K A P I T E L 30

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Ich lief im Gang auf und ab, die Tränen strömten nur so aus meinen Augen und das einzige, woran ich denken konnte war Joana. Schon seit Stunden lag sie nun in diesem Raum und wurde operiert. Und seit Stunden kam kein einziger Arzt vorbei, der uns etwas über ihren Zustand erzählen konnte. Als ich realisierte, dass die Kugel nicht mich, sondern sie getroffen hatte, hatte ich schnell gehandelt. Ich hatte sie getragen und ins Krankenhaus gefahren, wo wir jetzt seit mehreren Stunden warteten. Sowohl meine, als auch ihre Familie, die engsten Mitglieder waren da. Ihr Vater weinte ununterbrochen, genau wie ich. Er fühlte sich schuldig. Er wollte mich umbringen, aber Joana hatte sich vor die Kugel geworfen. Nur um mich zu retten. Wütend über ihre Tat schlug ich mit meiner Faust gegen die Wand, bis diese anfing zu bluten.
,,Hey, hör auf damit, Alessio'', hörte ich Jonas hinter mir sagen, der mich von der Wand zurück zog und mich zwang, mich auf einen dieser Stühle zu setzen. Wie so oft in den letzten Stunden hörte ich Schreie aus dem Wartezimmer, wieder stritten sich die beiden Familien und wollten sich wahrscheinlich gerade umbringen.

-Carlos' Sicht-

,,Du kleiner Spast, wag es noch einmal ein einziges schlechtes Wort über meine Familie zu verlieren!'', brüllte ich einen der Italiener an, der es wagte uns für diese Situation die Schuld zu geben. ,,Dein Onkel hat doch seine eigene Tochter abgeknallt, ist es nicht so?'', schrie dieser Typ mich ebenfalls an und ich verlor meine Geduld und ging mit großen Schritten auf ihn zu, bereit ihm eine reinzuschlagen. ,,Meine Herren, ich darf sie doch wohl bitten!'', mischte sich plötzlich eine laute, weibliche Stimme ein und ich stockte in meiner Bewegung und richtete den Blick auf sie. Eine junge, hübsche Frau, ganz in weiß bekleidet stand mahnend in der Tür und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. ,,Komm zurück, Carlos'', murmelte Onkel Fabio hinter mir und zog mich von dem Italiener weg, der es mehr als nur verdient hatte, eine in die Fresse zu bekommen. ,,Haben sie Informationen über meine Tochter?'', fragte Onkel Malik weinend und stand ihr nun gegenüber. ,,Ja die habe ich. Die Operation ist beendet, soweit ist der Zustand von Joana stabil..'' Ein erleichtertes Ausatmen war im Raum zu hören, nicht nur von meiner Familie. Auch die Italiener schienen aufrichtig erleichtert zu sein. Aber wieso?
Bevor ich den Gedanken weiterführen konnte, stürmte Alessio in den Raum und stand der Ärztin mit knallroten Augen gegenüber. ,,Leah, wie-wie gehts es dem Baby?'', fragte er und mein Magen zog sich zusammen. ,,Es tut mir leid, Alessio, aber..wir konnten es nicht retten'', sagte die Ärztin plötzlich leise und bemitleidend. Alessio vor ihr starrte sie nur an, während ihm weiterhin Tränen über die Wangen liefen und auch mir kamen allmählich die Tränen. Der Gedanke daran, dass Joana von Alessio schwanger war, war nicht der tollste Gedanke für mich, trotzdem war es nunmal ein Baby. Es war Joana's Baby. ,,Kann ich sie sehen? Ich muss sie sehen Leah, bitte'', flehte Alessio nun und sie nickte leicht. Sie ließ ihren Blick kurz über alle Anwesenden streifen und blieb länger bei mir hängen. ,,Es können sie maximal zwei Leute besuchen. Joana ist zwar noch nicht wach, aber sie braucht trotzdem viel Ruhe. Also reißen sie sich bitte alle zusammen. Joana zu Liebe'', meinte sie und Alessio nickte sofort. Für alle war klar, dass er einer dieser Personen sein wird, der sie heute besuchen darf. Keiner sagte etwas dagegen, egal wie sehr wir ihn hassten. Langsam drehte er sich zu meinem Onkel Malik um und blickte ihn respektvoll, trotzdem weinend an. ,,Kommen sie mit?'', fragte Alessio ihn und Onkel Malik nickte nur zur Bestätigung, während auch ihm still die Tränen über die Wangen liefen. Zusammen verließen sie den Wartebereich und machten sich auf den Weg zu ihrem Zimmer.

Es waren einige Stunden vergangen, die Mafiamitglieder waren nach und nach in ihre Unterkunft gefahren und im Krankenhaus blieben Alessio, seine beiden Cousins, Onkel Malik, Onkel Fabio und ich. Desto später es wurde, desto mehr bemerkte ich die Müdigkeit. Auch meinen beiden Onkels ging es so, die ich nach langem Überreden dazu bringen konnte, in die Villa zu fahren, die wir uns für die paar Tage gemietet hatten. Also blieb ich nun alleine aus meiner Familie im Krankenhaus. Während Alessio und seine Cousins im Wartezimmer waren, befand ich mich auf den Stühlen im Flur und war einfach nur da. Wir konnten nichts machen. Joana war immer noch nicht aufgewacht. Trotzdem
wollte ich, falls sie aufstehen sollte, dass jemand aus ihrer Familie da war.
,,Sind sie ihr Bruder?'', fragte mich plötzlich eine weibliche Stimme und ich zuckte zusammen. Ich blickte hoch und sah die junge, blonde Ärztin. ,,Nein, ihr Cousin'', murmelte ich und versuchte sie anzulächeln. Überraschenderweise setzte sie sich neben mich und starrte genau wie ich auf die Wand gegenüber. ,,Joana kann sich wirklich glücklich schätzen eine Familie zu haben, die sie liebt und die für sie da ist'', meinte sie und ich nickte. ,,Leider konnte wir nicht gut genug für sie da sein und auf sie aufpassen. Sonst wäre es wahrscheinlich niemals so weit gekommen'', murmelte ich und spürte nun ihre Blicke auf mir. ,,Geben sie sich selber nicht die Schuld, damit machen sie sich nur kaputt. Es ist gekommen, wie es gekommen ist. Joana wird es bald wieder besser gehen'', sagte sie und ich drehte meinen Kopf ebenfalls zu ihr. Wenige Zentimeter trennten uns. Es wurde ruhig.
,,Wo kommen sie her?'', fragte ich sie, da mir ihr Aussehen sofort aufgefallen war. ,,Wie bitte?'', fragte sie und zog die Augenbrauen nach oben. ,,Sie sind keine Italienerin'', stellte ich fest und sie nickte lächelnd. ,,Stimmt. Ich bin aus Norwegen. Ich bin mit etwa zwölf Jahren mit meiner Familie her gezogen, da mein Vater hier seine Praxis eröffnen wollte'', erzählte sie kurz und ich nickte. ,,Leah, nicht wahr?'', fragte ich und sie nickte, ihre Wangen wurden leicht rot. ,,Ich bin Carlos'', murmelte ich und wir starrten uns einfach nur an. Ihre Wangen wurden immer dunkler. Ihre strahlend blauen Augen zogen mich in ihren Bann und ich konnte nicht anders, als ihr die dünne, blonde Strähne, die ihr ins Gesicht fiel, hinter ihr Ohr zu streichen.
Plötzlich räusperte sie sich und stand abrupt auf. ,,I-Ich..sollte dann mal wieder an die Arbeit'', stotterte sie, drehte sich um und lief mit schnellen Schritten davon, ehe ich etwas sagen konnte. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

-Alessio's Sicht-

Es war bereits mitten in der Nacht und Joana war immer noch nicht aufgewacht. Meine Gedanken kreisten nur um sie und den Anblick, den ich bekam, als ich mit ihrem Vater zusammen ihr Zimmer betrat und sie da liegen sah. So zerbrechlich. So blass. Und trotzdem noch so wunderschön. Ihr Vater hatte ununterbrochen geweint, hatte sich ungefähr tausend Mal bei ihr entschuldigt, auch wenn sie ihn nicht hören konnte. Bevor wir das Zimmer wieder verlassen konnten, hielt mich Malik auf und drückte mich plötzlich in eine Umarmung. Und ich erwiderte sie. 'Es tut mir leid, ich habe dein Kind umgebracht', hatte er mir in mein Ohr geflüstert, bevor er sich wieder von mir gelöst hatte und hatte dann schnell das Zimmer verlassen, ohne auf eine Reaktion von mir zu warten.

Mission IncompleteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt