🔹 K A P I T E L 1🔹
Meine Augen öffneten sich ruckartig, als ich spürte, wie jemand leichtes unsanft auf mich sprang. Geschrei, der ohrenbetäubend laut in meinem Kopf dröhnte, drang zu meinen Ohren.
"Zoey! Zoey! Aufstehen!", schrie die kindliche Stimme und erreichte damit, dass ich ein langgezogenes Seufzen von mir gab. Ich setzte mich verschlafen in meinem schmalen Bett auf und betrachtete den kleinen Jungen, der immer noch auf meiner Bettkante saß. Er guckte mich durch seinen großen, unschuldigen blauen Augen an und meine Lippen formten sich automatisch zu einem leichten Lächeln.
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen, knallte mit einem dumpfen Schlag gegen das dahinter stehende Regal und zwei weitere Kinder stürmten hinein. Aber sie steuerten nicht auf mein Bett zu, sondern auf das, in der anderen Ecke des winzigen, weiß gestrichenen Zimmers. Amy und Ryan sprangen auf Evan, sowie Brian es zuvor bei mir getan hatte.
"Evan!", kreischten sie und begannen zu kichern, als sie die Reaktion unseres Bruders sahen. Dieser erschrak nämlich so sehr, dass er aufsprang und neben dem Bett auf dem blauen Teppich landete. Nun begann ich auch laut zu lachen, weshalb mein großer Bruder mich versuchte mit einem bösen Blick zum Schweigen zu bringen. Doch nach wenigen Sekunden verzogen sich auch seine Mundwinkel zu einem Grinsen und er schüttelte leicht seinen schwarzen Haarschopf.
Ich schmiss meine karierte Decke zur Seite und stand auf, bevor ich spielerisch sagte: "Ab in die Küche! Sonst gibt's kein Frühstück für euch Zwerge."
Nach kurzem Jammern von Ryan, weil er mit der Bezeichnung eines Zwerges nicht einverstanden war, liefen alle drei aus dem Zimmer. Mein Blick wanderte sofort zu Evan, meinem ein Jahr älteren Bruder.
"Ist Mama da?", fragte er mich.
"Nein, sie kommt erst in ein paar Stunden wieder." Daraufhin nickte er leicht und wir verließen zusammen das Zimmer, das wir uns teilten.
Als ich in die hell beleuchtete Küche kam, saßen meine Geschwister schon am hölzernen Esstisch, welcher etwas zu klein für unsere Familie geraten war. Die sechs Holzstühle passten gerade um den rechteckigen Tisch, der genauso hoch wie Brian und Ryan war.
Amy, die sieben Jahre alt war, saß an einem der zwei Enden des Tisches. Die vier jährigen Zwillinge Brian und Ryan quetschen sich nebeneinander und quaselten ununterbrochen wie Wasserfälle. Die Sätze sprudelten nur aus ihren kleinen roten Mündern und mehr als die Hälfte verstand ich nicht. Aber der jeweils andere Zwilling hatte kein Problem die Wörter seines Bruders korrekt aufzufassen.
"Die Mrs Mohn ist voll blöd", schmollte Brian und Ryan nickte bekräftigend, dabei flog sein braunes Haar hin und her. Die zwei waren einfach zuckersüß. Die meiste Zeit zumindest.
"Wer hat Lust auf ein Spiegelei?", warf ich die Frage in den Raum. Die drei schrien wie aus der Pistole geschossen: "Ich", "Ich", "Ich".
Während des Essens unterhielten wir uns fleißig. Schließlich erzählte die hyperaktive Amy von einer Klassenkameradin, mit der sie sich so gar nicht vertrug. Dabei gestikulierte sie wild mit ihren Händen und vergaß ganz, dass sie eine Gabel in der Hand hielt, mit der sie jederzeit ihrem kleinen Bruder Ryan das Auge ausstechen könnte.
Ich ermahnte meine Schwester und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, den sie nur mit einem genervten Augenrollen quittierte, aber zu unserem Wohlbefinden legte sie die Gabel zurück auf den Tisch. Danach begann sie an der Stelle ungestört weiter zu reden, an der ich sie unterbrochen hatte. Wie auch immer, man konnte fast schon sagen, dass die zwei Erzfeinde waren. Sie stritten sich täglich und hetzten gegenseitig Schüler aufeinander. Nicht selten musste meine Mutter, Evan oder ich dank ihres Verhaltens dem Direktor einen Besuch abstatten. Amy sah zwar mit ihren braunen Haaren und Rehaugen wie ein kleiner Teddybär aus, aber wenn sie wütend wurde, wollte man ihr lieber nicht begegnen. Denn bekanntlich steckt in jedem Engel ein kleiner Teufel.
Sie war mittlerweile in der zweiten Klasse einer offenen Ganztagsschule. Das hieß, dass sie nach dem Unterricht in der Schule essen, Hausaufgaben machen und spielen konnte. Das erleichterte meiner Mutter, Evan und mir um einiges den Alltag. Denn wenn meine Mutter arbeitete oder schlief, holten wir unsere Geschwister von der Grundschule, beziehungsweise dem Kindergarten ab.
Unsere Mutter war als Putzfrau in einem Hotel hier in der Gegend angestellt und hatte dort unterschiedliche und lange
Schichten. Sie schuftete hart, um genügend Geld in die Familie zu bringen, denn es war alles andere als leicht eine sechsköpfige Familie zu ernähren als alleinerziehende Mutter. Deswegen war sie auch oft im Land der Träume, wenn wir von der Schule kamen oder sie putzte die kleine Drei-Zimmerwohnung.Jedoch verdiente sie mit dem Putzen nicht die Welt. Diese Tatsache machte ihr ordentlich zu schaffen, denn nicht selten wurde das Geld knapp. Deswegen versuchten mein Bruder und ich mit kleinen Nebenjobs unserer Mutter unter die Arme zu greifen. Außerdem kümmerten wir uns jeden Morgen um unsere Geschwister, wenn unsere Mom nicht da war. Wir machten ihnen Frühstück, ihr Pausenbrot, zogen sie an und brachten sie zur Schule oder zum Kindergarten. Natürlich mussten wir morgens auch uns selbst fertig machen. Mit Evans achtzehn und meinen siebzehn Jahren besuchten wir beide noch die High School.
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Wir standen zu fünft im engen Flur, als ich Brians Reißverschluss seiner Winterjacke schloss, ihm seine grünen Handschuhe über die winzigen Hände und die Wollmütze über den Kopf zog. Das gleiche hatten wir davor schon bei den anderen zwei Rabauken gemacht. Es war nämlich Ende November, der Winter überfiel die kleine US-amerikanische Stadt, in der wir lebten und umhüllte sie mit eisiger Kälte.
"Los geht's."
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All About Him | ✔️
Novela JuvenilEine Geschichte zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Doch er trägt ein Geheimnis mit sich, das er um jeden Preis schützen will. Reicht ihre Liebe aus, wenn der Weg schwer wird? 🔹 ...