Wie der Nebel über die Welt kam

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"Vor langer, langer Zeit.." begann ich meine Geschichte, und blickte in das erwartungsvolle Gesicht meines Sohnes. Seine Augen strahlten so blau wie die seines Vaters, und auch in seinen Augen fand sich der graue Nebenstreif, den ich und Kieron in unseren Augen trugen. Ein Geschenk Frey's und eine Familie: Ceo's Familie.
"Vor langer, langer Zeit lag ein grauer, alles verschlingender Nebel über dieser Welt. Keine Farbe durfte mehr leuchten, kein Mensch durfte mehr sehen. Alle waren wir mit Blindheit geschlagen. Und das nur aufgrund Ceo's Fluch.
Alles begann vor drei Jahrhunderten, als Ceo, die Göttin des Nebels einen Sohn zur Welt brachte, dessen Augen so blau waren, wie der Himmel über Azhaér. Mit seinen Augen konnte er sich die ganze Welt der Götter untertan machen, denn seinen Augen konnte niemand widerstehen. Er war dazu bestimmt die Herrschaft über Azhaér zu erlangen, doch die herrschenden und nach Macht süchtigen Götter wollten ihren Thron nicht abgeben. Statt ihn zu einer weisen Frau zu schicken, die ihm hätte helfen können indem sie ihm diesen gefährlichen Blick nahm, schlug man ihn mit Blindheit und er konnte die Welt nur noch wie durch einen Dunstschleier wahrnehmen. Das blau seiner Augen, welches den Göttern hätte gefährlich werden können, wurde von eisigem Grau überzogen, seine Haut wurde gräulich, wie der Nebel, seine Hände wurden zu Klauen und seine Gestalt wurde durch diesen grausamen Fluch gekrümmt. Die Götter wählten einen Gegenfluch, von dem sie dachten, er würde niemals erfüllbar sein, denn ihr Fluch würde erst gebrochen werden können, wenn ein Mädchen sich trotz seiner Blindheit und abschreckenden Gestalt in ihn verliebt.

Als Ceo erfuhr, was ihrem Sohn angetan worden war, brach ihr Herz entzwei und ihr Blut gefror. Sie war schon immer die grausamste aller Göttinnen gewesen, nahm sie den Menschen und Wesen in Azhaér doch durch ihren Nebel einfach ihre Sehkraft und ließ sie ins Ungewisse laufen. Doch als man ihr liebstes Kleinod, dass nichts für seine Bestimmung konnte, ihr geliebtes Kind, so hart verurteilte, beschwor sie einen Nebel herauf, der nicht eher weichen würde, als ihr Sohn seine Sehkraft zurück erhielt.
Die Götter versuchten alles was in ihrer Macht stand um Ceo's Fluch zu brechen, doch sie waren machtlos gegen den Fluch eines gefrorenen Herzens.
Aber wie sollte sich nun ihr eigener Gegenfluch jemals erfüllen, wenn niemand etwas sah, konnte er auch nicht lieben.
Sie hatten sich auf die unglücklichste Weise selbst bestraft und so verging Jahr um Jahr, ohne das der Nebel auch nur einen Millimeter von der Stelle wich.

Ceo fand in einem abgelegenen Teil der Wälder Azhaérs eine Höhle, die sie durch mächtige Zauber vor den Blicken der Fremden schützte. Hier schuf sie ihrem Sohn eine Welt, die vor Gerüchen und Tönen beherrscht war, in der er sein fehlendes Augenlicht nicht bemerkte. Sie gab ihm den Namen Kieron, was soviel bedeutet wie schwarze Nacht, denn ohne etwas zu sehen wandelte er in ewiger Nacht.
Sie zog sich zurück, und überließ ihn seinem Schicksal, denn sie glaubte nicht, dass es jemals ein Mädchen geben würde, das den Fluch brechen könnte.

Weit entfernt in einem anderen Teil Azhaér's wurde aber genau jenes Mädchen geboren, das in seinen Augen einen grauen Nebelstreif hatte, der im Nebel silbern aufblitzte und es ihr ermöglichte wie bei Tageslicht zu sehen.
Ihre Eltern entdeckten schon früh, dass ihre Tochter durch den Nebel sehen konnte und gaben ihr deshalb den Namen Néeira; was soviel bedeutet wie Göttin des Lichts. Denn sie hofften, dass sie ihrer Welt irgendwie das Licht und die Farben zurück bringen würde.
Den Nebelstreif hatte ihr der Gott Frey in die Wiege gelegt, denn er war der Gott der Liebe, des Lichts und des Wachstums und war von Anfang an gegen die heimtückischen Pläne seiner Brüder gewesen. Ihm war ein Teil seines Herzens gebrochen, als er Ceo's Schicksal mit ansah, und wollte die Dunkelheit und den Nebel über Azhaér endlich beenden.

Er spürte das die kleine Néeira etwas in sich trug, dass es vorher so nicht gegeben hatte und so erkannte er sie als seine Tochter, eine Göttin des Lichts an.
Als Néeira nun heran wuchs, hörte auch sie von ihren Eltern, die Legende um Kieron, den verlorenen Sohn der Nebelgöttin.
Ihr Herz wurde von dieser Geschichte so berührt, dass sie sich auf den Weg in die Welt machte um ihn zu suchen.
Sie wusste nicht, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte, und so fragte sie die Geister eines Baches um Hilfe.
Daraufhin erschien ihr Frey höchst persönlich, und nachdem er ihr mit einem liebevollen Strahlen in den Augen erklärt hatte, sie wäre seine Tochter, nahm er sie bei der Hand und führte sie auf den Weg, der zu der einsamen Höhle führen würde, in der Kieron sein Leben verbrachte.

Der Nebel war dicht und beinahe wäre Néeira erstickt, doch trotzdem fand sie die Höhle. Sie wollte gerade ihren Fuß über die Schwelle setzen, als Ceo ihr erschien.
Néeira's Herz schlug ihr bis zum Hals, denn sie fürchtete die Göttin, die ihrer Welt etwas so grausames wie den Gan teorainn ceo, den ewigen Nebel, angetan hatte.
"Was willst du kleines Menschenmädchen? Wurde meinem Sohn nicht schon genug verletzt?" sprach die Göttin mit rauer Stimme und auf ihren Wangen sah man noch die Spuren, die die Tränen hinterlassen hatten.
"Große Ceo, Göttin des Nebels," wagte sich Néeira hervor und sank auf die Knie,
"Ich habe die Geschichte eures Sohnes schon als junges Mädchen gehört, und will nichts anderes als ihm helfen und ihn glücklich machen."
"Wie willst du ihn glücklich machen? Kennst du nicht den Fluch der Götter?" fragte Ceo skeptisch, und versuchte mit aller Gewalt dem Funken Hoffnung in ihr nieder zu ringen.
"Mit Verlaub, ich kenne den Fluch, weiß um das Gegenmittel und will alles in meiner Macht stehende tun um euren Sohn zu befreien." wagte Néeira den Blick zu heben und sah in ein paar unendlich traurige Augen.
"Ich kann dies nicht zu lassen. Du könntest ihn noch mehr verletzten."

Doch Néeira gab nicht auf und rief Frey um Hilfe an, der Ceo bat, dem Mädchen wenigstens eine Chance zu geben.
Ceo hob zweifelnd zu sprechen an und stellte die Bedingung, dass Néeira es nur versuchen dürfte, sollte sie durch die Wände der Zauber kommen, die Ceo errichtet hatte.
Als wäre es ein leichtes ging Néeira geführt von ihrem Inneren Licht und ihrem Herzen geradewegs durch die Schranken.
Als sie ihn das erste Mal erblickte erschrak sie nicht, sondern nahm seine Hand in ihre und ließ sich von ihm die Augen verbinden.
Sie brachte die Farbe und das Licht und Kierons Höhle und bald entsprang ein kleiner Funke ihren verschränkten Händen, wenn sie ihm Abends von all den wunderbaren Dingen erzählte, die es in der Welt zu sehen gab. Sie vermisste das sehen nicht, solange sie seine Hand in ihrer spürte.
Der Funke wurde zu einem lodernden Feuer und eines Abends küsste Kieron Néeira so sanft, als könnte sie vor ihm fliehen.

Da explodierte ein Funkenwirbel in der Höhle und Kierons Blick klärte sich. Er verlor dem gekrümmten Rücken und auch seine Haut nahm wieder eine gesunde Farbe an. Seine Hände wurden wieder normal und in seinem Herzen erblüht die Liebe erneut, als er Néeira das erste Mal sah. Das blau kehrte in seine Augen zurück, doch es blieb ein grauer Nebelstreif, der ihn immer an seine Blindheit erinnern würde.
Liebevoll nahm er Néeira ihre Augenbinde ab, die sie aus einem abgerissenen Stück Stoff gefertigt hatte und als sie ihn das erste Mal in seiner menschlichen Gestalt erblickte, verliebte sie sich ein zweites mal in ihn.
Sanft zog er sie an sich und küsste sie erneut, denn sie hatte ihn von seinem Fluch befreit und die Liebe, Farbe und das Licht zurück gebracht, nachdem er sich so gesehnt hatte.
Als Ceo erfuhr was geschehen war, löste sie den Nebel auf und ließ alle Farben noch leuchtender erstrahlen. Ein riesiges Freudenfest wurde gefeiert und die herrschenden Götter verbannt, hatten sie dem Land doch nur geschadet.
So kam es, dass der Nebel verschwand und nur noch selten zurück kam. Denn Kieron hatte in Néeira seine wahre Liebe gefunden."

"Aber Mama, woher weißt du das so genau?" flüsterte mein Sohn und blickte mich verunsichert an.
"Du weißt wie dein Vater und ich heißen." gebe ich leise zurück und sehe wie er versteht.
"Ihr ... Néeira und Kieron aus der Sage... das seid ihr?" fragt er leise und blickt mich erstaunt an.
"Ja, das sind wir. Und ich könnte nicht glücklicher sein." sagt Kieron, der hinter uns die Tür zum Kinderzimmer geöffnet hat.

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