Eine kalte Hand legte sich auf meine Schulter, als ich mich in Richtung der Stimme drehte. Das graue, untote und eingefallene Gesicht meines Begleiters lächelte mir entgegen. Für gewöhnlich war Royce eher ein stiller Gefährte. Er redete nicht, hielt sich im Untergrund und erschien nie. Und mit nie meinte ich auch nie. Das er nun da war konnte nichts gutes bedeuten. Für mich als auch für ihn.
"Royce, wie off soll ich es noch sagen! Zum ersten, ich habe dich nicht gerufen. Zum zweiten, ich bin kein Gottverdammter Prinz der Unterwelt und drittens, WAS ZUM TEUFEL MACHT DIE ARMEE AUS UNTOTEN HIER?"
Das einzige was Royce tat, war den Kopf schief zu legen und einen grunzenden Laut von sich zu geben. Langsam ergab die Situation auch für mich einen Sinn. Wieso war ich nicht schon früher auf die Idee gekommen? Es war nur logisch, dass all dies gerade jetzt mit dem erscheinen meines Vaters und Jonathans zusammen hing. Ich seufzte, streckte meinen Arm aus und ließ die Armee wieder im Boden versinken. War nicht das erste mal, dass mir so etwas passierte. Typisch meine Wenigkeit.
"Leo, da bist du also!" Jonathan kam keuchend vor mir zum stehen und sah zu Royce, der ihn kritisch musterte und mich mit einem Blick fragte, ob er Gefahr war. Ich schüttelte lediglich den Kopf und sah Jonathan dann wieder an. Er grinste und fing dann an zu lachen.
"Heilige Muttererde, dass ich noch mal ne Armee von Untoten zu Gesicht bekomme. Ist ewig her seit das letzte mal soetwas passiert ist. Bin damals fast drauf gegangen. Das soll schon was heißen. Niemand scherzt mit Charísi", er sah Royce entschuldigend an.
"Sorry Mann, aber ich würde dich zu Zombie-Geschnetzeltem hacken wenn ich n Schwert hätte. Aber Leos Vater hat es mir abgenommen und absolutes Kampfverbot erteilt. Zu viele Sterbliche die draufgehen könnten." Er lachte einfach und klopfte auf meine Schulter, wärend ich seufzte. Ich hatte zwar gewusst, was er war und welche Dinge auf mich zukommen würden, doch irgendwo hatte ich sie nicht geglaubt."Muss interessant sein, wenn man nicht sterben kann. Unsterblichkeit würde mich total ankotzen", sagte ich und kniff die Augen zusammen. Ich war erschöpft und müde. Lag wohl an meinem kleinen erschaffungs Unfall.
"Du hast ja keine Ahnung WIE ätzend es ist. Dafür kenne ich mich mit Psychologie aus. Ich kann also selbst in kein schwarzes Loch der Trauer fallen. Geisteskranke sind mein Spezialgebiet. Und da kommen wir zum Grund warum ich hier bin, dich. Du kannst mal n paar Stützräder und Krücken gebrauchen um wieder vernünftig auf die Beine zu komen. Der Prinz der Unterwelt darf sich nicht so gehen lassen."
Er sah so ruhig aus, so glücklich, als hätte er den perfekten Plan geschaffen. Ich hingegen sah ihn einfach nur an und versuchte zu verdauen was er gesagt hatte.
Wenn es ihm möglich war mit diese Dunkelheit zu nehmen, würde alles besser werden? Würde es überhaupt funktionieren?"Wie willst du das machen Charísi? Wie willst du mir all den Schmerz nehmen?"
Er schnaubte, kicherte dann und trat so nah an mich heran, dass ich seinen Atem spüren konnte.
Der Moment des Unwohlseins hätte eintreten müssen, doch da war nichts. Nichts wovor ich Angst hatte, wovor ich mich schämte oder was mir unangenehm war."Ich tue es bereits. Ich bin deine eigene kleine Droge und es ist okay. Ich nehme deine Gefühle auf mich, mir machen sie nichts aus. Es macht mich nur müde und beschehrt mit ab und an Kopfschmerzen oder schlechte Träumen. Ansonsten ist das ganze völlig sicher."
Wie gebannt lauschte ich seinen Worten, die so behruhigend waren, dass jegliche Anspannung aus meinen Knochen wich. Als er mich an sich zog wurde jeder Muskel weich. Ich spürte seine Arme, die sich in meinem Oberkörper wickelten und mich hielten. Jede Faser in meinem Körper schien in Watte gepackt. Ich fühlte mich großartig. Einfach nur erfrischt, ruhig, schmerzlos und geborgen.
"Jonathan, was willst du als Gegenleistung dafür?"
"Jon, sag bitte einfach Jon."
"Okay Jon. Was willst du als Gegenleistung?"Er schien zu überlegen, wärend sein Gesicht in meiner Halsbeuge gebettet war. Es war angenehm, wie zuhause ankommen. Dieser Gedanke konnte aber auch an der gähnenden Leere in mir liegen, die nun gefüllt war. Oder aber die Leere war einfach nur weg und ich stand unter Drogen.
"Ich will einfach nur bei dir bleiben dürfen. Wo du hin gehst komme ich mit. Das ist alles. Ich will einfach, dass wir uns verstehen. Und das auch ohne, dass ich dir all deine Angst und den Schmerz abnehme."
"Du weist genau, dass wir uns jetzt schon mehr als nur 'verstehen'." Ich pustete eine Haarsträhne aus meinem Gesicht, um besser in die Ferne sehen zu können. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen, nicht jetzt. Zum ersten mal gab sich jemand wirklich Mühe und setzte sich für mich ein. Ich wollte sein Gesicht einfach nicht sehen, zu sehr hatte ich Angst soetwas wie Enttäuschung zu lesen. Und obwohl ich mich großartig fühlte nagte dennoch, tief in meinem Unterbewusstsein, Kälte an meinem Herzen. Etwas versuchte mich zu infizieren und Jonathan hielt es nur hinter einer Mauer. Für den Moment berauschend, doch nicht für die Ewigkeit geschaffen.
"Du hast recht. Ich gedenke einfach dein Vertrauen zu gewinnen."
"Auch das hast du schon lange."
"Halt einfach die Klappe Leo."
Und ich tat ihm den Gefallen, drückte ihn an mich und versuchte einfach eine Ewigkeit um diesen Moment zu schaffen. Es war der Moment der mir so klar in meinem Gedächnis hing wie kein anderer.
Der Schmerz eines Verrats war der beständigste. Es war der Schmerz, der dich auffraß weil du nicht verstehen konntest wie jemand so etwas tun konnte. Genau das fühlte ich Sekunden später, als ich keuchend in mich zusammen sackte weil eine Klinge in meinem Rücken steckte. Durch das nebelige Gefühl tat es nicht mal weh. Nicht die Wunde tat weh, der Schmerz des Verrats tat weh. Ich konnte Jonathan Tränen spüren, die sich an meinem Hals sammelten und in mein Oberteil sickerten. Er atmete ruckartig, sein Herz war mit der gleichen Klinge durchbohrt worden wie die, die von hinten durch mein gesamten Oberkörper ging."Damon", brachte ich keuchend hervor, bevor ich samt Jonathan zur Seite kippte und hart auf dem Boden aufschlug. Ich konnte spühren wie sich die Klinge des Schwerts durch den Aufprall weiter durch meinen Körper schnitt. Und als Damon sich vor mich auf den Boden kniete, überkam mich ein schrecklicher Schmerz, der mir die Luft abschnürte. Ich machte mir keine Sorgen um Jonathan, er war unsterblich und lediglich außer gefecht gesetzt. Ich machte mir auch keine Sorgen um mich und meinen Tod. Das einzige woran ich gerade dachte war der unglaubliche Schmerz, der mich schreien ließ bis meine Lunge brannte.
"Leo, ich hätte es sein sollen, der dich so im Arm hält. Du hättest mir so bedingungslos vertrauen müssen. Aber wenn ich dich nicht haben kann, dann soll sich niemand haben. Ich würde dir gern einen schnellen Tod wünschen, aber ich glaube du sollst spüren wie sehr es wirklich schmerzt."
Doch statt wie erwartet noch mehr Schmerzen zu spüren war dort einfach nur leere. Ich hatte so viel Schmerz ertragen, dass ich den unendlichen Schmerz bereits kannte. Es konnte mir also nicht mehr weh tun als es sowieso schon tat. Und so würde ich gehen. Leise, in den Armen eines unsterblichen Freundes...
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Lebenssplitter
FantasyNormal, was ist heute noch normal? Geschichten, was davon ist real? Leben, was für eine Sinn hat es? Wie viel gibt die Gesellschaft Preis und wann sehe ich die Wahrheit und kein perfektes Scheinbild? Auch wenn der normale Alltag unglaublich langweil...