Abschied

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Nicole

Der Abschied von Luisa lastete schwer auf mir und das Gefühl, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, drohte mich zu erdrücken. "Hast du wirklich alles?" fragte ich nun schon das 10-mal und bekam nur ein Augenrollen zu sehen. "Ich bleib auf dem Planeten und sollte ich was vergessen haben, kannst du es sicher schicken, oder ich kauf es neu"-"wenn du jetzt dran denkst, können wir uns das Geld sparen. Die Schule kostet genug" den Rest nuschelte ich auf dem Weg in die Küche und seufzte leise. Luisa kam kurz darauf und hielt mir einen Zettel mit vielen roten Kreuzen und Haken unter die Nase "alles erledigt". Ich überflog ihn und fand wirklich nichts mehr an offenen Posten, also legte ich ihn auf den Küchentisch und seufzte erneut. "Was ist mit persönlichen Sachen?" sie zuckte nur mit den Schultern und die Kälte in ihren Augen ließ mich etwas frösteln. Es wunderte mich, nachdem in den letzten Tagen alles recht harmonisch war und ich so zu meinen Zweifel kam. Dennoch überreichte ich ihr ein Geschenk zum Abschied und hoffte es nicht im Abfall zu finden. Ich sah kurz auf die Uhr. Uns blieb noch zirka eine halbe Stunde bis der Fahrdienst erscheinen würde. Dieser Service gehörte zu den Dienstleistungen wie man mir sagte und dennoch wunderte ich mich sehr darüber. Luisa wurde bald 17 und hätte diese 100 km sicher auch mit dem Zug geschafft. Ich hätte sie auch gefahren. Schließlich hatte ich ja meinen Führerschein wieder. Die Schulleitung versicherte mir aber die Richtigkeit der Abholung und ich gab mich geschlagen. Ich sah meine kleine Schwester traurig an, die am Küchentisch saß und mit einem verträumten Blick zum Fenster an ihrem Kaffee nippte. "Ich hab noch was für dich" schnell ging ich ins Schlafzimmer und holte das Geschenk, um es ihr dann zu geben. "Wäre nicht nötig gewesen" murmelte Luisa und sah mich nicht einmal an. "Ein Dankeschön hätte gereicht" konterte ich ihre Undankbarkeit und lehnte mich wieder an die Küchenzeile, um mich im Stehen weiter meinem Kaffee zu widmen. Im ersten Moment hatte ich damit gerechnet, sie würde es einfach auf den Tisch legen und gewollt vergessen. Doch dann öffnete sie das Papier und als sie sah was es ist, konnte ich sie kräftig schlugen sehen. Ich hatte eins der wenigen Bilder, auf denen wir als ganze Familie zu sehen waren, gerahmt. Mit dem Gedanken, dass wir wenigstens so etwas bei ihr wären. "Danke" kommentierte sie es schlussendlich knapp, stand auf und ging. Kurz darauf hörte ich ein Geräusch, was mich vermuten ließ, es wäre der Kofferdeckel, der gegen die Wand schlug. Es beruhigte mich innerlich und ließ sie für mich doch nicht mehr so arg im schlechten Licht stehen. Ich konnte nur hoffen und dies wünschte ich mir wirklich, dass der Tag kam, an dem wir wieder zueinander finden würden. Diese Hoffnung wollte ich einfach nicht aufgeben und es war auch der einzige Gedanke, weswegen ich meine Entscheidung positiv sah. Dennoch stand ich mit hängenden Schultern da und fand keinen Weg meine Mundwinkel nach oben zu ziehen. „Hey kleiner" hörte ich dann Luisas recht fröhliche Stimme und als ich ins Wohnzimmer schaute, stand Luca auf dem Sofa und Luisa bei ihm. Sie lagen sich innig in den Armen und Luisa vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. Das Bild ließ Berge schmelzen und mein Herz bekam einen tiefen Riss. Sie würde seine Einschulung nicht miterleben können und auch das nächste ganze Jahr nicht. Und wenn man diese Szene so sah, könnte man glauben, es ging ihr sehr nah und sie war doch nicht so der harte Stein was ihre Gefühle für die Familie betrafen. Es war wie eine kleine Kerze am Ende eines unendlich langen Tunnels und ich hoffte noch mehr auf eine Besserung. In meiner Nasenwurzel fing es an zu ziehen und die Tränen standen nah an der Kante um geheult zu werden. Ich blieb aber stark. Wischte nur mit den Fingern drüber und verschränkte meine Arme fest vor meiner Brust. Das Klingeln an der Tür war pure Erleichterung und schnell ging ich rüber in den Flur. Die zwei sollten noch ihren letzten Moment auskosten, denn es war sicher der Fahrdienst und ich behielt Recht. Dann kam der endgültige letzte Augenblick und zu meiner Verwunderung, zog mich Luisa in ihre Arme, um sich wortlos von mir zu verabschieden. Dann ging alles ganz schnell. Der Fahrdienst nahm den Koffer und die Reisetasche. Luisa hatte Rucksack, Handtasche und einen weiteren Koffer und einen Trolli. Beide schwer bepackt, schwankten sie die Treppe runter und es war das letzte was ich von Luisa sah. Sie drehte sich auch nicht nochmal um oder sah wenigstens kurz über ihre Schulter. Es war vielleicht am Ende doch so besser für uns beide. Dieser Weg musste einfach so gegangen werden und zwar von uns beiden. Luca stand noch eine kleine Ewigkeit am Fenster und ich war mir sicher, das Auto mit seiner Schwester darin war ganz sicher nicht mehr zu sehen. Langsam ging ich zu ihm hin, legte meine Hände über seine kleinen schlanken Schultern und zog ihn schlussendlich fest an mich ran. „ich weiß, sie war nicht immer lieb zu dir. Nur zu mir, aber ich vermisse sie jetzt schon" flüsterte er leise und mir lief die erste Träne langsam über meine Wange. „Ich werde sie dennoch vermissen" sagte ich eben so still mit meiner zitternden Stimme. „Wenn sie wieder kommt, wird alles wieder gut werden und sie wird nicht mehr so böse zu mir sein"-„ich glaube auch" gaben wir uns gegenseitig halt und so gern ich stark für uns beide gewesen wäre, konnte ich nicht länger an dieser Fassade festhalten und schickte ihn zum Spielen. „Nee, ich bin da was am schauen" gab er mir nur als knappe Antwort und rannte Richtung Sofa. Ich hingegen schleppte mich ins Schlafzimmer, schob die Tür zu und ging mit schweren Schritten zu meinem CD-Player. Meine Stimmung war schon auf einem Tiefpunkt und dennoch brauchte ich nun eine Art von Musik, die schwer war und doch mich befreien konnte. Langsam fuhr ich mit dem Finger über die kleine überschaubare Sammlung und zog sicher die CD von meinem Vater hervor. Wer konnte Gefühle nicht schöner besingen, wenn nicht Aretha Franklin? Da lag die silberne Scheibe auch schon in dem Gerät und die ersten Klänge von ihrem wehmütigen „Ain't no way" erklang und ich gab mich meinen Tränen hin.

Ain't no way for me to love you
If you won't let me
It ain't no way for me to give you all you need
If you won't let me give all of me

Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt