Kapitel 6

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Kevin und Vera alberten auf dem Rückweg herum. Immer wieder schubsten sie sich gegenseitig vom Weg und lachten ausgiebig. Nachdem Vera geschwommen war, hatte sie ihre trübseligen Gedanken verdrängt und genoss den Moment.
   Auch wenn ihr Kevins ständigen Annäherungsversuche auf die Nerven ging, konnte man viel Spaß mit ihm haben.
   Sie stieß Kevin lachend zur Seite, doch er wankte nicht, wie die letzten Male, zur Seite, sondern verharrte.
   Urplötzlich schlug die Stimmung um.
   Als sie nach der Ursache Ausschau hielt, sah sie Aaron, der auf dem Waldweg stand und Kevin finster ansah.
   Seine Augen glühten gefährlich orange, sie lagen nicht auf Vera, sondern auf Kevin. Kevin und Aaron lieferten sich ein heftiges Blickduell. Beide waren wütend und jeder Muskel im Körper, war zum Zerreißen angespannt. ''Was zu Teufel machst du hier?''  platzte es aus Vera heraus. Sie bereute es sofort, gesagt zu haben.
   Aaron sah einen Moment zu ihr, sein Gesichtsausdruck änderten sich sofort. Der böse Blick wurde von einem Enttäuschten abgelöst. Sobald er wieder zu Kevin sah, hatte er wieder diesen hasserfüllten Blick.
   Aaron reagierte nicht auf ihre Frage, auch Kevin sagte nichts. ''Hallo? Hört ihr mich?'' Aaron war der Erste, der den vernichtenden Blickkontakt abbrach und sie ansah.
   ''Ich hab dich gesucht und von Pia erfahren, dass du Richtung Wald gegangen bist'', antwortete er und ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. ''Aber warum?'' sie starrte immer noch Aaron an. Mich gesucht? Hoffnung durchströmte sie und Vera konnte nur schwer verbergen, welche Wirkung seine Worte hatten. Kevin war vollkommen vergessen. ''Das ist jetzt egal, wie ich sehe störe ich.''
   War es Enttäuschung oder Wut, die in seiner Stimme mitschwang? Wahrscheinlich beides. Seine Worte zerrissen etwas in ihr. Vor kurzem, hatte sie ihm noch wegen Mia Vorwürfe gemacht und jetzt lief sie mit Kevin, klatsch nass, durch den Wald. Sie fühlte sich mies.
   Aaron hatte sich umgedreht und lief zurück. Sie wollte ihm nach, aber Kevin hielt sie am Arm fest. ''Lass ihn'', es klang wie ein Befehl. Was bildet er sich ein? Er hat mir nichts zu sagen.  ''Lass mich los!'' brüllte sie Kevin an, riss sich los und lief Aaron nach.
   ''Warte.''
Er drehte sich um und blieb stehen.
   Ihr Herz pochte und sie musste schwer schlucken um ein Wort heraus zu bekommen. Was tat ich da? Ich rannte einem Jungen hinterher? Ihr Herz schlug schneller. Verzweifelt versuchte sie ihre Atmung zu beruhigen. ''Warum hast du mich gesucht?'' fragte sie an dem Kloß vorbei, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Und warum hat er diese Wirkung auf mich?
   Sie stand direkt vor Aaron. Er kannte sie nicht und sie ihn erst recht nicht, trotzdem gab es zwischen ihnen eine Verbindung.
   Er schüttelte den Kopf. Ein trauriges Lächeln erschien auf seinen Lippen. Volle, wunderschöne Lippen..
   Sie atmete tief ein und versuchte sich zu konzentrieren. ''Ich wollte es dir erklären.'' Fragend legte Vera den Kopf schief. ''Die verschiedenen Augenfarben,'' er deutete auf sich ''es sind die verschiedenen Tageszeiten und Lichtunterschiede. Das tritt bei Jedem auf.'' Skeptisch hob sie eine Augenbraue. Was für eine Erklärung. ''Deine Augen sind eigentlich grün-blau oder?'' sie nickte zustimmend. ''Sie sehen jetzt grau-
grün aus.'' sie runzelte die Stirn. Frustriert schüttelte sie den Kopf. 
Sie drehte sich um und suchte Kevin, aber er war fort. Wie in Luft aufgelöst. Es konnte nicht länger als zwei Minuten her sein, dass sie ihn dort hatte stehen lassen. Sie hatte nicht bemerkt, wie er gegangen war.
   ''Er ist schon weg'' sagte Aaron gereizt. Dachte er wirklich, dass ich auf Kevin stand? Sie sah wieder zu Aaron, ''es ist nicht so, wie du denkst.. Er..'' verzweifelt versuchte sie die vergangene Situation zu erklären, aber sie wusste nicht wie.
   ''Du bist mir keine Rechenschaft schuldig'', angespannt knirschte er mit den Zähnen und sah an ihr vorbei. Verdammt! Er hat Recht..
Er wand sich ab und wollte gehen.
   Zum zweiten Mal hielt sie ihn auf. ''Ich will es dir erklären'', entschlossen packte sie sein Handgelenk. Schmerzerfüllt zuckte er zusammen. Verwundert, über seine Reaktion, fiel ihr Blick auf sein verwundetes Handgelenk. Rote Striemen, die Ninas sehr ähnlich sahen, waren deutlich zu erkennen.
   Ruckartig entzog er ihr seine Hand. Vera zuckte vor Schreck zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf sein verletztes Handgelenk, bis Aaron es in der Hosentasche versteckte.
   ''Ich bin hier herum gelaufen und an den See gekommen'', erklärte sie unsicher. ''Ich war allein, bis Kevin plötzlich neben mir war. Wir sind schwimmen gegangen'', nervös fummelte sie an ihrem Shirt. Er nickte, doch die Anspannung wich nicht aus seinem Körper.
   ''Warum warst du allein?''
Sie wollte es ihm sagen, aber es ging um ihn und fühlte sich nicht richtig an. Ihm zu erklären, dass er ihr nicht mehr aus dem Kopf ging, dass er sie ständig verwirrte, wäre zu viel des Guten.
   Er hob ihr Kinn an. Sie musste ihm in die orangenen Augen sehen, die schwarzen Punkte darin wurden immer größer, bis sie das Orange vollkommen verdrängt hatten. ''Was ist los, Vera?'' seine Stimme war sanft und liebevoll. Sie erschauderte und schloss die Augen.
   Sie wollte ihn umarmen, fest an sich drücken und nie wieder loslassen. Dieses Bedürfnis wuchs und wuchs, solange er sie berührte. Sie atmete tief ein und aus. Sie musste immer mehr Kraft aufwenden, um das Verlangen zu unterdrücken. In seiner Gegenwart fühlte sie sich geborgen, beschützt und verstanden, auch wenn sie kaum miteinander redeten.
   Endlich ließ er die Hand sinken.
Jetzt war es Vera, die fluchtartig weg wollte, da sie sich diese Gefühle nicht erklären konnte. Aaron, der ihre Flucht ahnte, hielt sie am Unterarm fest.
   Schleichend kamen ihre Kopfschmerzen zurück.Verzweifelt versuchte sie sich von ihm los zu reißen, aber Aaron hielt sie mit aller Kraft fest. ''Lass mich los, bitte'' flehte sie und versuchte erneut seinem Griff zu entkommen.
   Das Dröhnen in ihrem Kopf wurde stärker. Sie rieb sich die Schläfen. Eindringlich beobachtete er sie und schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Er lockte den Griff, doch hielt sie weiter fest. Die Schmerzen wurden heftiger, bis ihr Umfeld, vor ihren eigenen Augen, begann zu schwanken und zu verschwimmen. Vera schloss die Augen, um den Schmerz zu lindern. Es war zwecklos, der Schwindel wurde schlimmer. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. Ihre Sinne schwanden...

Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt