House of Strings

18 2 2
                                    

Es ist bereits spät am Abend, als du beschließt, die Nacht in einem Motel zu verbringen. Auf dem Rückweg von einem Meeting mit deinen Geschäftspartnern wolltest du eine Abkürzung nehmen, hast dich aber aufgrund der gesperrten Straßen und verrotteten Warnschilder am Straßenrand zum wiederholten Mal verfahren. Irgendwann hattest du beschlossen die Verbote zu ignorieren und bist trotz der nächtlichen Dunkelheit auf eine, von der Zeit zerfressene Landstraße eingebogen.

Dein Auto ist neu, du trägst einen Schicken Anzug und polierte Schuhe. Zuhause wartet niemand auf dich, obwohl du als einer der angesehensten Männern der Stadt giltst. Doch du bist erfolgreich im Beruf und hälst dich selbst für einen aufrichtigen und gerechten Menschen. Du glaubst weder an Monster noch an Schicksal, Klischees und Märchen, denkst du dir. Alles in allem bist du Realist - es gibt keinen Gott, denn niemand konnte bisher seine Existenz beweisen. Veränderungen passen überhaupt nicht in dein Konzept - du bist zufrieden mit deinem Leben und das sollte sich auch nicht ändern.

Bald merkst du, dass dich Müdigkeit zu übermannen droht, leider bist du mitten im Nirgendwo, Meilen von der nächsten Stadt entfernt. Du überlegst, ob du nicht einfach am Straßenrand anhalten und im Auto übernachten solltest, als du eine Reihe von Schornsteinen erkennst, die sich über den Baumwipfeln abzeichnen. Ein Glück, denkst du dir, denn du kannst im Sitzen nicht schlafen. 

Als du näher kommst, kannst du den Namen des Hauses erkennen: House of Strings

Die Buchstaben sind schon längst von Efeu überwuchert, genauso wie der Großteil des Gebäudes, trotzdem entgeht dir nicht, dass es sehr groß und vornehm wirkt. Möglicherweise der Wohnsitz einer Adelsfamilie, vermutest du und beschließt, nach einer Unterkunft zu fragen. Du parkst deinen Wagen vor dem bronzenen, mit hübschen Verschnörkelungen verzierten Tor und betrittst das Innere des Hofes. Wie von allein öffnen sich die Flügel vor dir. 

Der Garten im Inneren ist etwas überwuchert doch dennoch nicht ungepflegt. Selbst in der Dunkelheit kannst du die Rosenbüsche und die, zu Formen getrimmten Hecken erkennen. Ein Pferd, ein tanzendes Paar, einen Ballettschuh.. doch plötzlich fühlst du dich beobachtet. In einer schnellen Bewegung drehst du dich um und erkennst gerade noch einen Schatten, der allerdings nichts als einige raschelnde Zweige zurücklässt. Unruhig drehst du dich zu allen Seiten. Langsam wird dir deine Umgebung bewusster. Der Mond scheint hell auf den Garten, in dem du plötzlich keine Tiere und kunstvolle Formen mehr erkennst...

Eine Krähe landet krächzend auf einem der Schornsteine und du erschrickst dich beinahe zu Tode, als ein dürrer Zweig unter deinen Füßen knackend zerbricht. 

Du atmest tief durch. Verdammt, stell dich doch nicht so an!, versuchst du dich zu beruhigen, das ist nur ein altes Haus mit einem Garten voller morscher Zweige und einem Gärtner, der offensichtlich nicht mit einer Heckenschäre umgehen kann. Du bist doch kein Kind mehr, das sich vor Monstern in der Dunkelheit fürchtet! Monster existieren nicht.

Mit diesen ermutigenden Worten durchquerst du den Hof und klopfst mit dem Türklopfer an die Tür.

Nach einigen Sekunden öffnet dir ein Butler die Tür. "Einen guten Abend, Sire. Willkommen im Hotel 'House of Strings'. Einem sicheren Hafen für alle Reisende. Kommen Sie herein." Du starrst ihn etwas entgeistert an. Dieser Mann spricht wie aus dem vorletzten Jahrhundert, wunderst du dich und trittst zaghaft ein. Mit einem Arm deutet er in Richtung eines Schalters am anderen Ende des Raumes.

Fasziniert siehst du dich in der prachtvollen Eingangshalle um. Ein riesiger Kronleuchter an der Decke fällt dir auf. An die hundert Kerzen leuchten auf dich herunter und verleihen dem kunstvoll gewebten Teppich einen goldenen Schimmer. Einige Gemälde von Frauen und Männern adeliger Herkunft hängen an den Wänden und bequem aussehende Sessel füllen den Raum.

"Guten Abend, mein Herr.", begrüßt dich der Concierge. "Sie dürfen mich Montague nennen, ich bin der Concierge des 'House of Strinnnngsss.'" Er lächelt, doch seine Stimme lässt dir einen kalten Schauer den Rücken hinabkriechen. Sofort versuchst du dein ungutes Gefühl abzuschütteln.

"Ich bin jederzeit für Sie da. Bei generellen Fragen wenden Sie sich allerdings bitte zuerst an James." Mit einer Kopfbewegung ruft er den älteren, glatzköpfigen Mann im Anzug zum Empfang. Der Butler verneigt sich noch einmal höflich, "Sire." Dieser Ort strotzt ja nur so vor Klischees, denkst du dir und weißt gar nicht, wie Recht du hast.

"James wird Sie nun zu ihrem Zimmer führen, merken Sie sich den Weg genau." Mit diesen Worten verabschiedet sich Montague und du folgst James zu einem alten Fahrstuhl. Skeptisch versuchst du einzuschätzen, ob er dein Gewicht überhaupt tragen könnte, beschließt dann aber einfach es darauf ankommen zu lassen. James drückt die Nummer 7, die als einzige Ziffer gelb eingerahmt ist. "Achten Sie bitte immer darauf, dass Sie ins siebte Stockwerk fahren, Sire. Das ist die einzige Etage auf der sich unsere Gästezimmer befinden." "Was befindet sich in den anderen?", fragst du, doch die Fahrstuhltüren öffnen sich soeben. 

James reicht dir einen Schlüssel. "Ihr Zimmer ist die 2016. Klingeln Sie, wenn Sie mich brauchen. Auf Etage 3 können Sie nach Wunsch zu Abend essen."

Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und steigt zurück in den Fahrstuhl. Die Türen schließen sich. 

Du drehst dich um und läufst langsam den Korridor entlang. Eine unangenehme Stille herrscht hier, denkst du dir, doch weißt eigentlich gar nichts. Du bleibst vor der zehnten, schwarzen Tür stehen. Du starrst sie lange an. Erst jetzt fällt dir auf, dass keine von ihnen eine Zimmernummer hat.


Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 23, 2017 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

House of StringsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt