Ich drehe Jonas den Rücken zu, damit er nicht sieht, dass ich weine. Nehme das erste von drei Büchern in die Hand und blättere es durch. Die Zahlen verschwimmen vor meinen Augen. Hatte es Oma soviel bedeutet, dass ich zu ihr zurück gekehrt war? Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als wieder dem Ruf der weiten Welt zu folgen und nach Berlin zu gehen! Ich beisse mir auf die Unterlippe und versuche, mich zu konzentrieren. Ihre Schrift, die mir so vertraut ist. Sie hatte mir oft geschrieben, überall hin. Nie etwas wirklich Wichtiges, doch war es trotzdem ein Zeichen dafür gewesen, dass sie mich vermisst hatte, oder? Ich schluchze leise auf. Plötzlich steht Jonas hinter mir. Er räuspert sich und guckt mir über die Schulter. Dann dreht er mich um, ich kann ihn nicht ansehen.
„Oh, je." murmelt er und zieht mich an sich.
Ich gebe auf und weine bitterlich. Bis jetzt hatte ich meine Trauer unterdrücken können, doch in Jonas' Arm darf ich traurig sein. In seinem Arm hatte ich Martin beweint, obwohl es doch umgekehrt hätte sein müssen! Jonas streicht mir sanft über den Rücken und ich erschaudere.
„Ich hätte sie besuchen müssen...mich um sie kümmern..." schluchze ich.
„Sie hätte es nicht gewollt. Ich hatte sie oft gefragt, ob ich ihr helfen kann, aber sie hat mich immer sofort runter geputzt. Du weißt doch, wie sie war, hm?"
„Trotzdem." schniefe ich und löse mich aus Jonas' Armen.
„Elna nicht traurig sein!"
Liv guckt mit großen Augen zu mir hoch. Ich nehme sie auf meinen Arm und knuddle sie.
„Geht schon wieder. Sei immer lieb zu Oma und Opa, hm?"
„Opa lieb. Oma..." sie verzieht das Gesicht. Oh, ja.
Jonas guckt mich an und lächelt. Ich lächle zurück und einen Moment ist es wie früher. Ohne Worte.
„Na, was habt ihr rausgefunden?" fragt Ben und schlendert in das Arbeitszimmer.
Sein Blick fällt auf mich und er stutzt.
„Hey... was..."
Er blickt zu Jonas und dann wieder zu mir.
„Was hast du mit ihr angestellt, Jon?" fährt er seinen Bruder zornig an.
„Nichts." knurrt Jonas zurück. „Ich bin ja nicht du. Ich bringe keine Mädchen zum Heulen. Ganz im Gegenteil!"
Ben ballt die Fäuste. Ich sage:
„Leute, reisst euch zusammen! Ich habe um Oma geweint, das war längst fällig, Ben. Und nun genug, wir haben einen Auftrag."
Ich blicke in das Buch. Tatsächlich sehe ich, dass Oma vor zwei Jahren die Pferde verkaufen musste, denn die Konten waren heftig überzogen gewesen. Doch trotzdem hatte sie das Loch nicht stopfen können. Nein, sie war sogar noch mit Günther in die Karibik geflogen. Warum hatte sie das nur getan? Dann die Erkrankung der Kühe und horrende Tierarztkosten, die Zahlen schwirren in meinem Schädel und ich muss mich hin setzen. Beide Jungs stehen an meiner Seite, blicken über meine Schulter. Ben's Haare kitzeln mein Gesicht und Jonas' Arm berührt meinen. Irgendwie fühlt es sich gut an. Vertraut, heimisch. Sicher.
„Verdammt. Das hätte sie ja nie wieder ausgleichen können!" murmelt Jonas.
„Hm. Guck mal, sie zahlt immer noch an den Tierarzt." sagt Ben und zeigt auf das letzte Datum, vor einer Woche.
Fleißige Oma, trotz Schmerzen und schwerer Krankheit. Ich bin so wütend auf Günther!
„Ich meine, ich verdiene mehr, als ich brauche und habe was gespart, aber das hier übersteigt meine Grenzen." murmele ich.
„Ich könnte die Tierarztrechnung ausgleichen. Dann fahren wir eben dieses Jahr nicht in den Skiurlaub." murrt Jonas.
„Das wird Laura aber scheiße finden." entgegnet Ben.
„Du sagtest doch, sie sollte mal chillen..." grinst Jonas ihn an und beide geben sich Hi Five.
Ich lache leise und sage dann: „Gut, dann wäre ein Posten gedeckt. Hier sind aber noch ein paar andere...Wir sollten das später nochmal diskutieren."
„Klar." antworten die Jungs unisono.
„Elna, Ziege?" fragt Liv und ich lache.
„Ja, Elna ist manchmal eine Ziege. Aber ich denke, du meinst Gustl, hm?"
„Gustl! Mein liebstes Haustier!" ruft Ben und wir drei gehen nach draußen.
Die Luft ist leicht abgekühlt und es nieselt. Ich schlinge fröstelnd die Arme um meinen Körper und plötzlich wollen mich beide Kerle gleichzeitig umarmen. Zischend zieht Ben seinen Arm wieder weg und funkelt Jonas böse an. Der starrt wütend zurück. Ich seufze und hake mich bei beiden unter.
„Das war übrigens nicht in Ordnung mit dem Tritt, El." murrt Ben.
„Nun, ich sah keine andere Möglichkeit." entgegne ich.
Wir sind beim Gehege angekommen und ich öffne das Gatter. Gustl ist schon recht alt und kann kaum noch hören und sehen. Doch sie wittert Ben und trottet auf ihn zu. Anscheinend war er öfter hier.
Liv reckt vorsichtig die Hand aus und Gustl dreht sich zu ihr. Vor Schreck plumpst das kleine Mädchen rückwärts in den Matsch und lacht ausgelassen. Wir lachen mit und Gustl macht ein paar Sprünge, was Liv noch mehr amüsiert. Sie zieht sich an mir hoch und hüpft, Schlamm spritzt uns um die Ohren, schließlich hüpfen wir alle. Gustl meckert, wir schreien und lachen. Meine Bluse ist völlig verklebt, die Jeans nun schlammbedeckt, zum Glück habe ich Gummistiefel angezogen. Wie die Jungs auch, wir kennen ja das Landleben!
„Oh, mein Gott! Das ist nicht dein Ernst, Jonas Petersen!" kreischt Laura plötzlich.
Der sonst so ruhige Jonas ist total aufgedreht und grinst seine Frau breit an. Dann geht er auf sie zu, sie weicht zurück.
„Wage es nicht! Nein!" ruft sie und reckt die Arme aus.
Doch Jonas springt über das Gatter, packt sie um die Hüften und zieht sie an sich. Ein Stich fährt in meinen Magen und ich verziehe das Gesicht. Was soll das? Ich habe kein Recht, eifersüchtig zu sein, gar keins!
„Elna, ich reite!" lenkt mich Liv ab.
Ben hat sie auf die Ziege gesetzt und hält sie fest, während Gustl anscheinend genug Action gehabt hat und gemütlich an einem Halm kaut. Ich lache Liv an, während Ben's Lachen verschwindet. Er guckt zu dem streitenden Pärchen, dann wieder zu mir. Schüttelt unmerklich den Kopf. Ich rolle mit den Augen und seufze. Laura hat mittlerweile den ganzen Hof zusammen geschrien und liegt schimpfend im Schlamm. Ihre Pumps sind völlig mit Dreck überzogen, das weiße Kleid nun braun.
Ich denke, das wird auf Scheidung hinaus laufen!
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trío de tango
General FictionTango zu Dritt. Wo sich diverse jugendliche Heldinnen aus weltweit bekannten Stories schon öfter wieder gefunden haben, wird für Elena eine Herausforderung. Sie ist der Sprössling einer wohlhabenden norddeutschen Großfamilie, die ein Gut in der Nähe...