Eigentlich war jeder Tag gleich. Aufstehen, fertig machen, in die Schule gehen, fertig gemacht werden, Unterricht, noch mehr fertig gemacht werden, zurück ins Heim, im Zimmer einschließen, um den anderen Kindern aus dem Weg zu gehen. Zwischendurch aß ich natürlich auch etwas. Nicht viel, aber ich aß. Freunde hatte ich nicht, hatte ich noch nie gehabt.
Ich war in, sagen wir so, ungewöhnlichen Umständen aufgewachsen. Meine Mutter wurde schwanger als sie 19 war. Sie hatte große Pläne, wollte studieren und eine Praxis aufmachen. Doch dann kam ich, entstanden durch ein One Night Stand, auf einer Party. Um ihre Träume zu verwirklichen schickte sie mich direkt nach der Geburt zu ihrem Bruder, meinem Onkel. Er war zehn Jahre älter als sie, arbeitete als Assistenzarzt und hatte schon seine eigene Familie. Je älter ich wurde, desto beswusster wurde mir, dass ich nicht willkommen war. Es war nicht so, dass ich komplett anders behandelt wurde, als seine eigenen Kindern, wie zum Beispiel bei Harry Potter. Ich bekam nur nie so viel Liebe und Zuneigung wie seine eigenen Kinder. Aber es war okay, ich konnte damit leben. Als ich neun Jahre alt war, eröffnete mein Onkel mir, dass meine Mutter bei einem Autounfall gestorben war, sie hatte mich nicht sonderlich oft besucht, und so hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, dass ich seit drei Monaten nichts mehr von ihr gehört hatte. Aus Schreck ließ ich die lieblings Tasse von der Frau meines Onkels fallen und sie liebte diese Tasse wirklich. Sie war wütend, er war wütend und es kam dazu, dass sie ich schlugen. Man könnte meinen, ich wäre von der Grundschule daran gewöhnt, denn dort wurde ich mindestens einmal in der Woche geschlagen. Auch wenn man es nicht glauben will, kleine Kinder können furchtbar gemein sein. Aber es macht einen Unterschied. Es macht einen Unterschied ob dich ein zehn jähriger Junge schlägt, einfach, weil er dich nicht leiden kann oder ein ausgewachsener Mann, der richtig sauer auf dich ist. Es tat weh, es hat mich verletzt, es hat mich geprägt. Kurzum, die Nachbarn haben meine Schreie gehört und die Polizei gerufen. Seit dem lebte ich im Heim und hatte Angst neue Leute kennenzulernen. Der Psychologe sagt, ich hatte Angst vor Verlusten.
Ich war schon immer anders gewesen, hatte es vorgezogen allein zu sein, Bücher zu lesen oder Hörspiele zu hören und dabei zu malen. Ich glaube das lag zum einen daran, dass ich nie jemanden kennengelernt hatte, mit dem ich gerne etwas anderes unternehmen wollte und vor allem wollte nie jemand mit mir etwas unternehmen. Ich war, wie man so schön sagt, die Aussenseiterin. Am Anfang nahm man mich in der Schule einfach nicht war, später hat man man es mich spüren lassen. Spüren lassen, dass ich anders war, dass sie mich nicht mochten.
Am Anfang hatte ich mich gewehrt, wobei ich sie aber nie verletzt hatte. Nein, das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Ich hatte mich verteidigt, hatte mich in die Idee verbissen, dass sie mich vielleicht doch alle mochten. Doch dann irgendwann wurde mir klar, dass das nicht so war, so ist oder jemals sein wird, denn sie hassten mich.
Ich ließ es über mich ergehen.
Tag für Tag.
Stunde für Stunde.
Minute für Minute.
Sekunde für Sekunde.
Wie ich mich dabei fühlte? Schlecht. Sehr schlecht fühlte ich mich. Es war, als hätte ein Zentner schwerer Lastwagen auf meinem Herzen geparkt. Dieser Schmerz in meiner Herzgegend, der jedes Mal da war, wenn ich verprügelt wurde, wenn ich beleidigt wurde oder einfach nur schräg angeschaut wurde. Ehrlichgesagt, war der Schmerz eigentlich immer da. Ich wollte so nicht sein, geschweige denn wollte ich mich so fühlen, doch ich fühlte mich eingesperrt. Eingesperrt in den begrenzten Möglichkeiten, die mir das Heim bat. Die einzige Möglichkeit dieses Gefühl zu umgehen, waren Träume. Wenn ich schlief war ich frei.
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Nur ein einziges Mal!
Teen FictionAm Anfang hatte ich mich gewehrt. Hatte mich in die Idee verbissen, dass sie mich alle doch mochten. Doch dann wurde mir klar, dass das nicht so war, so ist oder jemals sein wird, denn sie hassten mich. Nur ein einziges Mal wehrte ich mich. Nur ein...