Ben biegt in unsere Auffahrt ein. Wir schweigen, während wir die zig Tüten ins Haus schleppen. Vom ersten Stock hören wir Schlager dröhnen, anscheinend feiert Günther eine Ein- Mann-Party. Ich trage meinen Einkauf in meine Wohnung, die soweit entfernt liegt, dass ich nichts mehr höre. Räume den Kühlschrank ein und mache mir einen Kaffee. Dann überlege ich, was ich wohl zu Abend essen soll, als es klopft. Hm.
„Hey. Sorry wegen eben." sagt Ben zerknirscht. „Sorry wegen allem, wir hatten echt einen verdammt schlechten Start, was? Wie wäre es mit einer kleinen Versöhnungsfeier mit Wein und einer selbst belegten Pizza?"
Er hält eine Flasche Rotwein und ein Pizzakit hoch. Ich trete zur Seite. Nun, das wird ein Fehler sein. Aber ich habe Hunger!
Merkwürdigerweise stellt sich nach zwei Gläsern Wein wieder eine gewisse Vertrautheit zwischen uns ein und während wir Gemüse schnippeln, schwelgen wir in Erinnerungen an unsere Erlebnisse in Buenos Aires. Ben war damals ganze vier Wochen bei mir gewesen, natürlich in den Sommerferien, sonst hätte es Veronika bestimmt nicht erlaubt. Schließlich sind wir so betrunken, dass wir unsere alten Tango- Kenntnisse heraus kramen und während wir laut gackernd durch mein kleines Wohnzimmer tanzen, verbrennt die Pizza. Zum Glück hatte ich noch Tiefkühlpizza gekauft, sodass wir uns diese in den Ofen schieben. Dieses Mal passen wir besser auf.
Ich werde von lautem Gepoltere und Gebrülle geweckt. Schieße hoch und schubse dabei Ben von mir runter, der anscheinend beim Film gucken auf meiner Brust eingeschlafen war. Er mault leise und guckt mich verwirrt an, so wie ich ihn ebenfalls anstarre. Jemand brüllt: „Inge! Wo steckst du, verdammt noch mal? Ich verhungere!"
Ben zieht die Augenbrauen zusammen und guckt auf seine iWatch. Draußen ist es noch dunkel und ich fühle mich, als sei ich gerade erst eingeschlafen.
„Kurz vor drei. Der hat sie ja wohl nicht mehr alle!" knurrt Ben und steht auf.
Er reckt sich und stöhnt. Ich bin immer noch ein wenig perplex und schüttle meinen Kopf. Ben steht genau vor mir und sein offener Hosenschlitz ist auf Höhe meiner Nasenspitze. Er hatte seine Hose nach dem üppigen Nachtmahl aufgeknöpft, weil sie zu eng geworden war. Plötzlich stürzt Günther in das Wohnzimmer, ohne anzuklopfen! Er bleibt wie angewurzelt stehen.
„Scheiße. Ihr seid ja pervers!" lallt er.
Wie, bitte? Ich schaue fragend zu Ben hoch, auch er guckt noch ziemlich gechillt. Gechillt. Oh. Langsam klingelt es.
„Zisch ab, Günni." knurrt Ben.
„Wir haben nichts getan, nur Pizza gegessen." rechtfertige ich mich dagegen und stehe auf. Mir wird schwindelig und ich greife im Affekt nach Ben's Arm. Sofort greift er um mich und hält mich.
„Und wenn. Das hat dich einen Scheißdreck zu interessieren." murmelt Ben und guckt Günther scharf an.
Der grinst schief und sagt: „Ich hatte auch mal ne geile Cousine...die wollte mir dauernd an die Wäsche. Mann, das war n Mädel..." sinniert er.
„Erzähl das deinen Saufkumpanen. Und komm hier nie wieder ungefragt rein, hast du verstanden?" droht Ben.
Woah, der süße, kleine Ben ist ein ganzer Kerl geworden! Seine warmen Hände auf meiner Haut, seine strenge, rauhe Stimme. Ich schaue ihn an, doch seine grünen Augen sind fest auf Günther gerichtet. Sein Herz klopft schnell, ich spüre es an meiner Brust.
„Kinder, ich hab so ein Hunger! Habt ihr vielleicht was zu essen?" quakt der alte Mann nun.
„Wenn du nicht alle mit deiner Trinkerei vergraulen würdest, müsstest du nicht hungern." brumme ich und löse mich sanft von Ben.
Hole ein Fertiggericht aus dem Kühlschrank und sage: „Ich mache es dir warm und bring's dir runter. Und ich sehe das wie Ben, du kannst dir ne neue Bleibe suchen, solltest du weiter unsere Privatsphäre missachten."
Er guckt mich mit trüben Augen an und nickt.
„Tschulligung. Ich wollte euch gar nich stören, hab nur Inge gesucht."
„Inge ist tot. Wir haben doch gestern früh darüber gesprochen, erinnerst du dich?" frage ich, etwas sanfter.
Günther zuckt zusammen.
„Warum?" haucht er.
„Weil sie einen Tumor hatte. Nun geh bitte."
Er trottet mit hängendem Kopf raus und tut mir fast leid. Aber nur fast. Zuviel habe ich mit diesem Kerl durch gemacht, der mich ständig an meinen Vater erinnert. Ben seufzt. Die Mikrowelle macht „Pling!" und er tritt neben mich, um die Schale heraus zu holen.
„Ich bring ihm das. Ich will nicht, dass du mit ihm alleine bist." sagt er sanft. „Und schließ hinter mir ab. Gute Nacht, El."
Ich nicke. Ein leises Lächeln spielt um seinen Mund und sein Blick wandert zu meinen Lippen.
„Hab nie vergessen, wie es sich angefühlt hat." raunt er und mein Herz setzt einen Schlag aus.
„Bitte. Mach's nicht wieder kaputt." murmele ich.
Plötzlich beugt er sich vor und küsst meine Wange.
„War schön heute. Nein, ich will's ganz bestimmt nicht kaputt machen." blinzelt er und verschwindet.
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trío de tango
Fiksi UmumTango zu Dritt. Wo sich diverse jugendliche Heldinnen aus weltweit bekannten Stories schon öfter wieder gefunden haben, wird für Elena eine Herausforderung. Sie ist der Sprössling einer wohlhabenden norddeutschen Großfamilie, die ein Gut in der Nähe...