaut sie mich an.

„Ich liebe ich."

„Ich dich auch."

Eine angenehme Wärme breitet sich in mir aus und lässt mich vor Freunde wohlig schnurren. Sie grinst, dann schmiegt sie sich eng an mich. Ein markerschütternder Schrei ertönt und ich löse mich ruckartig von Azura. Ein Surrisch stürzt mit blitzenden Krallen auf uns zu. Ich fauche angriffslustig und dann jage ich ihm hinterher. Es ist noch fast ein Jungtier, kein Wunder das er sich so aufspielen will. Aber er hat mich und meine Geliebte gestört und das macht mich wütend. Im Normalfall hätte ich vielleicht nicht so überreagiert. Er ist weg. Im Getümmel verschwunden. Ich drehe mich einmal im Kreis, doch auch Azura kann ich nirgendwo entdecken. Dann sehe ich kurz einen hellen Fleck, der jedoch sofort wieder verdeckt wird. Ich fliege los, in der Hoffnung Azura zu finden. Hin und wieder versetze ich einem feindlichen Quatzol einen Krallen hieb. Als ich mich endlich zu dem Felsvorsprung durchgearbeitet habe, sehe ich, dass es nicht Azura ist. Aber es besteht schon eine gewisse Ähnlichkeit. Der gleiche anmutige Körperbau und die gleichen grauen Hörner. Nur die von meiner Azura haben noch zwei blaue Streifen. Die Drachin zu meinen Klauen ist auch größer. Oh nein. Das ist ihre Mutter. Schockiert sehe ich zu der Toten hinab. Erstaunt blinzele ich. Hat Azura nicht eindeutig gesagt, ihre Mutter ist tot? Und doch meine ich, eine schwache Atmung zu erkennen. Ich beuge mich über die angeblich tote Drachin, deren blütenweißes Fell blutverkrustet ist, und horche. Ja tatsächlich. Sie atmet. Schwach, aber sie atmet. Das heißt, dass sie noch lebt. Ich untersuche die Verletzte genau und stelle fest, dass sie viele schwere Wunden hat, an denen sie durchaus noch sterben könnte. Der erste Augenblick in meinem jämmerlichen Leben, in dem ich meinem Vater dankbar bin, dass er darauf bestanden hat, dass ich die verschiedenen Wirkungen von Kräutern und Pflanzen lerne. Mein Vater war total versteift darauf gewesen, dass ich Heiler werde. Ich hab das nie gewollt, doch jetzt kann ich mit diesem erworbenen Wissen vielleicht sogar ein Leben retten. Sie muss einfach überleben. Azura ist sonst tot unglücklich. Und ich will, dass es ihr gut geht. Aber es ist nicht nur, weil es Azuras Mutter ist, ich hätte jedem anderen Verletzten auch geholfen. Egal ob nun Surrisch oder nicht. Ich säubere das Fell meiner Patientin vorsichtig und langsam mit meiner Zunge. Das Blut schmeckt metallisch und angewidert schüttele ich den Kopf. Dann mache ich weiter. Unter dem vielen Blut finde ich dann die Wunden. Es sind zwei Biss Spuren am Hals und einige weniger schlimme Kratzer am Bauch und an den Flanken. Zuerst widme ich mich der Halswunde. Ich reiße mir einige Brustfedern aus, die noch nicht blutig sind und drücke sie auf die Wunde. Nach einiger Zeit ist die Blutung gestoppt und meine Federn blutgetränkt. Ich lasse sie zur Sicherheit weiter auf der Wunde, dann schaue ich mir die kleineren Verletzungen an. Die Schnittstellen sind leicht angeschwollen. Ich behandele sie, so gut es geht, dann mache ich eine Pause. Erschöpft sitze ich neben meiner Patientin. Ich muss sie hier fortschaffen, sonst wird sie noch endgültig getötet. Ich kann schließlich nicht ewig auf sie aufpassen. Ich sehe mich um. Ganz in der Nähe ist der Eingang in einer Höhle oder zu einem Gang. Ganz egal, denke ich und ziehe die Verletzte, vorsichtig, damit die Wunden nicht wieder zu bluten beginnen, in den Gang.


Verkehrte Welt 1 - Die Kinder des Himmels [Httyd/Drachenzähmen leicht gemacht]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt