Be yourself

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DU
Ich stehe vor dem Spiegel in meinem Badezimmer. Hebe mein Shirt leicht an, sodass ich meinen Bauch sehe. Feine, bläuliche Linien ziehen sich Richtung Oberschenkel hinab, kennzeichnen schamlos meine Imperfektionen. Zeigen aller Welt, dass ich zu fett bin und mich meiner schämen sollte. Ich hasse sie. Meine Dehnungsstreifen. Ich hasse mich, meinen Körper, die Zahl, die auf meiner Waage steht, wenn ich mich früh morgens darauf stelle. Sie bestätigt mich jedesmal.
Ich bin fett.

Ich betrete das Klassenzimmer mit gesenktem Blick. Ziehe meinen Pullover über meine Arme, sodass sie die feinen roten Linien verdeckt werden. Abschätzige Blicke verfolgen mich, mustern mich und dringen in meine Privatsphäre ein. Das Tuscheln hinter meinem Rücken wir lauter, größer, umhüllt mich in einer undurchdringlichen Masse, grenzt mich ab vom Rest der Welt. Ich höre ihre Worte wieder und wieder. Immer klarer.
Ich bin hässlich.

Ich lege den Stift beiseite. Mehrere Stunden saß ich an dem Bild. Es zeigt unsere Familie. Meine Familie. Nicht den traurigen Abklatsch dieser, mit welchem ich mich zufriedenstellen soll. Mit dem Bild in der Hand tapse ich ins Wohnzimmer. Ich zeige meiner Mutter das Bild. Kurz wandert ihr Blick vom Fernseher auf das Stück Papier. Eine unveränderte, eiskalte Miene ziert ihr Gesicht. _"Hast du die Küche schon gewischt?"_ "Nein, ich habe doch..." _"Dann geh mir aus den Augen. Ich will sich so lange nicht wiedersehen, bis diese Küche nicht blitzblank gewischt ist!"_
Ihre Miene ist nicht mehr eiskalt sondern feurig und wütend. Ich ertrage das nicht mehr. Tag für Tag. "Ich verstehe warum Papa dich verlassen hat!" Der Schmerz an meiner Wange tritt plötzlich ein. Ich spüre ihre Hand. Ihre fettige, ungewaschene Hand an meiner Wange. _"Du nutzloses Stück Sch**ße"_
Ich bin nutzlos.

Ich kann nichts dafür. Ich kann nichts dafür, dass mir die Haare ausfallen. Dass ich wochen- und sogar monatelang nicht zum Unterricht komme. Und doch glauben sie das. Und sie verstehen es nicht. Sie verstehen nicht, dass es nicht meine Schuld ist. Ich wollte kein hässliches Tier in mir sitzen haben, dass droht, mich von Innen zu zerfressen. Und doch sagen sie es mir immer wieder.
Ich bin ein Lügner.

Wieso ist es so schwer Menschen zuzuhören?
Wieso nehmen wir Dinge an und manifestieren sie derartig in unseren verkorksten kleinen Gehirnen, dass wir glauben, sie entsprächen der Wahrheit?
Du bist weder fett noch hässlich, auch nicht nutzlos und erst recht kein Lügner.

Du bist du.
Sei stolz darauf.

~Text von Hannah

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⏰ Last updated: Oct 27, 2016 ⏰

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