Fighter

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Der Schnee unter ihren nackten Füßen zerstörte die idyllische Ruhe, die sich um sie herum ausgebreitet hatte. Langsam setzte sie einen Schritt vor den anderen, doch es schien so, als ob sich der Weg vor ihr immer weiter langzog. Ihren blauen Augen huschten hektisch wie bei einem verängstigten Kitz umher. Das war sie auch. Ein verängstigtes Kitz. In ihrem Kopfherrschte nur eine Frage: Warum?

Warum hatte sie sich dazu entschlossen,wieder hier her her zu kommen?

Fest umklammerte sie mit ihrer rechten Hand eine weiße Rose mit orangenen Sprenkeln. Ihre Knöchel stachenschon weiß hervor, doch ihr Griff lockerte sie nicht. Sie hatte Angst. Große Angst, die sie nie zugeben würde.

Ihr Blick fuhr hoch in den dunklenHimmel. Wieder kam ihr die Frage hoch. Warum? Warum hatte sie sichfür die Nacht entschieden? Damit man sie nicht sah. Doch, auch sie sah die anderen nicht.

Die Augen des Mädchen blieben auf demVollmond ruhen. Mit seinen Strahlen zeigte er ihr ihren Weg.

Schon lange spürte sie ihre Füße nicht mehr und schon langsam kroch ihr die Kälte in die Beine hoch.Sie spürte sie schon lange nicht mehr. Der Schmerz war verschwunden.Es blieb ein Gefühl der Leere in ihr. Sie freute sich schon, wenn es verschwand. Wenn sie es nichts mehr spüren müsste. Auch nicht mehr den Schmerz, der schon lange von ihr Besitz ergriffen hatte.

Endlich hatte sie den Stein gefunden.Den Stein mit ihrem Namen. Mit der weißen Rose in der Hand trat sie einen Schritt näher. Nie hatte sie ansatzweise lesen gelernt. Das Lesen hilft dir im schlimmsten Falle auch nicht weiter. Ihr Vater hatte es immer und immer wiederholt. Dabei schlug seine Faust immer auf den braunen Eichentisch vor ihnen ein.

Doch die Worte auf diesem Stein – die Worte, die von dem hellen Mond angeleuchtet wurden – die konnte sie lesen. Buchstabe für Buchstabe entziffern. Das Mädchen hatte sie eigenhändig in den Stein eingeritzt. Buchstabe für Buchstabe.Vielleicht lag es auch daran, dass die krakelige Schrift schräg über den Stein gezogen wurde. Langsam kniete sie sich davor hin. Das bleiche Gesicht, dass durch die Kälte einen bläulichen Ton angenommen hatte, verzog sich keinen Millimeter. Es hatte sich schon lange nicht mehr geändert. Wann sie aufgehört hatte ihre Gefühl zu zeigen, konnte sie nicht mehr sagen. Vielleicht waren es zwei Jahre.Vielleicht zehn. Sie wusste nicht einmal wie alt sie war. In welchem Jahr sie lebte. Aber es hatte auch keine Bedeutung für sie. Auch ein Grund, mit der sie die Frage ,Warum' beantworten konnte. Es hatte keine Bedeutung mehr.

Amelia Stone, Kämpferin.

Nur ihre Augen lasen. Sie hatte das Sprechen schon längst verlernt. Wenn sie jemand fragen würde, ob sie jemals gesprochen hatte, konnte sie ihn nur weiter mit ihren eisblauen Augen unwissend durchbohren. Vorsichtig legte sie die Rose vor das Grabmal hin. Die Schritte, die sich ihr langsam näherten wurden lauter, als sie langsam die Augen schloss. Amelia Stone,Kämpferin. Zu mehr Wörtern hatte sie es nicht geschafft, doch sie sagten alles über das tapfere Mädchen aus. Über ihre Schwester.

„Na sieh mal einer an. Mitten in der Nacht, solltest du nicht in deinem Bett schlummern?" Wie lange sie schon diese Stimme erwartet hatte. Diese raue Tonlage, die sie mit dem Tod in Verbindung brachte. Sie drehte sich nicht um. Noch nicht.Sie war keine Kämpferin.

„Für eine Stumme hast du heute schon ziemlich viel geredet." Der Spott in der Stimme konnte das zierliche Mädchen deutlich heraushören, aber es prallte an ihr ab,wie ein Vogel, der gegen eine Fensterscheibe flog.

Ihr Körper drehte sich in fließendenBewegungen um, um ihren Gegner endlich ins Visier nehmen zu können,obwohl es unnötig war. Sie kannte jede einzelne Stelle seinesKörpers.

Ihre Augen scannten ihn trotzdem ab.Sein Gesicht – kantig. Seine Augen – dunkel wie die Nacht. In seiner rechten Hand hielt er wie das Mädchen einen Gegenstand in der Hand. Es war keine Rose. Eine Rose würde nicht so glitzern. Ihre blauen Augen ruhten weiter auf seinem Bild. Langsam schritt er zu sie heran. „Findest du nicht, dass es für so ein kleines Mädchen wie dich zu gefährlich draußen ist?", seine Stimme hatte er um Nuancen gesenkt. Sie standen Kopf an Kopf da, wobei sie zu ihm hochschauen musste. Galant trat er neben sie und kniete sich vor dem Stein hin. Unter Beobachtung des Mädchens legte er das Messer, das er in der Rechten Hand hielt, hin. Das Messer aus Silber. Das Messer seiner Schwester. Bevor er sich wieder aufrichtete, verharrte er kurze Zeit in seiner Position. Den Kopf nach unten gesenkt, die Hände auf dem Waldboden. Als er sich erhob, legte er sanft einen Arm um das kleine Mädchen herum.

Er hatte der Kämpferin versprochen,sie zu beschützen.

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