Full House

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Ich stehe in der Scheune, in der Onkel Martin immer seine Motorräder zusammen gebastelt hatte. Alles ist noch da, die Regale mit unzähligen Motorradteilen, Schrauben, Werkzeugen. Eine vertrocknete Rose liegt auf der Arbeitsplatte. Ich denke, sie ist von Marita, sie war damals total in Martin verschossen gewesen. Martin war wie ein Vogel gewesen, er hatte seine Freiheit gebraucht. Und er war Oma's Ein und Alles gewesen. Keines ihrer Kinder hatte sie so geliebt wie ihn und sie hatte immer gehofft, dass er eines Tages seßhaft werden und mit in das Geschäft einsteigen würde. Nach seinem Tod war alles anders geworden. Meine sonst so nüchterne Oma hatte sich in sich zurück gezogen, kaum noch mit uns gesprochen. Opa, der körperlich angeschlagen war, hatte oft mit ihr geschimpft. Henning war nach dem Unfall von der Hüfte an abwärts gelähmt und saß im Rollstuhl. Er war ernst und zynisch geworden und hatte alle nur noch angemault. Veronika hatte Martin die Schuld an dem Unfall gegeben und so waren schließlich alle im Clinch miteinander. Bis auf uns Kinder. Nein, Jonas und ich waren noch enger zusammen gerückt, als wir eh schon waren. Er hatte nächtelang in meinem Arm gelegen. Hatte jedoch nie geweint, nein, auch nicht geredet. Jonas war immer wieder wortlos in mein Zimmer gekommen und hatte sich zu mir gelegt. Irgendwann war er dann wieder aufgesprungen, als würde er es sich anders überlegt haben. Nein, er hatte noch nicht mal geheult, als Henning und Veronika im Winter 1996 beschlossen hatten, nach Kiel zu ziehen. Nicht wie der zweijährige Ben, der sich an mich geklammert und wie am Spieß gebrüllt hatte. Veronika hatte ihn von mir losreissen müssen. Nun war ich mit meiner depressiven Oma und meinem stoischen Opa alleine gewesen. War immer öfter ins Kreuzfeuer geraten und schließlich hatte ich meinen Rucksack gepackt und war nach Spanien abgehauen.

Ich löse mich von der Scheune der Traurigkeit und gehe zurück zum Haupthaus. Dort ist schon mächtig was los. Ein Kombi und ein Range Rover stehen vor der Tür, und ein kleines, blondes Mädchen läuft auf der Einfahrt herum. Als sie mich sieht, lächelt sie und kommt angelaufen.

„Hallo!" begrüßt sie mich. „Ich Liv."

„Hallo, Liv. Ich bin deine Tante Elena."

Sie dreht sich um.

„Papa! Tante Elna!"

Oh, nein, ich werde Jonas früh genug treffen! Nur schnell weg hier!

„Soll ich dir mal die Hühner zeigen? Und Gustl, die Ziege? Na, komm." sage ich und Liv folgt mir hüpfend.

„Liv! Mach dich nicht schmutzig!" tönt es hinter mir.

Nun, Laura ist eine blonde, schlanke Schönheit, die mit ihren Designerklamotten wirklich nicht hier her passt.

„Hallo, ich bin Elena." begrüße ich sie und wir schütteln Hände.

„Laura. Wenn du erlaubst, würde ich Liv gerne erst mal umziehen, bevor sie durch den Modder steigt." entgegnet sie zickig.

Woah. Na, prima!

„Ja, mach." murmele ich und gehe zur Haustür.

Just in diesem Moment kommt die Reinigungsfirma auch schon. Und Tante Veronika von der anderen Seite.

„Morgen, Elena. Schön, dich zu sehen." begrüßt sie mich.

„Hallo, finde ich auch. Aber warum hat mir niemand gesagt, in was für einem desolatem Zustand hier alles ist? Ich hätte doch viel eher helfen können..." entgegne ich.

„Mutter wollte nicht, dass du dir Sorgen um sie machst, du kennst sie doch." antwortet Veronika.

„Frau Petersen?" fragt jemand und Veronika und ich antworten beide mit: „Ja?"

Dann lachen wir, als der Typ im orangenem Anzug verwirrt dreinschaut.

„Ich bin Elena Petersen, ich habe mit ihnen telefoniert. Das ist meine Tante." kläre ich ihn auf.

Dann gehen wir mit ihm durch's Haus und geben ihm Instruktionen. In dem großen Speisesaal finden wir Ben und Onkel Henning.

„Hallo, Onkel Henning." begrüße ich ihn und umarme ihn kurz.

„Elena, mein Gott, bist du erwachsen geworden! Und du siehst aus wie Karina."

„Nein, tut sie nicht." quakt Veronika und schleift den Reinigungstypen hinter sich her.

Henning blickt ihr nach, dann wendet er sich wieder mir zu: „Nimm's ihr nicht übel. Sie ist immer noch traurig, dass du nicht bei uns in Kiel bleiben wolltest."

Ich nicke und murmele: „Kinder werden irgendwann flügge."

„Da hat sie recht, Papa." höre ich Jonas schöne Stimme hinter mir sagen.

Sein heller Blick trifft meinen. Wow, anscheinend trägt er jetzt Kontaktlinsen, seine Nerd- Brille ist verschwunden. Die Haare sind heller.

„Hi, Jonas."

„Hallo, El. Musstest du gleich meine Frau verärgern?" fragt er angesäuert.

Ben wirft ein: „Komm schon, Bro, man darf in Gegenwart deiner Frau ja nicht mal husten, ohne, das sie gleich austickt! Laura sollte echt mal abchillen

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Ben wirft ein: „Komm schon, Bro, man darf in Gegenwart deiner Frau ja nicht mal husten, ohne, das sie gleich austickt! Laura sollte echt mal abchillen."

„Halt dich da raus, Junkie." zischt Jonas und die Brüder funkeln sich böse an.

Henning seufzt.

„Jungs, eure Oma ist gerade gestorben und ihr werdet ja wohl mal für drei Tage einen auf heile Familie machen können!" tadelt er streng.

„Waren wir das je?" frage ich und er guckt mich verärgert an.

„Fang du nicht auch noch an. Wo ist Günther eigentlich?"

„Liegt besoffen..." „Er ist..." beginnen Ben und ich gleichzeitig.

Wir gucken uns an und lachen los. Dann deutet Ben auf mich und ich räuspere mich.

„Er ist wohl in seinem Zimmer und schläft seinen Rausch aus."

„Oder er tankt schon wieder nach." ergänzt Ben.

„Mann, der hat echt 'n Problem." murmelt Jonas. „Oma hätte ihn damals raus werfen sollen."

„Er hat ihr das gegeben, was Opa ihr verwehrt hat. Bevor Günther so krank wurde, hat er sie auf Händen getragen." entgegne ich. „Also urteile nicht über etwas, wovon du nichts verstehst."

Henning stöhnt.

„Warum mögt ihr euch nicht mehr? Ihr wart früher wie Geschwister!"

„Ja, eben." brummt Jonas und geht zur Tür.

Bleibt stehen und dreht sich um.

„Wovon ich nichts verstehe? Ich bin derjenige, der Familie hat, El." lächelt er und verschwindet.

Ja, der saß!

„Nun, ich habe mich auch oft gefragt, warum du noch nicht verheiratet bist." sagt Henning und guckt mich fragend an.

„Weil ich ein karrieregeiles Biest bin." knurre ich und verschwinde ebenfalls. Nur durch eine andere Tür. 

trío de tangoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt