Ich hörte zwei Personen, bei dem misslungenen Versuch leise über den Teppichboden zu tapsen, näher kommen.
"Psst! Ich glaube, sie schläft noch.", rief die weiche Morgenstimme meiner Mom.
"Na, und wenn schon! Sie muss sowieso aufwachen."
Diese Worte kamen definitiv aus dem Mund meines Vaters. Seine Stimme klang rau, tief und laut. Demnach so wie immer.
Ich tat weiterhin, als läge ich im Tiefschlaf, um meinen Eltern die Überraschung nicht zu verderben. Mir war von Anfang an bewusst, was sie vor hatten und es erfreute mich.
"Soll ich sie antippen, oder möchtest du das übernehmen?"
Mein Vater dachte einen Augenblick nach und kam zu dem Entschluss, dass es klüger wäre, meiner Mom die Aktion zu überlassen. So, wie ich ihn kannte, wollte er nur nicht an einem schlecht gelaunten und übermüdeten Teenager schuld sein - verständlich.
Vorsichtig tippte mir meine Mutter auf die Schulter.
"Kim, aufwachen."
Ich brummte widerwillig und drehte mich auf die andere Seite. So leicht wollte ich es ihnen nicht machen.
Meine Mom startete einen neuen Versuch.
"Hey, du kommst zu spät zur Schule."
"Hm, Mom. Es ist Sonntag."
Ich drehte mich zu ihr und öffnete meine Augen. In ihrer Hand befand sich eine kleine, weiße Torte. Darauf standen vier Geburtstagskerzen, die die Schrift aus Zuckerguss umrahmten.
"Überraschung!", riefen beide im Chor mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht.
"Alles, alles Gute zum siebtzehnten Geburtstag, meine Große!", fuhr mein Dad fort.
Ich setzte mich auf und strahlte beide ausgiebig an.
"Wünsch dir was!"
Was sollte ich mir wünschen? Der Krankenhausaufenthalt lag bereits vier Jahre zurück und ich bezweifelte, um ehrlich zu sein, dass sie mir jemals die Wahrheit erzählen würden. Was also dann? Ohne weitere Überlegungen schloss ich meine Augen, fing an zu pusten und wünschte mir das, was mir als erstes in den Sinn kam. Es war ein bescheidener Wunsch. Nichts, was man hätte mit Geld bezahlen können, aber dennoch überaus wertvoll.
"Okay, ich habe mir etwas gewünscht.", bestätigte ich zufrieden.
"Hoffentlich etwas schönes, aber verrate uns das nicht. Der Wunsch soll schließlich in Erfüllung gehen."
Diesen Satz sagte meine Mom fast jedes Mal, wenn ich mir etwas wünschen sollte. So weit ich weiß, seit ich denken konnte.
"Das Frühstück ist fast fertig. Es müssen nur noch die Brötchen vom Bäcker abgeholt werden. Wir haben sechs Stück bestellt.", klärte mich mein Vater auf.
"Das kann ich ruhig übernehmen."
So weit war die Bäckerei von unserem Haus nicht entfernt. Sie lag quasi um die Ecke. Außerdem brauchte ich ein wenig frische Luft.
"Gut, bis gleich, Liebling. Ich schneide die Torte nicht ohne dich an.", versicherte mir meine Mom.
Ich schmunzelte und ging auf meinen Kleiderschrank zu. Oh je. Darin sah es nicht im geringsten besser, als im restlichen Zimmer aus. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich nicht alleine an meiner Unordnung schuld war. Es gab Tage, an denen lagen Sachen auf dem Boden, die ich nicht einmal berührt hatte. Andererseits konnte ich mich vielleicht nur nicht erinnern.
Nachdem ich meine morgendliche Routine beendet hatte, schlüpfte ich in meine weißen Converse und verließ das Haus.
Ich trug eine hellblaue Jeans und passend zu meinen Schuhen, einen weißen Pullover. Damit der Pulli nicht so eintönig und langweilig wirkte, hatte ich mir einen großen, dicken Schal aus schwarz-grauem Stoff, der mit Streifen und Dreiecken in verschiedenen Anordnung farciert war, um den Hals gewickelt. Mein linkes Handgelenk umrundete eine weiße Uhr, die goldene Materialien beinhaltete und ein kleines goldenes Armband, aus mehreren winzigen, ineinander schließenden Ringen.
Die Bäckerei war bereits in Sichtweite. Ich kam ihr immer näher und mit ihr der leckere Geruch von frisch gebackenen Brötchen.
Die Ladentür knarrte ein wenig, als ich sie aufdrückte, doch das schien niemanden zu stören.
"Guten Morgen, Kimi! Herzlichen Glückwunsch!"
Wanda, eine gute Bekannte meiner Eltern und die Chefin der kleinen Bäckerei, kam voller Freude auf mich zu. Sie schloss mich in eine lieb gemeinte Umarmung und wollte wissen, wie man sich nun mit siebtzehnten fühlte.
Ich lachte über ihre Frage und gab ihr kurz darauf eine Antwort.
"Ich würde sagen, genau so wie mit sechzehn."
Sie schmunzelte.
"Die grauen Haare kommen später. Was kann ich für dich tun, Geburtstagskind?"
"Ich möchte die Brö ..."
"Wanda?", unterbrach mich eine tiefe, entfernte Stimme.
Diese Stimme kam mir nicht bekannt vor, dennoch hörte sie sich vertraut an. Ich wurde skeptisch und versuchte einen Blick in den Raum neben der Theke zu erhaschen.
"Wer ist das?"
"Äh, einen Moment!"
Wanda schaute hektisch nach rechts, anschließend nach links. Sie suchte etwas.
"Kann ich dir helfen?", versuchte ich mich zu erkunden.
"Schon okay, Kimi. Das ist meine neue Aushilfskraft."
"Aushilfskraft, Wanda? Hat jemand gekündigt?"
Ich war ein wenig verwirrt.
"Nein, nein, Liebes. Er ist ein guter Junge und äußerst fleißig.", erzählte sie mir.
"Entschuldige mich kurz."
Wanda lief in den schmalen Raum links von mir.
"Eben ist eine Lieferung angekommen. Der Lieferant besteht auf Ihre Unterschrift.", hörte ich den Jungen sagen.
"Kein Problem! Ich erledige das schnell. Könntest du in der Zeit vor an die Theke gehen und unsere Kunden bedienen?", fragte Wanda mit ihrer ruhigen und sanften Stimme.
Ich hörte die Fußstapfen des jungen Mannes näher und näher kommen. Mit jedem Schritt zitterten meine Hände stärker, wurde mein mickriges Selbstbewusstsein schwächer und meine gesamte Ausstrahlung nervöser. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wer mich dort im Türrahmen erwartete. Die Neugier war etwas, dass ich nicht kontrollieren konnte. Ich wollte unbedingt herausfinden, wer mich so aus der Fassung brachte und plötzlich sah ich ihn. Mein Atem stockte, mein Herzschlag nahm an Geschwindigkeit zu und meine Gedanken wirbelten ungeordnet umher.