Von herein scheinenden Sonnenstrahlen wurde sie aus einem traumlosen Schlaf geweckt. Im Bett, gemütlich rekelnd, ließ sie die Augen geschlossen und gönnte sich ein paar Minuten zum wach werden. Bilder des gestrigen Abends liefen noch einmal vor ihrem inneren Auge ab:
Aaron, beim Tanzen mit der Schlampe. Aaron, wie er tröstend den Arm auf ihren Rücken legte. Aaron, wie er ihr Beigestanden hatte. Aaron, wie er beim Abschied tief in ihre Augen schaute. Aaron..Aaron..Aaron..
Sie verdrängte die Bilder und öffnete die Augen. Der Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon 10 Uhr war.
Sie drehte sich zu Ninas Bett um, doch es war leer. Wo konnte sie sein? So früh am morgen.
Da öffnete sich die Tür und Nina kam fröhlich herein gehüpft. ''Guten Morgen. Auch schon wach?'' trällerte sie munter. Nina trug einen kurzen Schlafanzug, schien aber nicht geschlafen zu haben. Ihr Haar sah perfekt aus, kein einziger Knoten. Ihre Augen waren immer noch perfekt geschminkt, kein bisschen verschmiert.
Um aus dem Fenster zu schauen, drehte Vera sich auf die andere Seite. Ein kleines Wäldchen, aus dem gerade der Morgennebel aufstieg, war zu sehen. Der Himmel war strahlend blau mit kleinen Schleier Wolken. Es sah nach einem schönen, warmen Tag aus.Fürs Frühstück hatte Vera sich eine alte, verwaschene Jeans und ein weißes Shirt angezogen.
Gemütlich schlenderte sie mit Nina zum Speisesaal.
''Sag mal, was war denn gestern mit dir los?'' fragte Nina neugierig. Irritiert sah Vera sie an, ''was meinst du?'' Achselzuckend antwortete Nina: ''Na ja, du bist gestern ganz plötzlich abgehauen'' sie machte eine dramatische Pause, ''und seltsamer Weise war Aaron danach auch weg. Weißt du etwas darüber?'' Vera errötete und sah zur Seite. Wie vom Himmel geschickt, kamen Lea und Luise auf sie zu und winkten.
Sie hoffte, dass sie dadurch nicht auf Ninas Anspielung eingehen musste und winkte Lea zu. ''Hi, Leute.'' begrüßte Lea sie freundlich und gemeinsam liefen sie zum Speisesaal.
Gerettet!
Sauer ließ Nina das Thema fallen, da Luise über den gestrigen Abend zu sprechen begann.
In Gedanken verloren lief Vera gegen Kevin, der plötzlich direkt vor ihr stand. Sie drohte zu fallen, doch Kevin fing sie gekonnt auf. ''Das du mir nach dem gestrigen Abend, direkt in die Arme fällst, hätte ich nicht gedacht'', zwinkerte Kevin ihr zu. Vera wand sich aus dieser unangenehmen Umarmung und verzog grimmig das Gesicht.
''Sorry, hab dich nicht gesehn.'' Grinsend nickte er und gesellte sich zu ihnen. Wie ohne Absicht streifte er Veras Arm. Bei dieser Berührung hatte sie das Gefühl zu verbrennen. Wie konnte man so heiß sein? Normal war es jedenfalls nicht.
''Bist du gestern gut ins Zimmer gekommen?'' fragte er sie lächelnd. Abgesehen von diesen Schmerzen und der Hitze- Kälte Wallung...
''Ja'', antwortete sie kurz angebunden.
Das bekannte Kribbeln tauchte auf und Vera wusste, dass Aaron in der Nähe war. Wie von der Schwerkraft angezogen fand sie Aarons Augen.
Er lehnte lässig an einem Baum und beobachtete sie. Bei ihrem Anblick funkelten seine Augen und ein freches Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Ein warmer Schauer erfasste sie und Vera lächelte ihm zu, worauf er ihr zu zwinkerte. Nach einem flüchtigen ''Hallo'' wandte sie sich wieder ihren Freunden zu.
Diese Anziehungskraft überforderte Vera. So etwas war ihr noch nie passiert.
Gegen ihren Willen, legte Kevin besitzergreifend den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich. Verzweifelt löste sie sich aus seinem eisernen Griff.
Nina bemerkte Veras Unbehagen und zwängte sich zwischen sie und hakte Vera unter.
''Hast du gut geschlafen?'' fragte Kevin über Nina hinweg. ''Ja, wie ein Stein'', antwortete Vera. Angespannt krallte sie sich an Ninas Handgelenk. ''Du weißt doch, dass der Traum, den du in der ersten Nacht im neuen Bett träumst, sich erfüllt. Oder?'' Leicht unterkühlt erwiderte Vera: ''Ich kann mich an keinen Traum erinnern.''
Sie ließ Nina los und bemerkte, ihren dunkelroten Handabdruck auf Ninas Handgelenk. Vera hatte nicht gemerkt, wie sehr sie sich an Nina festgeklammert hatte. Sie bereute es, doch Nina schien nichts gespürt zu haben, was sie verwunderte. Hat sie keine Gefühle?
Sie saßen gemeinsam am Tisch und alle redeten über die Party.
Gedankenverloren spielte Vera gelangweilt mit ihrem Brötchen, ohne es zu essen. Lea riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Lachen war so laut, dass es Vera in den Ohren weh tat.
Erschrocken sah sie Kevin, der Getränkenachschub geholt hatte, an. Er ließ sich direkt gegenüber von ihr, auf die Bank fallen. Luise, die gerade eine Grimasse zog brachte Lea wieder zum Lachen.
Müde starrte Vera auf ihr zerrupftes Brötchen. Es war Samstag und sie hatte genug Zeit sich einzuleben. Neue Umgebung, neue Leute und neue Gefühle. Sie musste das Chaos in ihrem Kopf ordnen.
Sie ignorierte die stechenden Blicke Kevins, er versuchte ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie wollte allein sein, sich ein wenig umsehen und zur Ruhe kommen.
Flüchtig verabschiedete sie sich und ging hinaus in den Hof.
Draußen schien die Sonne und ihre Strahlen tauchten alles in ein warmes, helles Licht. Sie setzte sich auf die Bank vor dem Mädchentrakt. Es war der Ort, an dem sie gestern diese höllischen Schmerzen hatte. Sie dachte an das Geschehene.
Sie konnte nicht verstehen, woher diese Schmerzen gekommen waren. Wie aus dem Nichts waren sie aufgetaucht und wieder verschwunden. Was war der Auslöser und was hatte Aaron damit zu tun?
In ihrem Kopf herrschte große Verwirrung, all das Geschehene überforderte sie. Wieder wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
Ein vertrautes Prickeln breitete sich von ihrer Hand ausgehend, in ihrem ganzen Körper aus. Ein tiefes Lachen ertönte. Ihr Herz pochte so stark gegen die Rippen, dass sie glaubte es würde heraus springen. Ihr Mund wurde trocken und ihre Kehle schnürte sich zu. Sie spürte wie die Röte ihr Gesicht erhitzte. Aus Scharm, Aaron könnte ihre Röte sehen, senkte sie den Blick, stand auf und wollte in ihr Zimmer flüchten.
Warum hatte ihr Körper, so auf seine Anwesenheit reagiert? Ihr Körper hatte instinktiv gehandelt. Noch mehr Fragen, die sie nicht beantworten konnte.
Das Chaos, in ihrem Kopf, wuchs und wuchs.
Aarons Lachen verstummte und sie lief weiter. Aus sicherer Entfernung drehte sie sich um und beobachtete, wie er mit zwei Jungs aus dem Gebäude trat. Grüßend hob Aaron den Arm und sie ergriff die Flucht.
Vera stürmte in das Gebäude vor ihr, die Treppe hinauf, links-rechts-links. Atemlos blieb sie stehen. Wo bin ich? Sie hatte sich verlaufen.
Zögernd öffnete sie die nächste Tür und stand in einem großen dämmrigen Raum.
In der rechten Ecke, auf einer Säule stehend, konnte sie mit Mühe eine kleine Figur erkennen. Beim Annähern erkannte sie weitere Details:
Es war eine, aus vielen übereinanderliegenden Vierecken bestehende Rosenblüte, die von Blättern und Stacheln, strahlenförmig umgeben war. In der Mitte der Rose war ein Sichelmond zu erkennen. Die Skulptur sah wie angelaufenes, uraltes Silber aus. Neugierig berührte sie eines der stacheligen Blätter, zuckte zurück, da sie sich in den Finger gestochen hatte.
''Wunderschön, nicht wahr?'' Erschrocken fuhr sie zusammen und wandte sich der unbekannten Stimme zu. Luise stand vor ihr.
Vera holte tief Luft und beruhigte sich wieder. ''Ja, das ist sie.'' Sie sah wieder zur Skulptur und Luise trat neben sie. ''Sie ist sehr alt. Früher war sie strahlend silbern, aber die Jahre haben sie schwarz werden lassen.'' Vera lächelte, ''sie muss noch viel schöner gewesen sein..'' Luise beobachtete sie mit ihren orangenen Augen, die ihr sehr bekannt vor kamen.
''Haben wir uns schon mal gesehen?'' fragte Vera, Luise lachte. ''Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin nicht von hier. Ich komme ursprünglich aus Italien.'' Vera schaute sie erstaunt an. ''Italien?'' Luise nickte und ihre schwarzen Locken tanzten. Das war das erste Mal, dass sie mit Luise sprach. Vera schaute sie fragend an. ''Ich bin mit 8 Jahren hierhergekommen.'' Vera spürte eine gewisse Vertrautheit.
''Woher bist du denn?'' fragte Luise neugierig. ''Ich komme aus Glinde. Musste aber hier aufs Internat gehen.'' Verwundert beäugte Luise sie ''warum das denn?'' Achselzuckend erwiderte Vera: ''Meine Eltern wollten vermutlich ihre Ruhe, damit sie ungestört machen können, was sie wollen.'' Mitfühlend legte Luise ihr eine Hand auf die Schulter. Vera zuckte zurück, als sie die Eiseskälte der Hand wahrnahm.
Unbeeindruckt lächelte Luise ''hast du dich verlaufen oder wolltest du hierher?'' Verlegen sah Vera zur Seite ''Ja, ich hab mich verlaufen, als..'' Vera schwieg abrupt, sie konnte doch einer Wildfremden nicht gleich ihr Gefühlsleben erläutern.
''Als..?'' fragte Luise. ''Ach, nichts. Kannst du mich zurück auf den Hof bringen?'' Luise nickte und sie lief vor.Während des ganzen Weges schwiegen sie.
Nach der zweiten Abzweigung wusste Vera, dass sie im Hauptgebäude war. Auf den Gängen herrschte viel Verkehr, obwohl es Samstag war. Unter dutzenden Leuten erkannte sie Aaron. Er bahnte sich den Weg zu ihnen und schaute genervt, wenn er nicht voran kam.
Aufatmend blieb er vor Luise stehen ''hast du Mia gesehen?'' Vera schenkte er keinen Blick, als wäre sie Luft. Luise überlegte kurz ''guck doch mal in der Bücherei. Ich mein, ich hätte sie gerade dahin gehen sehen.'' Dankend nickte er und eilte weiter.
Was sollte das denn? Kein 'Hallo', kein 'wie geht's?' Kopfschüttelnd sah sie ihm nach. Wer ist diese Mia? Vera hoffte, dass es nicht die Schlampe von letzter Nacht war. Ihre Neugier war zu groß. ''Wer ist Mia?'' Luise betrachtete sie mit einem wissenden Blick. ''Das billige Flittchen, dass gestern um ihn rum geschwänzelt ist.'' Veras Magen verkrampfte sich. Sie wusste, dass sie mit dieser Mia nie befreundet sein würde.
Ihr fielen lauter Beleidigungen ein, die sie noch nie benutzt hatte. Warum rege ich mich nur so auf? Ich kenne Aaron und die anderen erst seit gestern.
''Ich muss gehen'' sagte Luise und ließ sie im Gang stehen.Vera war total perplex, so etwas hatte sie von Luise nicht erwartet. Wenigstens kannte sie sich hier aus und konnte allein den Weg in ihr Zimmer finden.
DU LIEST GERADE
Vom Engel geküsst
ParanormalVera, 18Jahre alt, muss das Shadow and Light Internat besuchen. Verschlossen, wie sie ist, freundet sie sich nur langsam mit anderen an. Als sie dann 6Jugendlichen begegnet ist die Katastrophe schon im vollem Gang. Eigenartige Dinge geschehen. Träu...