Am Tor des Internats hatten sich Schüler versammelt.
Kevin und Aaron standen in der ersten Reihe. Besorgt kam Aaron auf sie zu, aber Kevin war schneller. Er nahm sie in den Arm, doch sie spürte nichts. Sie fühlte gar nichts mehr.
Sie hatte nur Aaron im Blick.
In Kevins starken, warmen Armen hörte sie auf zu zittern. Sie hatte nicht mal bemerkt, dass er auf sie zu gekommen war.
Ihr Blick war jedoch weiterhin auf Aaron gerichtet.
Ihre Kehle schnürte sich wieder zu, als ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie unterdrückte diese, sie wollte sich nicht blamieren. Kevin versuchte sie zu beruhigen, aber er schaffte es nicht.
Aaron musste gesehen haben, wie ihre Augen sich immer und immer wieder mit Tränen füllten. Sie drückte Kevin beiseite und lief Aaron entgegen, der sie sofort in die Arme schloss.
Dank der Kühle, die er ausstrahlte bekam sie einen freien Kopf. Er drückte sie fest an sich und streichelte ihr den Rücken.
Sie konnte wieder fühlen. Sie konnte ihn fühlen.
Vera spürte, dass ihre Kehle immer enger wurde, lange konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten. Seine Nähe und seine Berührung beruhigte sie sofort. ''Scht'', ganz leise flüsterte er ihr zärtliche Koseworte ins Ohr. Die Tränen liefen automatisch und sickerten in seinen Pullover. Seine Körperkälte, sein Geruch, seine Berührung, all das tat ihr unsagbar gut. Endlich konnte sie sich fallen lassen und sie wusste instinktiv, dass er sie auffangen würde. Sie krallte sich in seinen Pullover fest und ihr schluchzen ließ sie am ganzen Körper zittern. Er umarmte sie fester. Ihr Gesicht vergrub sie in seine harte Brust.
Warum hatte das Mädchen sterben müssen? Was hatte sie getan um so etwas zu verdienen? Vera konnte sich solche Grausamkeiten beim besten Willen nicht vorstellen.
Um ihr in die Augen zu sehen, lehnte Aaron sich etwas zurück. Er sah sie so liebevoll an, dass ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. Er wischte ihr die herausquellende Träne von der Wange. Behutsam drückte er sie wieder an sich und ließ sein Kinn auf ihren Kopf sinken. Er murmelte irgendetwas, was sie nicht verstand, doch es beruhigte sie.
''Geht´s?'' fragte er in ihr Haar. Achselzuckend löste sie sich aus seiner schützenden Umarmung und sah zu Boden. Wie sollte es mir schon gehen? Eine Leiche live zu sehen, war alles andere als schön...
Die herumstehenden Schüler stürmten auf sie zu, drängten sie dazu, etwas zu sagen, aber sie konnte nicht. Sie konnte selbst nicht verstehen, was sie gesehen hatte und warum all das geschah.
Aaron war ihr Anker, an ihm konnte sie sich festhalten und das tat sie auch. Sie verringerte den Abstand zwischen ihnen und lehnte sich an ihn. Den Kopf an seiner Brust gelehnt ignorierte sie, die herbei eilenden Schüler. Schützend stellte er sich zwischen sie und die Masse.
Er tastete nach ihrer Hand und zog sie aus dem Pulk.Sie liefen schweigend zum Mädchengebäude.
Das Schweigen zwischen ihnen war angenehm.
Sie versuchte das Gesehene zu verdrängen: Das tote Mädchen, dass Blut verschmiert auf dem Waldboden lag, diese Augen, die in die Leere starrten - es ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Vera schleppte sich die Treppe, zu ihrem Zimmer hinauf.
Sie war ausgelaugt vom Weinen und verängstigt. Es war anscheinend nicht das erste Mal in der Gegend gewesen, dass jemand auf so grausame Weise starb.
An ihrem Zimmer angekommen, lehnte sie sich erschöpft gegen die Wand und schloss die Augen.
Aaron wich ihr nicht von der Seite, hielt ihre Hand und beobachtete sie.
Sie wollte ganz nah bei ihm sein und rutschte noch näher an ihn heran. Die erfrischende Kühle, die von ihm ausging, klärte ihren Verstand.
Vera wollte nicht allein sein. Sie wollte nicht allein in ihrem Bett liegen, sie wusste, dass dann all die Bilder des Abend wieder auftauchen würden.
Sie drückte sich von der Wand ab und stieß gegen Aaron. Vorsichtig und bedacht legte er seine Hände um ihre Taille und zog sie an sich. Ihr stockte der Atem, doch sie ließ sich in eine beruhigende Umarmung ziehen.
''Danke, dass du da warst'' sagte sie, doch seine Brust dämpfte ihre Worte. Zärtlich strich er ihr übers Haar. ''Ich bin immer da, wenn du mich brauchst.'' Dankbar lehnte sie sich gegen ihn und genoss die Umarmung. Ihre Atmung regulierte sich wieder und das Gefühl von Geborgenheit wuchs.
''Du solltest schlafen gehen, es ist viel passiert'', schlug er vor. Nickend öffnete sie die Zimmertür, drehte sich noch einmal um und bedankte sich abermals.
''Falls du nicht schlafen kannst, weck mich. Ich bin immer für dich da, Vera.'' Er beugte sich vor und Vera erstarrte. Sie blickten sich tief in die Augen, ihr Herzschlag erhöhte sich und ein ungewohntes Kribbeln entstand in ihrem Magen. Seine Lippen legten sich auf ihre Wange und verstärkten das Kribbeln. Sie spürte, wie die Röte ihr ins Gesicht stieg.
''Gute Nacht'', flüsterte er ihr ins Ohr, drehte sich um und lief zur Treppe.
Mit klopfendem Herzen lehnte sie an die Tür. Er hatte sie geküsst. Seine Lippen hatten sich selbst auf ihrer Wange ungewöhnlich warm und weich angefühlt.
Wie in Trance schleppte sie sich ins Bett und schlief mit einem Lächeln ein.
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Vom Engel geküsst
ParanormalVera, 18Jahre alt, muss das Shadow and Light Internat besuchen. Verschlossen, wie sie ist, freundet sie sich nur langsam mit anderen an. Als sie dann 6Jugendlichen begegnet ist die Katastrophe schon im vollem Gang. Eigenartige Dinge geschehen. Träu...