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Milica

Es ist mein achtzehnter Geburtstag. Meine Eltern haben mich mit Geschenken überhäuft. Sogar mein Lieblingsmahl steht auf dem Tisch. Wie schön. Mein Vater setzt sich zu mir und sagt: "Bald wirst du heiraten. Das wird dein zukünftiger Mann." Er zeigt mir ein Bild von ihm. "Vater, ich kenne diesen Mann nicht. Ich will ihn nicht heiraten", sage ich. "Deshalb lernst du ihn jetzt kennen. Er wird hier her kommen und mit uns essen", lächelt mein Vater. "Kann ich nicht selbst einen Mann aussuchen und aus Liebe heiraten?" "Nein, Serkan ist ein Russe und die Russen sind unsere Verbündete. Ich will nicht dass du einen jemand anders heiratest." Enttäuscht lege ich mein Besteck bei Seite und lächle herablassend: "So einen Geburtstag habe ich nicht erwartet. Ich gehe jetzt schlafen." Meine Mutter nimmt mich in die Arme und sagt: "Du hast die Kerzen noch nicht ausgeblasen." Ich schüttle den Kopf und stehe auf: "Ich verzichte."
Als ich mich im Zimmer einschliesse, beginne ich zu überlegen aus welchen Gründen ich Serkan heiraten muss. Liegt es daran, dass er viel Geld hat? Wahrscheinlich schon, weil die Frauen nicht arbeiten dürfen. Junge Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen. Trotz allem habe ich lesen und schreiben gelernt. Mein jüngerer Bruder hat es mir beigebracht. Ab und zu helfe ich ihm bei Mathematik und Deutsch.
Männer haben viele Rechte. Sie dürfen zur Schule gehen, mit Frauen Erfahrungen sammeln, arbeiten und Alkohol trinken.
Frauen die überhaupt arbeiten, arbeiten in der Prostitution, als Krankenschwester und Kellnerinnen.
Ich arbeite heimlich als Kellnerin.
Einige Frauen haben eine Bäckerei. Zum Beispiel mein Gebrutstagskuchen war von einer Bäckerin, die mich schon als Kleinkind kennt. Sie hat genau gewusst, welchen Kuchen ich mag. Apfel mit getrockneten Kirschen. Die Bäckerin heisst Lenka. Sie hatte mir erzählt, dass sie vor einer Ehe geflüchtet ist. Lenka hat mich häufig traurig angesehen. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich einem Fremden Mann versprochen bin.
Mit 15 hatte ich meinen Eltern gesagt, dass ich weglaufen würde, wenn sie mich zwingen jemanden zu heiraten, den ich gar nicht kenne und liebe. Sie haben mir gesagt, dass ich ihn lieben lernen muss.
Das ist auch der Grund warum ich arbeite. Ich will Geld sparen und fliehen.
Es klopft jemand an der Tür und ruft: "Komm bitte raus, Serkan ist hier. Er möchte dich sehen und mit dir essen." Die Stimme meiner Mutter. "Mutter, ich will Serkan nicht sehen und essen möchte ich auch nicht. Zum Teufel damit!", rufe ich zurück. "Milica, du wirst jetzt dein Zimmer verlassen und dich zu ihm setzen!", schreit mein Vater. "Nein!", brülle ich.
Für eine Minute ist es still, doch dann tretet mein Vater die Tür ein. Sein Blick ist wütend auf mich gerichtet. Er kommt sehr schnell auf mich zu, packt mich am Oberarm und klatscht mir fest eine auf meine Wange. "Du wirst tun, was ich dir sage. Wenn du noch mal etwas verweigerst, werde ich dich mit dem Gürtel schlagen", droht er. Mein Vater hat mich schon häufig geschlagen und ich durfte nicht weinen. Ich muss noch sechs Monate arbeiten, bis ich fliehen kann. Angefangen habe ich mit 15.
Das verdiente Geld habe ich unter meinem Zimmerfussboden versteckt. Ich nicke und unterdrücke die Tränen. Am besten sollte ich schon jetzt verschwinden, meine Eltern wissen nicht, dass ich arbeite. Ich habe bei Lenka eine Übernachtungsmöglichkeit, aber das wäre auffallend. Ich muss irgendwo schlafen können wo sie mich nicht finden.
Ich gehe an meinem Vater vorbei und verlasse mein Zimmer. Als er mir folgt, frage ich: "Darf ich noch auf Toilette?" Mein Vater antwortet: "Wenn du weinst, zerre ich dich raus." Wieder nicke ich und er fährt fort: "Wir warten im Essraum auf dich."
Das wäre die Gelegenheit zu fliehen, aber wenn er was merkt, wird er mich wieder ins Haus zerren. Häufig sage ich den Eltern, dass ich einen Mittagsschlaf mache, damit sie nicht mein Zimmer betreten, wenn ich eigentlich auf Arbeit bin.
Nach dem ich die Toilette verlasse, sehe ich mich im Spiegel an. Oh weh, meine linke Wange ist gerötet. Die Rötung zeigt den Händeabdruck an. Es brennt, wenn ich die Stelle berühre. "Milica, kommst du?", ruft mein Vater.

Ich verspreche dir...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt