„Wann warst du das letzte Mal im Zoo? Ich meine, nicht als Mutter."
Lea versteht nicht.
„Schau nicht so. Die Frage ist nicht so schwer." Tom schüttelt mit dem Kopf. „Das ist genau das, was ich meine. Es geht nicht um die großen, sondern um die ganz kleinen Dinge." Tom streift seine Jacke über. „Wie einen Zoo." Lea nimmt verstört ihre Jacke, die er ihr hinstreckt.
Ihre Augen bringen ihn zum Lachen. So ungläubig. „Ja, wir gehen jetzt wirklich in den Zoo. Komm einfach, du wirst schon sehen." Er schnappt er sich ihre Hand und zieht sie nach draußen. „Du hast mir doch vorhin diese Frage gestellt. Über das zu sehr Erwachsen sein. Was wir verlieren. Erinnerst du dich? Mir ist eingefallen, wie ich es dir beantworten kann. Aber ich muss es dir zeigen."
*
Seine Schwester hatte damals wie das Mädchen dort drüben ausgesehen. Sie hatte genauso ein weißes Kleid angehabt und versucht, mit dem Teddy unter dem Arm mit dem Eis zu ringen. Das Eis, das immer schneller schmolz. Wie sie sich gedreht hatte, weil sie dachte, sie würde dann schneller den Tropfen auf der anderen Seite mit ihrer Zunge einfangen. Trotzdem war der Tropfen heruntergelaufen und kurz vor dem Boden aufgefangen worden. Himbeerpink. Der weiße Stoff hatte ihn aufgesaugt, so wie den zweiten, dritten und noch mehr Tropfen. Das zauberhafte weiße Kleid, das ein paar Wochen später nicht mehr weiß war. Zerfetzt. Im Straßengraben hatte es gelegen. Neben dem Teddy.
Leas Stimme dringt leise durch die Vergangenheit. „Woran denkst du?"
‚An das erste Mal, dass ich meine Mutter nach dem Tod gefragt habe.' Liegt ihm auf der Zunge. Doch Lea erträgt es noch nicht, den Tod neben diesem Zauberbild zu sehen, beschließt er.
Tom schaut den Strähnen nach, die der Wind fliegen lässt und wie das Eis fröhlich heruntertropft. „Später", haucht er, auch wenn er weiß, dass sie langsam ungeduldig wird, weil er es so oft schon gesagt hat, das Später. Er wird schneller zum Punkt kommen müssen, sonst verliert er sie.
*
Der Teddy rutscht langsam die Wand herunter. Tom sieht, wie der Eisbär gelangweilt dem rutschenden Stofftier nachschaut. Das Mädchen springt zum Zaun und greift darüber. Ihre Hand erreicht den Teddy fast. Doch er ist mit dem Rutschen noch nicht fertig.
„Papa!" Zu spät. Ruckartig rutscht der Teddy zehn Zentimeter weiter, als der Vater nach ihm greifen will. Dann bleibt der Teddy hängen. Kurz vor dem Wassergraben.
„Teddy!", weint das Mädchen.
Der Blick des Vaters sagt, dass er es versuchen wird, in jedem Fall. Das erste Bein schwingt mit einem Schnaufen hoch. Versucht über den Zaun zu kommen. Als es keine Chance hat, soll mehr Schwung helfen. Der reißt den Vater verdächtig in Richtung Boden. Knapp. Das zweite Bein kommt auf der anderen Seite an, trotz der zitternden Hände. Tom folgt dem Blick, als der Vater auf die Eisbären starrt. Denkt er an Knut, der gar nicht mehr so kuschelig gewesen war? Ein Kopfschütteln gibt Tom die Antwort und wischt die Bedenken weg.
Der Vater löst einen Arm vom Gelände. Lässt ihn in das Gehege hängen und versucht, den Teddy zu erwischen. Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen. Der Wechsel auf die andere Zaunseite hat ein paar Zentimeter gebracht, aber es sind zu wenige. Er geht in die Hocke, vielleicht sind das wieder zwei Zentimeter mehr. Irrtum. Er schaut sich um, zögert kurz und lässt sich fallen. Zwei Hände halten die Zaunstäbe fest. Die Beine baumeln wild in der Luft und versuchen den Teddy zu erwischen. Der Eisbär schaut auf und streckt seine Pfoten nach vorne. Der Vater erwischt knapp sein Ziel, seine Füße umklammern den Teddy. Tom stürzt nach zum Zaun und fängt den Blick des Vaters auf. Der weiß nicht mehr weiter. Tom bedeutet ihm nun, dass der Teddy nur ein wenig Schwung brauchen wird.