Wahrnehmung

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W wie Wahrnehmung


Hamburg.

2016.

Milly konnte es immer noch nicht glauben. Sie hatte doch wirklich das Stipendium bekommen.

Es war eigentlich keine große Sachen auf eine Uni zu gehen, wenn man zu der oberen Mittelschicht gehörte und genügend Geld hatte, doch bei Milly war das anders. Zwar waren sie nicht arm, mussten aber dennoch an allen Ecken und Enden sparen um über die Runden zu kommen. Hier in Hamburg gab es nur entweder oder. Entweder du konntest es die leisten eine Universität zu besuchen oder du konntest es dir nicht leisten.

Und nun stand sie hier und bestaunte die Uni. Das große Gebäude, welches hinter einem großen Platz in die Höhe ragte, sah alt aus. Sie tippte auf Klassizismus. Hier würde sie also Psychologie studieren. Gedankenverloren lief sie über den von der Sonne erwärmten Platz. Einige Studenten standen in Gruppen zusammen und redeten angeregt miteinander. Ab und zu konnte sie ein paar Professoren in der Masse erkennen. Die Leute beobachtend ging sie weiter, bis sie von rechtes angerempelt wurde.
Erschrocken und aus ihrer Trance erwacht sah sie nach recht und blickte ihrem Anrempler entgegen. Einen Moment waren beide sprachlos. Sie musterte ihn, er tat es ihr nach.
Ihre Augen huschten über sein Gesicht. Blickten kurz hoch zu seinen dunklen braunen Haaren, welche ein wenig unordentlich schienen, so als hätte er heute Morgen keine Zeit mehr gehabt, so ähnlich sah auch seine Kleidung aus.
Das Hemd hing an einigen Stellen aus der Hose raus und sie konnte erkennen, dass einer seiner Markenschuhe noch nicht zugeschnürt war. Ihr Blick huschte über seine Stirn, die Haare, welche an den Schläfen einen Bogen zogen, die leichte Falte, welche auf seiner Stirn zu erkennen war. 'Ob er wohl fiel grübelte, oder kommt die Falte einfach vom Spott?', fragte sie sich unwillkürlich, als sie diese Falte bemerkte.

Langsam trat dem Junger der Spott in die überraschen hellen blauen Augen. Sie bildeten einen komischen Kontrast zu den dunklen Haaren und schienen Milly zu verhöhnen.
Seine rosigen, ja, fast schon roten Lippen, verzogen sich zu einem spottendem Grinsen, sie wollte weggucken oder irgendwas sagen, einfach irgendwas machen, doch sie konnte nicht. Der Anblick des Jungen fesselte sie. Er schien etwas an sich zu haben, er strahlte irgendwas aus.
Langsam verlagerte er sein Gewicht auf sein rechtes Bein und verschränkte die Arme vor der muskulös wirkenden Brust. "Willst du mich noch weiter begaffen, oder soll ich dir lieber gleich ein Foto mit meiner Nummer geben?", er sah sie spottend an und zog eine Augenbraue hoch, da war sie wieder. Die Falte.
Einen kurzen Augenblick hatte er ihr sogar noch annähernd sympathisch erschienen, doch nun war jede Sympathie verschwunden. 'Was für ein Großmaul.', dachte sie sich. "Nein danke, ich bin nur am überlegen wie groß der Sarg für dich sein muss.", sie wusste, dass es ein wenig hoch gegriffen war und sie nicht über ihn urteilen sollte, da sie ihn nicht kannte.
Sie hatte fast schon erwartet, dass er auf irgendeine Art und Weise zornig oder spottend reagieren würde, doch dass tat er nicht. Er lachte.
Noch nie hatte das jemand getan, zumindest nicht, wenn sie so etwas in der Art geäußert hatte. Die meisten hatten sie als schräg abgestempelt und waren irgendwas murmelnd abgezogen. So hatte sie sich schon eine Menge erspart.
Schon seit der Grundschule war sie die Komische gewesen. Die, die an Schicksal glaubte, irgendwie mit dem Tod verbunden zu sein schien und die immer nur schwarz trug.
So war es schon immer gewesen, seit sie sich erinnern konnte. Sogar auf allen Kinderfotos, auf denen sie schon alt genug war um sich alleine anzuziehen, trug sie schwarz, dabei hatte es nie wirklich zu ihr gepasst.
Das Schwarz ließ ihre blasse Haut noch blasser wirken, die dunklen braunen Augen schienen fast so dunkel wie der schwarze Stoff auf ihrer Haut und die Haare wechselten ständig die Farbe.
Schon immer hatte sie sich gerne die Haare gefärbt. Es lag nicht direkt an den bunten Farben, sondern an dem Prozess des Färbens, sie wusste nicht was genau, aber irgendwas faszinierte sie daran, so wie ein Afrikaner von Schnee fasziniert sein musste.

Sie schwieg und blickte ihn ein wenig überrascht an, bis sein Lachen verstummte. Mit einem halb spottendem Lächeln blickte er sie an, sagte aber nichts. "Jetzt guckst du aber.", stieß sie ein wenig beleidigt heraus.
Warum spottete er erst über sie und tat es ihr dann gleich? Am liebsten hätte sie die Stirn kraus nach oben gezogen, doch momentan war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Sein Lächeln wurde ein Stück ehrlicher: "Was studierst du hier?", er blickte sie schon fast interessiert an und ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder überrascht zu gucken.
Mit so eine Themenwechsel hatte sie nicht gerechnet, wobei sie davor eigentlich kein wirkliches Thema hatten. "Ich studiere hier Menschen.", sagte sie nach ein paar Sekunden des Schweigens.
Die Leute um sie herum strömten an ihnen vorbei. "Ich studiere wie Menschen ticken und warum sie was machen. Was passiert, wenn man sie mit was konfrontiert.", schob sie schließlich nach und die Miene des Jungen hellte sich ein wenig auf, so als würde er nun erst verstehen. "Du studierst also Psychologie?", er blickte sie an, allerdings nicht fragend, sondern eher wissend, so als würde er schon eine Menge über sie wissen.
Es kam ihr ein wenig komisch vor und sie hatte das Gefühl ihr könnte jeden Moment ein eiskalter Schauer über den Rücken laufen. Langsam nickte sie und musterte seine Augen um irgendwas über ihn heraus zu finden, doch mehr als dass er heute anscheinend verschlafen konnte sie nicht finden.

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