Courtney's Story

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Robins Worte gehen mir einfach nicht aus dem Kopf.
Sie hatten mir Gänsehaut bereitet, mir seine böse Ader freigelegt. Und mir gezeigt, dass er mich nicht ausstehen kann. Dass er mich hasst.

Und mich umbringen Will.

Allein dieser Gedanke bereitet mir eine starke Gänsehaut.
»Alles okay, Venice? Ist dir kalt?«
Jack sieht mich aus besorgten Augen an.
»Nein, nein, alles im grünen Bereich.«
Ich sehe ihn erst gar nicht an, er würde meine Lüge sofort durchschauen... er ist Psychologe.

»Venice, lüg mich nicht an. Ich weiß genau , dass etwas los ist. «
Er grinst mich an. »Verarsche nie einen Psychather, Baby.«
Ich lächle. »Tja.«

Wir sitzen zusammen vor dem großen Gebäude, er in einer leichten Weste, ich dick eingepackt in meiner Winterjacke.
»Aber du willst mir nicht sagen, worum es geht, stimmts?«

»Es geht um Robin.«

Augenblicklich erlischt das Lächeln von seinem Gesicht.

»Robin? Du meinst aber nicht Robin Brooks, oder? Bitte sag mir nicht , dass er wieder versucht hat, sich umzubringen. Bitte, Venice.«

Ich runzele verwundert die Stirn. »Nein!«
Er sieht mich an. »Was ist dann?«
Ich gehe gar nicht auf ihn ein.
»Hat Robin versucht, sich umzubringen?«
Jack zündet sich eine Zigarette an.
»Nicht nur einmal, Baby.
Das erste Mal als wir herausfanden, dass er gar nicht immer Robin Brooks hieß. Früher hieß er Hayets.
Da hat er versucht sich zu erwürgen.«
Ich denke nach. Das klingt einleuchtend. Menschen wie Robin lassen sich nicht gerne überlisten.
»Hayets? Was sagt mir der Name?«
Jeff lässt den Rauch raus.
»Nick Hayets. Er war kriminell, Mörder oder so. Robin ist sein Neffe.«
Da fällt es mir wieder ein. Nick Hayets. Kein Wunder.
»Also hat Robin sich viel von seinem Onkel abgeschaut.«
»Kann man so sagen. Aber wenigstens nicht alles. Er hat seinen Nachnamen ändern lassen. Robin hasst seinen Onkel.« Er schmeißt den Zigarettenstummel auf den Boden und tritt ihn mit der Schuhspitze aus.

»Ich geh dann mal rein.« Mit den Worten verschwindet Jeff. Und lässt mich alleine zurück.

Langsam beginnt es zu schneien.
Sanft fallen die weißen Flocken auf mich hinab.
Ich stehe auf und gehe rein.

Als ich in mein Zimmer komme, schmeiße ich erstmal meine Jacke in die Ecke.
Dann gehe ich ins Bad, ziehe mich aus uns steige in die warme, verstellbare Dusche.
Im Massagemodus lasse ich das wohlig warme Wasser meinen Körper hinabfließen.

Und denke daran, dass sich Robin genau in diesem Moment nur ein paar Stockwerke über mir aufhält. Wer weiß, was er gerade tut? Ob er nachdenkt, ob er zeichnet oder einfach nur einen weiteren Plan für etwas ausheckt, von dem kein Mensch in diesem Gebäude auch nur die leiseste Ahnung hat? Ich tippe auf alles drei.

Nachdem ich wieder gänzlich angezogen und auch wieder dazu bereit war, mein Zimmer zu verlassen, beschloss ich, nach meinen anderen Patienten zu sehen. Ich warf einen Blick in den Spiegel, eine blaue Jeans mit einem großen Hoodie. Nicht gerade originell oder autoritär, dafür aber familiär. Und das musste ich sein, um herauszufinden, wie ich meinen »Schützlingen« helfen sollte.
Ich beschloss bei Courtney anzufangen. Ich weiß am wenigsten über sie.
Ich schliesse die Tür zu ihrem Zimmer auf. Courtney sitzt einfach in der Mitte des Raumes und sieht mich an. »Courtney.«, begrüße ich sie. Sie sieht mich immer noch an, ihre braunen Augen sind matt. Ich schließe die Tür hinter mir und setze mich auf den Stuhl neben ihrem Bett. Das Zimmer ist das Gleiche wie das von Robin. »Wie geht es dir, Courtney?« Sie zuckt die Schultern. »Komm, Courtney, setz dich zu mir.« Sie schlurft auf den Platz mir gegenüber und vermeidet jeden Blickkontakt. Eindeutig kindliches Verhalten. Und das bei einer Fünfzigjährigen. Sie sitzt einfach nur da, während die Minuten verstreichen. Ich verliere allmählich die Geduld, während ich auf sie einrede. Ich beschließe, ein Machtwort zu sprechen.

»Hör zu, Courtney, ich bin hier, um dir zu helfen, und nicht, um dumm angeschwiegen zu werden. Rede mit mir!« Das mit dem familären Eindruck kann ich dann jetzt vergessen. Aber es wirkt. Courtney sieht mir in die Augen. Ihre dunkle Haut weißt unzählige Falten auf, und in ihren einst dunklen Locken finden sich graue Haare. »Also, Courtney. Wie wäre es, wenn du mir mal deine Geschichte erzählst, damit ich dich besser kennenlerne?«
Sie nickt. Und dann beginnt sie.

»Ich bin 1969 in New Orleans geboren. Ich hatte eine normale Familie, meine Eltern, zwei ältere Schwestern und später sogar einen jüngeren Bruder. Wir hatten ein kleines Haus am Rande der Stadt, das Wohnen war sehr teuer. Aber das reichte uns. Es war wie geschaffen für eine schwarze Familie unseres Einkommens. Ich bin normal aufgewachsen, hatte gute Freunde, gute Noten, eben alles was ein Mädchen von 8 Jahren braucht. Nur ... dann kam der Vietnamkrieg. Mein Vater war als Soldat unterwegs, meine Mutter passte auf uns auf, meine älteren Schwestern ebenfalls. Ich vermisste meinen Vater schrecklich und hatte jeden Tag aufs Neue Angst davor, die Todesnachricht meines Vaters zu hören. Aber es war alles still. Irgendwann, nach einem halben Jahr, wurden die Ängste weniger, und wir fanden unseren Rhythmus wieder. Ich wurde 10,11,12,15. Mein Vater war noch nicht da.
Eines Tages war ich allein zuhause, hatte Pflichten zu erledigen, wie es immer war. Kochen, Hausputz, Waschen. Ich war fast fertig und freute mich schon darauf, mich danach mit meinem Freund zu treffen, Wade.
Aber als ich gerade dabei war, meine Schuhe anzuziehen, klingelte es an der Tür. Ich dachte es wäre Wade. Aber vor der Tür stand nur ein verdammter Karton. Ich hob ihn auf, stellte ihn in die Küche und machte ihn auf.

In dem Karton lag der Kopf meines Vaters.«

Ich sah sie an. Während der ganzen Zeit, in der sie sprach, hat sie kein einziges Mal die Miene verzogen. »Und was war dann?«

»Naja... seitdem habe ich versucht, alles zu verdrängen. Laut den Ärzten habe ich eine multible Persönlichkeit aufgebaut.« Das leuchtet mir ein. Schizophrenie. Natürlich.
»Also hast du dich nach diesem Vorfall abgekapselt, hast versucht, alles zu vergessen, ein neues Leben aufgebaut. Dazu musstest du wahrscheinlich abhauen, raus aus der Stadt. Aber dein altes Leben hat dich weiter verfolgt, also hast du einen Gang zugelegt, die Vergangenheit als vergangen anbetrachtet. War das so?« Sie nickt. »Das stimmt. Ja. Ich bin nach New York gegangen. Aber es gab so viel, was mich an meinen Vater erinnerte. Ja. Und dann habe ich die Stimmen gehört. Diese kreischenden Gedanken in meinem Kopf. Jeden Tag. Und ich wollte sie nicht hören. Ich war 15. So was will man nicht erleben. Ich hab versucht normal weiterzuleben, als neues Ich. Ja. Ja.«

Ich sehe sie lange an. Sehe, wie gebrochen sie ist.
»Wir kriegen das hin, Courtney. Versprochen.«

Robin BrooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt