Oneshot

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Dunkelheit machte mir eigentlich nichts aus. Hatte sie noch nie. Allein durch dunkle Straßen laufen? Kein Problem. Wieso sollte es? Es war immer noch dieselbe Straße wie am Tag. Nur eben mit weniger Licht. Man konnte genauso gut am helllichten Tag angegriffen werden. Also, wozu die Dunkelheit scheuen?
Doch diesmal war es irgendwie anders. Ich bog von der Hauptstraße ab, um durch ein paar kleinere Gassen eine Abkürzung zu mir nach Hause zu nehmen. Aber ich fühlte mich unbehaglich. Nicht dass ich Angst gehabt hätte oder so, aber irgendwie wollte ich schnellstmöglich ankommen.
Meine Schritte wurden schneller. Ich versuchte mir selbst einzureden, dass das doch Blödsinn sei. Nichts ist anders als sonst. Doch ich konnte mich einfach nicht überzeugen. Irgendwas war anders. Aber was war es?
Instinktiv drehte ich meinen Kopf nach hinten. Dort war nichts besonderes. Nur eine weitere Person, die wohl ebenso wie ich auf dem Heimweg war. Ich atmete tief durch. Beruhige dich Alice, das ist ja fast schon peinlich.
Trotzdem wollten meine Beine einfach nicht zu ihrem gewohnten Tempo übergehen. Stattdessen beschleunigten sie immer noch. Verdammt, was war nur anders als sonst? Ich drehte mich erneut um.
Die Person hinter mir wurde ebenfalls schneller, anscheinend verspürte sie dasselbe wie ich. Sie kam mir immer näher, und im Schein der einzigen Laterne in 300 Metern Entfernung erkannte ich, dass es sich um einen Mann handelte. Auch wenn er so zügig lief wie ich, schien es doch einen Unterschied zu geben. Es machte nicht den Anschein, als würde er vor etwas flüchten, sondern eher, als würde er etwas jagen. Oder jemanden jagen...
Das war es also! Das Unbehagen verbreitete sich mehr und mehr in mir. Aber das konnte doch nicht sein. Wieso sollte er hinter mir her sein? Ich fing an zu rennen. Nicht aus Angst. Nur als Test. Ob er auch wirklich hinter mir her war. Er beschleunigte ebenfalls. Also doch. Er war hinter mir her.
Langsam packte mich die Panik. Was wollte er bloß? Mich ausrauben? Mich umbringen? Sei nicht albern, dachte ich, doch mit wenig Erfolg. Ich sprintete die leere Straße entlang. Ich wollte Abstand gewinnen. Erneut drehte ich mich um und musste feststellen, dass er ohne Probleme sein Tempo dem meinen anpasste. Doch wirkte es bei ihm, als wäre es nicht mehr als ein Spaziergang.
Ich rannte weiter, und die kalte Luft brannte in meinen Lungen. Aber die Angst trieb mich voran, nicht mehr weit, und ich war daheim.
Da ertönte ein Lachen hinter mir. Ein kühles, gehässiges Lachen.
„Versuch es gar nicht erst, Darling!" Die Stimme kam immer näher. „Glaubst du etwa, du hättest gegen mich eine Chance?" Es klang verächtlich, doch das schlimmste war, dass sich die Stimme nun nur noch knapp hinter meinem Ohr befand.
Da wurde ich am Oberarm gepackt, was mich dazu zwang, ruckartig stehen zu bleiben. Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren, doch der feste, schmerzhafte Griff verhinderte, dass ich zu Boden fiel. Ich zwang mich der Person anzusehen. Das Gesicht des Mannes war im fahlen Laternenlicht nur schwer zu erkennen, doch es reichte, dass mir sein herablassendes Grinsen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er schien kaum älter als ich zu sein, vielleicht ein paar Jährchen. Aber seine Augen begutachteten mich mit dem Blick eines reifen, erfahrenen Mannes. Dunkle Schatten zeichneten sich unter ihnen ab. Seine Haut schien so blass, dass sie schon fast das wenige Licht reflektierten.
„Verdammt, was wollen sie von mir?" Meine Stimme klang mutiger, als ich es in Wirklichkeit war. Das Grinsen des Mannes wurde daraufhin bloß weiter. Wortlos packte er auch noch meinen zweiten Arm und drückte mich ruckartig gegen die Hauswand. Ich schlug an ihr mit dem Kopf hart auf, doch der Schmerz war nebensächlich im Vergleich zu der Panik, die ich mehr und mehr verspürte. Ein Triebtäter, ich werde jetzt von einem Triebtäter umgebracht, schoss es mir durch den Kopf. Ich versuchte mich zu befreien, doch er presste mich weiterhin gegen die kalte Backsteinwand.
„Mach nur weiter so Darling! Umso mehr du dich wehrst, umso verlockender duftest du!", meinte er und lachte erneut kühl.
Ich keuchte vor Anstrengung, was ihn nur noch mehr amüsierte. Da spürte ich, wie sein Griff etwas lockerer wurde, und ich nutzte die Chance um mich fallen zu lassen, und somit blitzschnell an ihm vorbeizumanövrieren. Er schien wirklich verwundert und ich machte mich dran wieder wie eine Blöde loszurennen. Die ersten Meter hatte ich schon das Gefühl, es schaffen zu können, doch dann schlang sich der Arm des Mannes um meinen Bauch und ich wurde unsanft auf den Boden gerissen. Dabei entwich mir ein Schrei, teilweise wegen des Schock, doch auch teilweise aus Verzweiflung, dass mein Fluchtversuch gescheitert ist.
Ich landete auf meinen Ellen, welche sofort zu brennen begannen.
Der Mann packte mich an der Taille und drehte mich ruckartig, dass ich auf dem Rücken lag, woraufhin er sich breitbeinig über mich kniete. Das wars, dachte ich mir. Verabschiede dich schonmal von der Welt. Ich kniff meine Augen zusammen und hoffte, er würde es möglichst schnell hinter sich bringen.
Da fuhr seine Hand schon über meinen Hals. Jedoch nicht so grob, wie ich es erwartet hätte. Fast schon zärtlich. Er beugte sich runter und ich spürte, wie er mit Mund und Nase die Seite meines Halses berührte. Seine Hand legte sich dabei um meinen Nacken. Sanft strich er um meine Haut, wobei er tief einatmete. Es war fast so, als würde er an mir riechen. Der Rest meines Körpers schien ihm nicht im geringsten zu interessieren. Einzig und allein meinem Hals schenkte er Aufmerksamkeit.
Ich atmete wild und unruhig, während mein Herz in der Brust schlug, dass ich es schon fast zu hören vermochte. Angst war schon gar kein Ausdruck mehr für das, was ich empfand.
Er presste seine kalten Lippen auf meinen Hals und öffnete sie langsam. Ich spürte seine Zähne über meine Haut gleiten. Doch dann schaute er mir nochmal ins Gesicht, musterte mich regelrecht. „Darling, du bist fast zu schade zum sterben. Es ist dein Fluch, so verlockend zu duften!", meinte er und setzte erneut an meinem Hals an. Ich schloss die Augen und betete, nicht zu viel Schmerzen zu empfinden.
Doch da ertönte ein tiefes Donnern. Fast wie bei einem Gewitter. Es hielt an. Jetzt erkannte ich, dass es kein Donnern war, sondern ein löwenähnliches Knurren. Mein Angreifer schien ebenso überrascht zu sein wie ich und richtete seinen Blick nach vorne. Ich legte meinen Kopf in den Nacken um zu sehen, wovon dieses Knurren aus ging. Noch tiefer in der Patsche stecken konnte ich ja nicht. Deswegen dachte ich, würde mich wohl nichts mehr schocken.
Doch falsch Gedacht. Ich erkannte auf dem Kopf stehend die Silhouette eines weiteren Mannes. Mir schien es unmöglich, dass ein Mensch solche Geräusche von sich geben konnte, doch das Knurren kam eindeutig von ihm. Innerhalb weniger Sekunden stand der Mann direkt vor meinem Kopf und ich spürte, wie mein Angreifer von mir runter gerissen wurde. Dies schien zu schnell zu passieren, als dass meine Auge die Bewegung des knurrendes Mannes aufnehmen konnte.
Doch da sah ich ihn wieder. Er packte die Kehle des Triebtäters und presste ihn ebenso gegen die Hauswand, wie es vorhin mit mir gemacht wurde. Er holte mit dem Ellbogen aus, und brach unter einem lauten Knacken das Genick meines Angreifers. Erschrocken sah ich dabei zu, wie er reglos zu Boden fiel.
Das Knurren verstummte, und der Mann drehte sich zu mir um. Die einzige Lichtquelle befand sich hinter ihm, und so konnte ich nicht mehr als seine schlanke, aber doch muskulöse Silhouette erkennen. Er ging langsam auf mich zu. Auch wenn er mir gerade das Leben gerettet hatte, so hatte er doch den anderen Mann umgebracht. Wer weiß, was er nun vorhatte? Ich versuchte immer noch am Boden liegend, auf meine Ellbogen gestützt rückwärts von ihm wegzukrabbeln.
Doch er bemerkte meine Angst, blieb stehen, und hielt seine Hände nach oben, als ob er mir zeigen wollen würde, dass er keine keine Waffen bei sich habe. Ich erstarrte in meiner Bewegung und sah ihn verwundert an. Nun bewegte sich eine seiner Hände auf mich zu und bot mir Hilfe beim Aufstehen an. Seltsamer Weise machte sich in mir das Gefühl von Vertrautheit bereit und ich griff nach seiner Hand.
Er zog mich auf die Beine und direkt in seine Arme. Ich war überrascht, und doch wehrte ich mich nicht. Ich lag nun an seiner muskulösen, kühlen Brust und legte meine Arme um seinen Rücken. Mit einem Mal verspürte ich das Gefühl tiefster Dankbarkeit. Auch er legte nun seine Hände auf meinen Rücken und strich beruhigend drüber. Es war bizarr, ich kannte noch nicht einmal sein Gesicht, und doch wollte ich mich nicht von ihm lösen. Es war ein Gefühl, wie als würde ich meinen Schutzengel umarmen. Ich sah zu ihm auf und spürte, wie er meine Wange sanft mit seiner strich. Sie war kühl und glatt wie Marmor, und doch genoss ich es. Dieser Mann hatte einem anderen das Leben genommen, um meines zu retten. Mich vor dem Tod zu retten.
Und mit einem Mal war er verschwunden. Ich stand nun allein auf der Straße, den leblosen Körper meines Angreifers nicht mitgezählt. Ich sah mich um, doch er war nirgends zu sehen. Ich kann nicht leugnen, dass ich bestürzt war, über sein plötzliches Verschwinden. Mit dem Schock noch in den Knochen sitzen machte ich mich dran, schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Und die ganze Zeit dachte ich an den fremden Mann, denn für mich stand zweifellos fest, mir wurde von einem Engel das Leben gerettet.

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