OS 11/16

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Ich stand am Straßenrand unter dem Dach einer Disko, aus der laut Musik dröhnte, was für mich als Landei komisch war, ich meine es war 10.00 Uhr morgens. Daneben war ein Kaffee, in dem an einem Tisch zwei Männer saßen, die wie frisch verliebt wirkten und sich deshalb die ganze Zeit küssten. Ich freute mich für sie, schenkte ihnen jedoch keine weitere Aufmerksamkeit. Viel wichtiger war es jetzt, nüchtern zu wirken, gepflegt auszusehen, und vielleicht im ersten richtigen Gespräch nett und nicht sarkastisch oder sonst was zu wirken. Es regnete leicht und die Luft war kalt, somit verbrachte ich die Zeit, in der ich auf das Taxi wartete, damit, kleine Wölkchen aus meinem Mund kommen zu lassen, in dem ich ausatmete. Nach gefühlten Stunden (was mir wahrscheinlich nur so lange vorkam, weil mein Zustand nicht der beste war) kam endlich das beige Auto mit dem netten Fahrer, dem man schon im Auto ansah, wie viel Lust er hatte, einen Touri durch Berlin zu fahren.

Ich öffnete die hintere Tür des Autos und stieg ein. „Hallo.", sagte ich und zwang mich zum Lächeln. Der Fahrer hatte hoch gegelte Haare, stank nach billigem Parfum und sah türkisch aus. Erwartungsvoll und irgendwie genervt trommelte er mit den Händen auf dem Lenkrad. Eine Weile saßen wir nur so da, er trommelnd und ich erwartungsvoll, was er denn jetzt nun tun würde, doch dann, nach einer Ewigkeit, öffnete er seinen Mund, und sprach die Worte aus, die er offensichtlich nun schon so lange zurückhalten musste: „Wohin.", genervt atmete er aus. Ich lächelte wieder (was unglaublich dumm wirken musste, was ich definitiv nicht war) und sagte ihm die Adresse, zu der ich gerne hingefahren werden wollte. Damals war ich noch neu in der Stadt, weshalb ich nicht wusste, dass der Weg dorthin mit der S-Bahn wesentlich angenehmer und günstiger werden würde.

In der Zeit, indem die Räder des Autos sich drehten und das Radio leise Popmusik spielte (ich hasse Popmusik) beobachtete ich den Straßenverkehr in Berlin an einem Samstagmorgen, um mich nicht mit dem überaussympathischen Mann am Steuer unterhalten zu müssen. Irgendwann bogen wir in meine Zielstraße ein, wie mein Navi jetzt sagen würde, und ich gab dem Fahrer die 11,30 €, die er von mir verlangte, bedankte mich halbherzig und stieg aus. Schon bei den ersten Schritten zu der Eingangstür des Hauses bemerkte ich, dass es wohl doch etwas schwieriger als gedacht werden würde, nüchtern zu wirken. Um es nett auszudrücken: die kalte Luft blies mir den Alkohol direkt ins Gesicht. Und das meine ich genauso, wie ich es geschrieben habe. Langsam und vorsichtig schwankte ich also zur Haustür und suchte den Namen, meines zukünftigen Mitbewohners (damals für geplante 2 Wochen) und klingelte. Irgendwann surrte die Tür, was wohl bedeutete, dass ich das Haus betreten konnte, was ich auch tat. Ich schritt also vorsichtig und taumelnd die 24 Treppenstufen hoch, ehe ich an der Tür ankam. In der Tür, welche übrigens aus Holz war, stand ein Mann mit Bart und Nerdbrille, welcher circa 1,80m groß war. „Hey.", wollte ich sagen, doch da meine Stimmbänder die kalte Luft nicht gewöhnt waren, bewegten sich nur meine Lippen, was ziemlich awkward ausgesehen haben muss. Auch der Mann schien dies zu bemerkten und lachte leicht verlegen. „Ich nehme an, du bist das Mädchen, mit dem ich geschrieben hab?", fragte er mich freundlich. Natürlich war ich das, niemand sonst würde um halb 11 morgens an seiner Tür klingeln, und sich so komisch verhalten, nur weil er neu in der Stadt war und aus Aufregung erstmal was getrunken hatte. Das sagte ich aber nicht, sondern nickte nur und lächelte gezwungen, weil ich Angst hatte, das meine Stimmbänder ein zweites Mal versagen würden. „Komm rein.", meinte er immer noch so scheisse freundlich, wahrscheinlich waren die hier so erzogen worden. „Danke.", sagte ich ohne darüber nachzudenken, aber diesmal kamen Töne raus. Überrascht über mich selbst, lachte ich erstmal (was wahrscheinlich am Alkohol lag, den ich nicht hätte trinken sollen, weil ich es sonst hasse, jegliche Anzeichen von Menschlichkeit zu zeigen). Er lächelte verwirrt zurück und schon wieder fabrizierte mein Gehirn in Kooperation mit dem Alkohol etwas absolut komisches, was ich dann auch noch aussprach. „Ja, weißt du, normalerweise bin ich nicht so, dass ich lache, also ich lache schon, aber innerlich, verstehst du? Jedenfalls bin ich ein normaler ... also relativ normaler Mensch, und ich spreche auch nicht so viel, aber ich dachte halt, ich sollte dir mal sagen, dass ich nicht so bin, wie du jetzt vielleicht denkst, falls du überhaupt denkst, du lächelst ja nur." Überrascht darüber, dass mein Mund derjenige war, der diesem Quatsch gerade ausgesprochen hat, wurde ich rot, fasste mich aber wieder, indem Gedanken, das mein Gegenüber auch nicht gerade besser war. Langsam begann er zu verstehen, zumindest irgendwas von mir zu halten, weil ich selbst gerade nicht mal verstand, was in mir vor sich ging. „Kann es sein dass du total betrunken bist?", lachte er. Und aus irgendeinem Grund war ich selbstbewusst und genervt genug eine total sarkastische Antwort zugeben: „Nein, ich bin total nüchtern und taumele gerne durch die Gegend, außerdem hasse ich Menschen." Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hat Alkohol eine total komische Wirkung auf mich.

°°°

Ich wachte von lautem Gelächter auf, ich öffnete die Augen, aber es war genauso dunkel wie vorher. Ich bemerkte den dumpfen Schmerz und erinnerte mich an dass, was vor dem Einschlafen passiert war. Der Mann, der übrigens Steven hieß und 25 Jahre alt war, hatte zu mir gesagt, ich solle ich erstmal in sein Bett legen, und meine Rausch ausschlafen, heute Abend würde aber noch Rick und seiner Freundin kommen. Zuerst hielt ich „Rick" für eine Krankheit, aber die Tatsache, dass eine Krankheit eine Freundin hat, hielt ich dann für zu absurd (obwohl in Berlin wahrscheinlich eh alles möglich war) und schwenkte darauf über, dass Rick ein Mensch war.

Ich stolperte buchstäblich aus dem Bett und bemerkte dass ich, wie wahrscheinlich alle von Steves One Night Stands auch, ein riesiges, altes T- Shirt von ihm anhatte, auf dem ein Frosch zusehen war, welche einer dieser hässlichen Astronautenhelme trug. Ich trug grüne Socken und Boxershorts, ja, Boxershorts, ich hasse Tangas. Immer noch nicht ganz nüchtern, und viel zu verplant um alles zu checken, ging ich intuitiv in den Raum, aus dem die lauten Stimmen und das Gelächter kamen. Ich musste wie ein Idiot ausgesehen haben, mit meinem halboffenen Messidutt und meiner abgebröckelten Mascara, aber das war mir in dem Moment egal (und ich war – wie gesagt nicht nüchtern) also stand ich halbnackt vor Steven und seinen Freunden. Als sie mich bemerkten, warf Rick einen vielsagenden Blick zu Steve welcher leicht rot wurde, und natürlich wieder verlegen lachte, scheiß Menschen mit ihren Gefühlen. „Hey.", sagte ich abwertend, weil diese Situation äußerst komisch für alle Beteiligten war.

„Hey.", meinte Steven zu mir, und klang dabei angetrunken. Trotzdem vielen mir dort, wahrscheinlich zum ersten Mal, seiner schönen Augen auf. Auch Rick meinte, mich begrüßen zu müssen. Beide meinten, mich auffordern zu müssen, sich zu ihnen zu setzen, was mich nervte, mir aber auch ein wenig schmeichelte, weshalb ich mich dann zwischen Rick und Steve setzte. Beide rochen nach Hochprozentigem und wirkten nicht mehr ganz so frisch, was für Opfer. Nur weil ich unglaublich müde war und gerade eh nichts Besseres zu tun hatte, legte ich meinen Kopf auf Steves Schulter. Auch sein Gehirn schien es irgendwann zu bemerken und er legte einen Arm um mich und schaute mir in die Augen, in diesem Moment wirkte er gar nicht mehr betrunken, sondern einfach nur glücklich, und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich menschlich, nicht dass ich mich nicht gut gefühlt hatte, trotzdem, auch wenn ich es in dem Moment nicht zugeben wollte, machte es mich glücklich, mich so dazugehörig zu fühlen.

Eine Ewigkeit saß ich so da, und sog einfach nur Stevens Duft ein, doch irgendwann bemerkte ich, dass sich Rick und seine Freundin verabschiedeten und ich bildete mir ein in Steves „Ciao.", etwas Erleichterung zuhören. Als sie aus der Tür waren, zwang mich irgendwas, keine Ahnung was, vermutlich irgendeine Kraft der Menschlichkeit, mich auf Steves Schoß zusetzen. Nach einer Weile in dieser Position bewegte sich mein Gesicht langsam auf Steves zu, und wir taten das, was ich immer total erbärmlich fand: küssen. Und, was soll ich sagen? So erbärmlich war es gar nicht. Eigentlich recht schön.

Was ihr daraus lernen sollt? Vermutlich gar nichts, aber für mich war es eine ganz neue Erfahrung, Menschlichkeit und Emotionen einmal aus der Nähe zu spüren, und dafür liebe ich Steve noch heute.



One Shots / WeltraumfröscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt