Kapitel 13

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Vera starrte geschockt auf die Zimmertür. Was sollte DAS denn? Was fiel Kevin ein, hier herein zu platzen und Aaron so... so bösartig anzufauchen?
   ''Was...?'' verwirrt sah Vera zu Nina und dann zu Luise. Luise schien aufgebracht, aber Nina saß mit einem sarkastischen Grinsen auf ihrem Bett. ''Nichts was du verstehen würdest'' sagte Nina gelangweilt. Genervt seufzte Luise: ''Sie hassen sich seit vielen Jahren und nur sie wissen warum, denn sie machen ein riesiges Geheimnis daraus.'' Vera fiel auf, dass Luise stocksteif im Raum stand.
   Verständnislos starrte Vera auf ihre Hände. Sie würde diese Szene nie wieder vergessen. Diesen Hass zu spüren, den Aaron und Kevin für einander empfanden, war nicht normal.
   Ein pochender Schmerz schlich sich in ihren Kopf und benebelte ihre Sinne. Wie aus weiter Ferne vernahm sie Luises und Ninas Stimmen.
   Um die Schmerzen zu lindern schloss Vera die Augen, augenblicklich manifestierte sich Aarons Bild vor ihrem inneren Augen. Sein schmales Gesicht, mit den harten Gesichtszügen erschien ihr. Seine schwarzen, wuscheligen Haare, diese perfekt geschwungenen Augenbrauen und die dichten Wimpern sah sie ganz genau. Seine harten Gesichtszüge entspannten sich und ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Unwillkürlich musste sie lächeln, doch der Schmerz in ihrem Kopf wurde nur schlimmer.
   ''Vera, geht’s dir gut?'' fragte Luise. Geistesabwesend nickte Vera. ''Du siehst irgendwie... nicht so gut aus'', gestand Luise und beugte sich zu ihr und berührte Vera an der Stirn. Ein Kälteblitz zuckte durch Veras Körper. Ihre Muskeln entspannten sich und ihre Schmerzen waren, wie vom Donner ausgelöscht. ''Alles gut'', versicherte sie.
   ''Na, wenn wir das geklärt hätten, würde ich gern erfahren, was da mit dir und den Jungs abgeht.'' Nina lehnte sich auf ihrem Bett zurück und musterte Vera ungeduldig. ''Nichts. Was soll da sein?'' fragte Vera. ''Glaub ich dir nicht. Kevin läuft dir wie ein Hund hinterher und Aaron ist auch total vernarrt in dich.'' Ninas Ton gefiel ihr nicht. Er klang bissig. Luise funkelte Nina wütend an: ''Ich wüsste nicht, was dich das angeht Nina.'' Achselzuckend stand Nina auf. ''Ich geh zum Essen.'' Mit diesen Worten stolzierte sie aus dem Raum.
   Als die Tür zufiel, lies Luise sich auf Veras Bett fallen. Die Anspannung schien aus Luises ganzem Körper zu weichen. Vera sah auf sie herab und wartete auf Fragen. Stattdessen schloss Luise die Augen und atmete tief ein und aus. Erschöpft lies Vera sich neben sie fallen und beobachtete Luise. Sie sah ruhig, entspannt und sorglos aus. Vera wünschte, dass diese Ruhe, die Luise ausstrahlte, sie beeinflussen würde. Dass sie auch ruhig und entspannt werden würde. Aber zu viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf.
   ''Weißt du wirklich nicht, was mit Aaron und Kevin passiert ist?'' fragte Vera. Sie sah zur Zimmerdecke.
   Der Putz bröckelte ab. Einzelne kleine Risse zogen sich durch die Decke. In den Ecken hingen Spinnweben, die wahrscheinlich schon seit Jahre dort hingen. Die weiße Farbe war nicht mehr so strahlend, sondern ergraut.
   ''Ich weiß es, aber werde es dir nicht sagen,'' Luise hatte ihr den Kopf zugewandt und musterte sie eindringlich ''das musst du sie selber Fragen.'' Enttäuscht atmete
Vera aus. ''Du magst sie, oder?'' es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Vera nickte trotzdem. ''Kevin ist nett, aber sehr aufdringlich'', erklärte Vera. ''Aaron ist anders. Er ist distanzierter, vorsichtiger, irgendwie wie ein Buch, dass ich noch nicht gelesen habe.''
   Luise setzte sich auf und knetete nervös ihre Finger. ''Wen magst du denn lieber?'' fragte Luise. Vera starrte immer noch die Decke an und überlegte. Sie dachte zuerst an Kevin, der ihr helfen wollte und einen vertrauenswürdigen Eindruck hinterließ. Doch sein Bild wurde sofort von Aaron verdrängt. Wieder und wieder sah sie die Szene im Wald vor sich, dann die Szene vor ihrem Zimmer.
   ''Aaron'', gab sie zu.

Sie saß gemeinsam mit ihren neuen Freundinnen im Speisesaal. In Gedanken vertieft stocherte sie in ihrem Nudelauflauf herum, aber aß keinen Bissen. Ihr war übel und ihr Magen verkrampfte sich bei dem Geruch vom Essen.
   ''Sag mal, wirst du krank?'' Lea sah sie besorgt an. Vera schüttelte den Kopf.
''Habt ihr schon was von Leonie gehört?'' fragte Pia, die ihr Tablett auf den Tisch abstellte und sich neben Lea setzte. Sie hatte ihre blauen Haare zu einem französischen Zopf geflochten, aus denen sich einige Strähnen gelöst hatten.   
  Niemand antwortete. Die Ereignisse waren noch zu frisch um darüber zu sprechen. Allen ging die Nachricht, über das tote Mädchen nicht aus dem Kopf. Vera hatte alles so weit verdrängt, dass sie kaum daran dachte oder irgendwelche Emotionen zeigen konnte. Sie empfand nichts, wenn es um Leonie ging.
   ''Man Vera, wie siehst du denn aus?'' fragte Pia geschockt. ''Ja, du bist total blass. Alles ok?'' besorgt nahm Luise Veras Hand.
   Die Übelkeit würde schlimmer und sie hielt vorsorglich die Luft an. Speichel sammelte sich in ihrem Mund. Vera sprang auf und hielt sich die Hand vor dem Mund und rannte los.
   Ihr war so übel, dass sie Angst hatte sich vor allen zu übergeben. Sie rannte ins Mädchenklo und lehnte sich über die Toilette. Sie spuckte den Speichel aus und würgte, doch es kam nichts. Zitternd verschloss sie die Toilettentür und beugte sich wieder über die Toilette. Ihr Magen verkrampfte sich und sie würgte wieder. Ihre Hände zitterten und ihr war eiskalt.
   ''Vera? Bist du hier?'' Pias Stimme hallte durch die Toilette. Sie hörte näher kommende Schritte, bis sie vor ihrer Toilettentür verstummten. ''Mir geht es gut, du kannst gehen'', stotterte Vera und klang nicht überzeugend. Wieder verkrampfte sich ihr Magen, Vera stöhnte schmerzerfüllt auf. ''Vera mach die Tür auf!'' forderte Pia. Vera entriegelte die Tür, bediente die Toilettenspülung und trat aus der Kabine.
   Taumelnd lief sie zum Waschbecken, spülte sich den Mund aus und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. ''Was ist los?'' Pia strich ihr beruhigend über den Rücken. ''Magenschmerzen'', flüsterte sie, denn eine weitere Schmerzwelle durchzuckte sie.
''Ist dir auch übel?'' Vera nickte zustimmend. ''Nicht das du eine Magendarm-Grippe bekommst. Ich bring dich in dein Zimmer und mach dir eine Wärmflasche.''
Pia stütze sie, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre.
   Wurde ich wirklich krank? Nein, dass war es nicht. Es musste der Stress sein.
   Sie liefen über den Hof zu ihrem Zimmer. Die frische Luft tat ihr gut, sie konnte ruhiger atmen und der Schmerz verebbte. ''Geht´s wieder?'' erkundigte Pia sich. Vera nickte und Pia lies sie los.
   Kevin kam an ihnen vorbei. ''Was ist passiert?'' fragte er besorgt. ''Ihr geht´s nicht gut'', antwortete Pia. Der Schmerz kam mit voller Wucht zurück und zwang Vera fast auf die Knie. Krampfhaft umfasste sie Pias Arm, die sofort verstand. Die Schmerzen waren wieder da. ''Soll ich dich in dein Zimmer tragen?'' Nein! Nein! Nicht du! Hau ab! Schrie eine Stimme in ihrem Inneren. ''Ist schon besser, danke.'' Vera unterdrückte den Schmerz und zwang sich ruhig und gelassen zu klingen. Sie scheiterte kläglich. ''Ich bring sie schon.'' Pia stützte sie und lief an Kevin vorbei.
   Als sie die Stufen hinauf liefen, hatte der Schmerz bereit nachgelassen.
''Es ist Kevin oder?'' fragte Pia und hatte damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Aus irgendeinem Grund hatte sich der Schmerz verschlimmert, als er aufgetaucht war.

Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt