Ohana

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Ich suche meinen alten Wohnbereich im Ostflügel auf. Er sieht noch genauso aus, wie ich ihn verlassen hatte, bis auf den Staub. Es steht sogar noch eine Tasse von mir in der Wohnküche! Natürlich abgespült. In der Senseo befindet sich jedoch ein mumifizierter Pad. Brr. Ich schüttle mich und lasse Abwaschwasser ein. Dann putze ich die Küche. Schalte den Kühlschrank ein, nachdem ich ihn ausgewischt habe. Mist, dass ich kein Auto habe, ich müsste dringend einkaufen! Könnte Oma's alten Polo nehmen, den ich jedoch nicht in der Auffahrt gesehen habe. Ich gehe runter in die große Zentralküche, die für das Herrenhaus gedacht ist. Auch dort ist alles schmutzig und staubig, der Inhalt des Kühlschranks spricht schon mit mir! Ich höre laute Rockmusik von irgendwo her. Ich glaube, Ben hat Martin's alte Wohnung im Südteil des Hauses übernommen. Plötzlich wird die Tür aufgerissen und Günther schaut mich verwirrt an.

„Inge? Oh, du bist es...Elena! Schön, dass du dich mal blicken lässt."

„Warum macht hier keiner sauber?" fahre ich ihn an.

Er zuckt mit den Schultern und greift an mir vorbei in den Kühlschrank. Holt eine sehr suspekt aussehende Wurst heraus und beisst hinein. Ich rümpfe die Nase.

„Sag dem Jungen, er soll mit dem Lärm aufhören, sonst rufe ich die Bullen." brummt der alte Mann und will sich verdrücken.

„Halt! Rede mit mir, warum ist hier alles so runtergekommen?" rufe ich hinterher.

„Kannst ja aufräumen, wenn's dir nicht passt." knurrt Günther und geht durch die Tür. Ich seufze. Laufe hinterher.

„Ich brauche Oma's Polo. Ich muss einkaufen."

Günther schüttelt den Kopf.

„Der ist schrott. Maike bringt manchmal essen. Aber sie kommt nicht mehr." 

Maike ist die Tochter von Marita, die hier lange als Hausmädchen gearbeitet hatte. Günther ist nun endgültig im ersten Stock verschwunden und ich atme tief durch. Tja, dann muss ich wohl den Rocker fragen...

Das Haus ist ziemlich verwinkelt und schließlich habe ich den Südteil gefunden. Ich klopfe laut an die Tür. Höre es Rumpeln, dann ein Fluchen. Die Tür geht auf und Ben steht halbnackt und tropfend vor mir.

„Mann, die müssen mal den Wasserdruck prüfen." knurrt er.

„Wer die? Das sind jetzt wohl wir. Du weißt ja, wo der Keller ist." blinzele ich zurück.

Er verdreht die Augen. Wow, sein Oberkörper ist ein einziges Kunstwerk! Ein riesiger Schmetterling prangt unter seiner Brust und Schwalben zieren seine Schultern.

„Was willst du? Mir ist kalt." brummt er und schlingt seine Arme um den Oberkörper. Seine nassen Oberarme spannen sich an und bringen seine Muskeln zum Vorschein. Mann, bin ich ausgehungert!

Ich frage lieb:

„Ben, kann ich vielleicht deinen Wagen haben? Ich muss dringend einkaufen."

Er guckt mich an, als hätte ich verlangt, dass er sich für mich prostituieren soll. Kerle!

„Ich fahre dich. Warte kurz." murmelt er dann.

Ben lässt mich stehen, ohne die Tür zu schließen. Unterwegs zieht er sein Handtuch von den Hüften, sodass ich die Möglichkeit habe, seinen nackten, perfekten Hintern begutachten zu können. Ich ziehe scharf die Luft ein und rufe: „Ich warte unten. Beile dich, es ist schon halb fünf."

Ben dreht sich zu mir herum und ich kneife im Affekt die Augen zu. Nun lacht er, ich stürze panisch davon. Als er kurze Zeit später im Foyer erscheint, grinst er mich überlegen an.

„Hey, El, das hast du doch alles schon mal gesehen. Also, wo ist dein Problem?"

Ich schüttele den Kopf.

„Hallo? Du warst damals ein Baby! Ich denke schon, dass sich dort etwas verändert hat, oder nicht?"

Ich muss kichern, denn ich stelle mir den großen Ben, der mich um einen Kopf überragt, mit einem unbehaarten Babypenis und Minihoden vor. Er guckt mich ernst an.

„Wenn du eben nicht so schüchtern gewesen wärst, wüsstest du es." raunt er.

Und ich fühle mich gerade, als sei der Schmetterling in meinem Bauch anstatt auf seiner Haut. Oh, bitte. Er ist und bleibt mein Cousin. Familie. Ohana. 

Nicht mehr, nicht weniger!

trío de tangoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt