Auf und davon

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Obwohl die Scheibe ziemlich alt zu sein schien, spiegelte sie ihre brauen Augen wieder. Das leuchten ihrer edlen kastanienbraunen Augen zeichnete sich sanft vom Schmutz der vielen Jahre ab, die das Fenster schon hinter sich hatte. Selbst die Umrisse ihres schmalen Gesichtes, welches durch ihre lockigen Haare, die fast so braun wie die Erde waren, noch umrandet wurde, schimmerte noch durch. Weit hinter der Stadt, die viel zu bebaut war, erblickte sie den Mond. Diese Nacht schien der Vollmond und vielleicht war es nur Einbildung, doch sie hätte schwören können, dass sie gespürt hat wie er ihr Kraft und Mut verliehen hat.



Gut überlegt war ihre Entscheidung nicht. Sie war noch Minderjährig, junge 17 Jahre um genau zu sein. Erst im Sommer würde sie 18 werden, doch bis dahin mussten noch viele Monate ins Land ziehen. Der einzige Grund, warum sie in diesem Zug saß, war der Grund, dass ihr Lebenswille größer als ihre Vernunft war - so versuchte sie es sich zumindest zurecht zu legen. Es war die Wahrheit, glaubte sie zumindest. Doch wie sollte sie so was nur ihren Eltern erklären? Zuerst war es nur eine verrückte Fantasie – wer kommt auch auf die Idee einfach in einen ICE zu steigen und dem Leben, der Familie und den Freunden die man hat, den Rücken zu zuwenden? Doch irgendwann, in einer ihrer zahlreichen schlaflosen Nächte, hat sie sich gefragt, warum nicht? Warum sollte sie ewig an der gleichen Stelle bleiben? Ganz langsam hat sich so aus ihrer Fantasie ein Plan entwickelt, gemerkt hatte sie es erst, als sie sich nachts heimlich eine Liste mit Dingen schrieb, die sie vielleicht brauchen könnte.


In diesem Zug zu sitzen fühlte sich so richtig an, wie sich schon seit langem nichts mehr richtig angefühlt hat. Egal was sie tat, sie hatte ständig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Sie hätte nicht mal sagen können was falsch war, es fühlte sich einfach so an. Vielleicht war es auch einfach nur der Versuch ihre innere Leere zufüllen, die sich mit den Jahren in ihr breit gemacht hat. Sie wusste nicht woher dieses Leere kam. Allgemein wusste sie über solche Seiten des Lebens sehr wenig. Sie beschäftigte sich mit so was einfach nicht. Für sie waren es die Gründe und Aspekte des Lebens, die Menschen, wenn man sich länger mit ihnen beschäftigte, depressiv machen. Das war nicht ihre Welt. Ihre Welt war voller Farbe - voller Leben. „Genieße das Leben, bevor es zu spät ist", stand in schwarzer Schnörkelschriftauf einem ihrer vielen Poster. Sie hatte es sich direkt über ihren Schreibtisch gehangen, damit sie es lesen konnte wenn sie ihre Hausaufgaben erledigte, aber auch wenn sie morgens aufstand. Sie wollte leben, sie wollte so gerne Leben. Und dies hier fühlte sich nach Leben an.

Auf und davon {Oneshot}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt