Tränen

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Noyamano Yamato

Ich ging vom Gas meines Autos, doch ich ließ den Wagen rollen bis er von selbst stehen blieb und ich die Bremse durchtrat. Noch eine Ewigkeit blieb ich im sicheren Innern sitzen. Schnallte mich nicht einmal ab und presste meinen Fuß immer noch fest auf die Bremse. Verkrampft umschlossen meine Hände das Lenkrad. Ich war mir noch nie so unsicher gewesen jemanden aus meiner Familie zu besuchen. Nur war sie nicht irgendjemand. Ich hatte wirkliche Angst auch nur aus dem Auto zu steigen, das quietschende Gartentor zu öffnen und meinen zittrigen Finger auf die Klingel zu drücken. Diesmal hatte ich mich nicht verkleidet, als ich nun vor der Haustür des fremden Anwesens stand. Der zerreißende Drang sie einfach nur wiederhaben zu wollen, hatte mich gezwungen ihr jetzt gegenüber zu treten. Hart schluckte ich all meine innerliche Gegenwehr herunter und betätigte die Klingel. Das langezogene Klingelgeräusch hallte eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand hinter der Tür die Klinke herunterdrückte. Ächzend langsam, so kam es mir vor, öffnete sich die Tür und ein großer schlanker Mann stand vor mir. Für einen kurzen Moment verschwand meine Angst und wir blickten uns verwirrt an. Bis sich sein Gesichtsausdruck in ein riesiges Fragezeichen verwandelte. Ich räusperte mich und steckte meine Hände locker in die Hosentaschen, um meine Nervosität herunterzuspielen. Abwartend guckte mich mein Gegenüber an. Ist Hana da? Fragte ich ihn. Und obwohl er mich am liebsten nach dem Grund meines Besuches gefragt hätte, nickte er nur stumm, bevor er ins Haus zurück verschwand. Ein unklares Stimmengewirr war zu hören und ich starrte in den leeren Flur vor mir. Mir war erst jetzt die Schürtze aufgefallen, die der Mann getragen hatte. Wahrscheinlich war er gerade am Kochen gewesen. Doch eigentlich interessierte mich viel mehr, wer der Kerl überhaupt war. Er war nicht der Junge, auf dessem Fahrrad sie gesessen hatte, dessen Hand sie gehalten hatte und dessen Lippen ihre berührt hatten. Nein, aber dieser Mann sah ihm unscheinbar ähnlich. Leichtfüßige Schritte rissen mich aus meinen Gedanken und meine Sicht schärfte sich, als ihre nackten Füße in mein Blickfeld kamen. Die Realität begreifend weiteten sich meine Augen. Mein Blick schnellte hoch und ich sah direkt in ihre stechenden Augen. Sie schimmerten glasig und Entsetzen breitete sich in ihnen aus. Jede Faser ihres Körpers reagierte mit nur einem Instinkt auf meine Anwesenheit: Flucht. Blitzschnell machte ich einen Schitt nach vorne und packte nach ihr. Ob meine grobe Hand ihr Handgelenk zu fest umschloss, wusste ich nicht, ich spürte nur wie sie sich verkrampfte. Hastig zog ich die Tür zu, um sie sofort an diese zu drängen. Diesmal würde ich sie nicht entkommen lassen. Sie wollte Aufschreien, doch ich erstickte sie, als ich meine Hand auf ihren Mund presste. Wütend funkelten mich ihre starken Augen an. Voller Hass darüber, dass sie mich immer noch liebte. Ich wollte ihr sagen, dass sie mir nur zuhören brauchte, doch sie ließ mir gar nicht erst die Möglichkeit. Gekonnt stieß sie sich mit ihren Füßen an der Tür ab. Unerwartet über ihre Kraft, stolperte ich mit ihr etwas zurück und ließ sie los. Warum bist du hier?! Ich will dich nicht sehen! Schrie sie mich an und brachte immer mehr Abstand zwischen uns. Es schmerzte und ich wollte auf sie zugehen, doch sie wich mir vollkommen aus. Heiße Tränenen sammelten sich in ihren Augen und schwemmten hinaus. Sie kullerten ihr verzerrtes Gesicht herunter und tropften auf das grüne Gras. Du bist schuld an meinem Leid! All die Jahre, in denen Isamu für uns gearbeitet hat und nicht Zuhause war, habe ich auf Souta aufgepasst. Ich war allein! Jeden Tag! Jede Nacht! Ich hatte keine Zeit gehabt um Mutter und Vater zu weinen, niemals! U-Und... Und du... DU WARST NICHT DA! Sie schrie sich den Schmerz aus ihrer Seele, den sie all die Jahre getragen hatte. So lange, hatte sie damit leben müssen. Ja, ich war nicht da gewesen. Ihr Schluchtzen drang an meine Ohren. Ich schaute auf zu meiner kleinen Schwetser. Pure Verzweiflung spiegelte sich in ihren Augen wieder. Hilflos sah sie mich an. Wieso... Wieso warst du nicht bei mir? Flüsterte sie und ihr Körper begann zu zittern. Plötzlich spürte ich etwas nasses auf meiner Haut. Tränen rannen meine Wangen herunter, es waren meine eigenen. Sanft streckte ich meine Arme aus und umschloss ihren zarten Körper. Sofort merkte ich wie sie meinen Geruch einatmete und sich vorsichtig an mir festhielt. Als hätte sie Angst ich würde zerbrechen und für immer verschwinden. Beruhigend streichelte ich durch ihr welliges Haar. Ich war so feige gewesen... Als Mutter und Vater's Beerdigung zuende war, verschwand ich einfach ohne mich zu verabschieden. Ich hatte Angst nicht für euch Sorgen zu können und floh vor dieser Verantwortung. Du hast recht, ich hab dich mit allem allein gelassen. Es wäre nicht gelogen, wenn ich dir sage, dass ich es bereue, aber nichts was ich dir jetzt sagen könnte, nimmt dir diese Erinnerungen. Mein Blick löste sich vom weiten Himmel und ich sah zu ihr herunter. Sie hatte sich etwas von mir gedrückt und blickte mich aus ihren großen Augen an. Mit diesen Erinnerungen lebe ich schon so lange, dass sie nicht mehr schmerzen. Sie sind einfach nur da. War ihre erwachsene Antwort. Doch dann senkte sich ihr Kopf und sie starrte auf meine Brust. Etwas hatte sich augenblicklich verändert. Yamato... Erschrocken darüber, dass ich meinen Namen in ihrer Stimme hörte, zuckte ich zusammen. Du kannst nicht so einfach zurück in mein Leben kommen. Wissend nickte ich und ließ sie los. Unsicher strich sie sich über ihren Arm und schaute zur Seite. Habe ich die Chance irgendwann zurückzukommen? Fragte ich hoffnungsvoll und versuchte etwas in ihrem Gesicht zu lesen. Eines Tages. Antwortete sie mir und ich wusste das es die Wahrheit war. Sie war noch nie unehrlich gewesen, auch wenn sie manchmal andere Menschen so verletzte. Du solltest jetzt gehen. Sagte sie leise und sah mich an. Erleichterung überkam mich plötzlich und ich wollte sie ein letztes Mal in den Arm nehmen. Sie wehrte sich nicht, doch sie zeigte auch keine Nähe. Langsam senkte ich meinen Kopf und küsste ihren Scheitel.

Mabuchi Kou

Wie lange ich ihnen zugesehen hatte, wusste ich selbst nicht genau. Doch dieser fremde Kerl fasste mein Mädchen an, ohne das sie sich wehrte. Seine Arme umschlungen ihren Körper. Seine Lippen berührten ihr Haar. Sie hatte die Augen geschlossen, doch als sie sie aufschlug, sah sie mich erschrocken an. Wie versteinert blieb sie stehen und starrte mir ins Gesicht. Was dachte sie sich dabei diesen Kerl bei mir Zuhause zu treffen. Ich fühlte mich zerrissen und bevor der große gutausehende Kerl sich zu mir umgedreht hatte, war ich gegangen. Ob Hana mir nachlaufen würde? Wie sie sich versucht zu erklären? Was ich letztendlich tun werde? Alles in mir war nichts, würde ohne sie nichts sein. Ich fühlte mich leer und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Angst sie zu verlieren, machte mich wütend. Auf einmal hatte ich Zweifel und konnte mich kaum an unsere gemeinsame Zeit erinnern. Ihr Verlust wäre so schmerzhaft, dass ich nicht mehr zurückfinden könnte. Wie sollte ich jemals ohne sie leben können. Ich merkte wie ich immer schneller lief. Ich bekam Kopfschmerzen, dabei hatte ich keinen Grund mir Sorgen zu machen. Ich hatte Angst ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht sicher bei mir wäre. Lange musste sie mit meiner schwierigen Vergangenheit leben. Sie war immer damit klargekommen. Doch dann konnte ich sie nicht mal vor dem wirklichen Leben beschützen. Sie war nicht sicher bei mir. Und dennoch, ich will sie nicht verlieren. Sie hatte es geschafft alle Türen zu meinem Herzen zu öffnen und ich konnte sie einfach nicht verlieren. Sie hatte nie auch nur einen Schlüssel für die vielen Schlösser gehabt. Nein, sie hatte sie einfach eingetreten. Dieses Mädchen war wie ein Sturm. Sie hatte es geschafft und doch bin ich nicht wieter gekommen als vorher. Abrupt blieb ich stehen. Die Situationen in denen ich sie sehe, mit Jungs die ich nicht kenne, sind nicht das Problem. Nein, ich würde nicht nur sie sondern auch mich selbst belügen, sollte ich es behaupten. Ich bin das Problem. Nach all den Jahren, die ich mit ihr verbringen durfte, war immer noch etwas tief in mir. Es hat keinen Sinn. Egal was ich tue, es hat keinen Sinn. Jemand der in der Lage ist etwas Neues zu beginnen, könnte das wohl nicht verstehen. So etwas zu hören... würde sie traurig machen. Nachdneklich blickte ich hinauf in den Sternenhimmel. Trotzdem habe ich Gefühle, die allein durch dieses Argument nicht gelöst werden können. Egal wie sehr sie es sich wünscht. Ich weiß das ich alles falsch gemacht habe, ich verstehe es und doch kann ich nicht von Neuem beginnen. Neben meiner Mutter zu sitzten, zu sehen wie sie immer dünner und dünner wird, als würde sie darauf warten zu sterben... Wie ich mich gefühlt habe... Das kann sie... unmöglich... verstehen. Ich leide immer noch, so wie damals. Und selbst diese Einsicht, kann mich nicht retten. Ich bin der einzige, der all das Leid verstehen kann, das ich fühle. Egal wie sehr Hana es versucht, es sich vorzustellen, es wird nie genug sein... Sie will sie eintreten, aber eine Tür wie diese... Aber wieso? Wieso versucht sie so sehr es zu verstehen? Sie und all die Andern? Das macht mir Angst. Murmelte ich. KOU! Plötzlich spürte ich ihren drückenden Körper an meinem, ihre Wärme durch meine Kleidung dringen und verlor den Halt unter meinen Füßen. Erschrocken riss ich die Augen auf und versuchte nicht abzurutschen. Hey, pass auf– Doch schon fielen wir. Sie krallte sich an mir fest und kniff die Augen zusammen. Hart schlugen wir ins Gras. Dort wo wir heruntergerutscht waren, war das Gras platt und der Abhang wirkte von hier unten noch steiler. Das war beängstigend. Meine Arme lagen schlaff neben mir im Gras und ich sah schwach in den Himmel. Ich spürte wie sie ihren Kopf von meiner Brust hob. Es ist zu spät! Der Fakt, dass du Angst hast, zeigt bereits, dass du dich um uns sorgst! Du hast Angst, weil du darüber nachdenkst, was passiert, wenn du uns verlierst, richtig? Wen das, was du verloren hast, zu groß war, um es mit etwas anderem zu ersetzten, dann brauchst du es doch nicht nur mit einer Sache zu ersetzten, richtig? Wenn du 10 kleine Sachen hast, oder 100 kleine Sachen zusammen, wird es Grund genug für dich sein, weiter zu machen! Ihre Worte drangen in mich hinein wie eine dünne Nadel, schmerzend und doch angenehm und mir das Gefühl gebend lebendig zu sein. Niemand wird dich dafür kritiesieren, wenn dich etwas freut, oder du aus ganzem Herzen über etwas lachst! Und wenn doch, werde ich denjenigen dafür verprügeln! Ich starrte sie einfach nur an. Immer noch krallten sich ihre Finger in mein Hemd. Sie zitterte und ihre Tränen tropften auf mein Gesicht. Ja. Sie hat recht... Etwas mein Herz bewegen lassen, aus ganzem Herzen zu lachen, einen neuen Sinn im Leben zu finden... Beschützend hob ich meinen Arm und strich mit meiner Hand beruhigend über ihren Kopf, durch ihr weiches Haar. Fest umschloss ich sie und drückte sie an mich. Die ganze Zeit... Ich wollte nur, dass mir jemand sagt, dass es okay ist. Langsam schloss ich meine Augen und ließ meine Tränen frei. Vielleicht habe ich die ganze Zeit... auf so etwas gewartet. Etwas wie einen Sturm... Ich habe Hana so lange an meiner Seite gehabt. Doch es hat diesen einen Moment gebraucht, um mich endlich zu befreien. Wie könnte ich sie jemals gehen lassen? Nein, ich könnte es nicht... Weil ich dich so sehr liebe, Hana!

Fortsetzung folgt...

Ao Haru RideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt